II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 48


das entsprechende Gehaben für die gutmülhige Be¬
dem Zwange eines ehrlichen Gefühls geirrt, das sich
schränktheit der Mutter, und Frl. Marbach gab
unter der Herrschaft einer heißen Empfindung verloren
Fannys ältere Schwester, eine arme Clavierlehrerin, die
hat.
Dieses warme Plaidoyer hält aus der Tiefe seiner
unter dem Zwang der ärmlichen Verhältnisse eine Ver¬
ehrlichen Ueberzeugung heraus der Schriftsteller Fedor
nunfteche eingehi, mit discreter Sicherheit. Dagegen
brachte Herr Worlitzsch die correcte Alltagsklugheit
Denner, der gerne mit allen flachen, althergebrachten
des Herrn Wandel etwas farblos. Die übrigen Gesell¬
und ohne weitere Prüfung auf uns überkommenen Vor¬
schaftstypen, der lebensfrohe, kerngesunde Maler, der
##artheilen aufräumen und das Märchen von den Gefal¬
Lebemann, der nach den Stürmen der Jugend dem
lenen aus der lt schaffen möchte. Aber — und dar¬
aus entspringt der tragische Conflict — er wird dessens ehelichen Hafen zusteuert, der ergebene Freund ohne
nur zu bald inne, daß es eines ganz anderen Muthes eigene Physiognomie, die beiden blasirten Studenten als
bedarf, eine akademisch versochtene hochherzige Idee am
köstliche Persiflage des hohlen, öden und gedankenlosen
eigenen Leibe praktisch in die That umzusetzen. Mit be¬
Treibens unserer männlichen Jugend, die niedliche Ce¬
wußter Absichtlichkeit läßt Schnitzler einen Freund des
quette, die nach einem Manne angelt, und die leichtsinnige
Helden fast wörtlich das berühmte Bekenntniß des Grisette wurden durch die Herren Emil Wirth, Le¬
went, Schlaghammer, Kühne, Rudolf, sowie
Secretärs aus Hebbel's „Maria Magdalena“ citiren, daß
ein Mann nicht hinaus kann über die dunklen Schatten
die Damen Erneck und Schröffl gut veranschau¬
in dem Vorleben des Mädchens, das er zu seiner Gattin
licht. Das Zusammenspiel klappte gut und die Insceni¬
machen will. Die Tragik dieser Ohnmacht erkennt Fedor
rung trug der eigentlichen Stimmung verständnißvoll
Rechnung.
bald an sich selbst. Er liebt mit der ernsten Tiefe des
Dr. A. G.
reifen Mannes die Schauspielerin Fanny Theren und
Vom Neuen deutschen Theater. Heute
fühlt sich durch die Gewißheit ihrer starken Gegennei¬
findet eine Aufführung von Trotha's „Hofgunst“, morgen
gung beglückt. Da erfährt er, daß er in Fanny's Liebes¬
Mittwoch von „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“
leben nicht der Erste ist, und um die vornehme Kühnheit
statt. Zur Festvorstellung für deu Geburtstag Sr. Majestät
seiner Anschauung von der Haltlosigkeit jenes „Märchens“ des Kaisers sind die Proben in vollem Gang. Außer
ist es geschehen. Die allgemeine Giltigkeit seiner hoch= der einactigen Oper „Mara“, welche mit unseren ersten
fliegenden Ideen will auf seinen individuellen Fall nicht Opernkräften, Mathilde Claus, Max Dawison, Wilhelm
passen, er wird verwirrt und unsicher in seinem Urtheil.
Elsner besetzt ist, gelangt die patriotische Ballt=Pantomime
Quälendes Mißtrauen beschleicht ihn in die Aufrichtig¬
„Oesterreichische Märsche“ zur Aufführung, in welcher
keit der Neue des armen Dings, das sein gefoltertes das gesammte Schauspiel=Personal beschäftigt ist. Der
Herz rückhaltlos vor ihm ausschüttet und sein ganzes
Abend wird mit einer von Parcival de Vry äußerst
vergangenes wie gegenwärtiges Empfindungsleben gleich
effectvoll und des feierlichen Anlasses würdigen Apotheose!
abschließen
einem aufgeschlagenen Buche vor seinen Augen aus¬
breitet, und nagende Zweifel werden laut in ihm an der
Vom deutschen Volkstheater. Heute
Möglichkeit einer vollkommenen Erhebung Fanny's, in
wird Max Halbe's Liebesdrama „Jugend“ gegeben.
der er mit einemmal nichts Anderes sehen kann als ein
2— Capellmeister Robert Erben. Die
für alle Ewigkeit verlorenes Geschöpf. Für Fanny be= Gattin des erkrankten Capellmeisters Robert Erben
deutet diese plötzliche Sinnesänderung die moralische richtete an der Berl. „Börsencourier“ ein Schreiben, in
Vernichtung. Sie, die sich durch den hohen Gedankenflug dem sie mittheilt, daß nach Aussage des behandelnden
des angebeteten Mannes selbst mit erhoben fühlte in
Privat=Arztes der keineswegs besorgnißerregende Zu¬
eine reinere Sphäre, die zu ihm emporblickte in staunen¬
stand ihres Gemahls schon in einigen Tagen behoben
der Verehrung wie zu ihrem Heiland, der ihr Entsüh= sein dürfte. Demgegenüber liegt eine Berliner Mel¬
nung und Reinheit wiedergegeben hatte und das An¬
dung vor, der zufolge die Erkrankung Robert Erben's
recht auf die Wiedergewinnung eines Lebensglücks, das
einen heftigen Charakter angenommen hat.
sie durch ihren kindischen Unverstand für immer ver¬
scherzt zu haben glaubte, sie wird nunmehr mit roher
Kleine Chronik.
Gewalt zurückgestoßen in die finstere Verdammniß, aus
* [Graf Kuenburg.] Wie die „Wr. Mon¬
der es keinen Rückweg mehr gibt.
tagsrevue“ vernimmt, wird der Senatspräsident um
Fedor hat sich selbst und seine Doctrin von dem Obersten Gerichtshofe und ehemalige Minister Graf
überwundenen Märchen ad absurdum geführt. Die un= Kuenburg in den Ruhestand treten.
heimlichen, lichtscheuen Gespenster erwiesen sich stärker
* [Abermals ein Eisenbahn=Unglück
als ein klarer, männlicher Wille. Oder ist ldieser Wille
in Niederösterreich.] Sonntag Früh ereignete
gar kein männlich starker? Hat Fedor bloß mit hoch¬
sich in der Nähe von Wien ein Eisenbahn=Unglück fast
trabenden Worten geflunkert? Gewiß nicht. Es war
auf die gleiche Weise, wie die Katastrophe, die vor acht
ihm heiliger Ernst um seine Ideen, aber er ist zu schwach,
Tagen bei Gmünd stattfand. Ein Personenzug der
sie auch durchzuführen. Nun kann ja sicherlich auch ein Westbahn fuhr zwischen Baumgarten und Hütteldorf an
Schwächling in den Mittelpunkt des dramatischen In¬
einen vorausgehenden der Wiener Stadtbahn=Vororte¬
teresses gestellt werden, und der Bruch in der Ueberzeu=linie an, wiewohl dieser Train vorschriftsmäßig gedeckt
gung eines Mannes, in seinem eigenen Bewußtsein, ist war, was jedoch von dem Locomotiv= und dem Zugs¬
sicherlich ein starkes dramatisches Motiv. Aber der führer des nachfolgenden Zuges nicht beachtet wurde.
Wandel muß, ob er langsam vorbereitet ist oder sich Nur einem Zufalle ist es danken, daß der Zusammen¬
plötzlich vollzieht, psychologisch begründet sein, sonst er= stoß keine Opfer an Menschenleben forderte. Dreizehn
scheint er uns brutal und gewaltsam. Haben wir diese Personen, darunter drei ahnbedienstete, erlitten leichte
Lücke in der Charakterentwicklung des Helden vor Kurzem
Verletzungen. Die verletzten Passagiere sind durchwegs
anläßlich der Aufführung von Hauptmann's Erstlings¬
Wiener. Bemerkenswerth ist, daß noch ein dritter Zug,
brama „Vor Sonnenaufgang“ störend empfunden, so
ein Postzug, durch den Zusammenstoß beim Passiren der
scheitert das „Märchen“ geradezu daran.
Unglücksstelle in höchste Gefahr gerieth: ein Wagen:
Herr Richard Wirth erfaßte den complicirten
dieses wurde stark beschädigt. Der Zugs= und der Lo¬
Charakter sehr glücklich. Er brachte sehr zutreffend den
comotivführer wurden noch Sonntag vom Untersuchungs¬
schwärmerischen Hochsinn des idealistischen Weltverbesserers
richter verhört. — Von Seite der k. k. Staatsbahn¬
zum Ausdruck, bewahrte in den Liebesscenen eine gewisse Direction wird über das Unglück verlautbart: Der um
männliche Zurückhaltung und ließ durch alle Grausam=5 Uhr 40 Minuten Früh von Wien abgehende, bis
keit, mit der Fedor die Geliebte unnütz foltert, die eigene Vöcklabruck verkehrende Zug Nr. 17 ist in Kilometer
schmerzliche Erregung und das eigene tiefe Leid durch=14·7 zwischen Baumgarten und Hütteldorf an den vor
blicken, die selbstquälerisch seine Brust zerwühlen. Fanny der letzteren Station angehaltenen Zug Nr. 4011 der
ist das „süße Mädel“, wie es Schnitzler so meisterlich zu Vorortelinie, welcher um 5 Uhr 19 Min. Früh von