II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 56

Das Maerchen
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3. Sen
Telephon 12801.
Meseale e
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
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Vertretungen
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen. London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
fGuslienangabe ohns Gewähr.)
— Ausschnitt
Memeine Spert-Zeitenz, Wien.
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# vom.

Das Bürgertheater geht daran, mit seiper Ver¬
gangenheit ohne Bedeutung zu brechen. Am Freitag gab
es in dem Hause, das sonst, wenn es Neuheiten brachte,
mit den Außenseitern der Literatur vorlieb nahm, eine
Schnitzier-Première, also, wie immer man über Schnitzler
ürteilen mag, jedenfalls einen interessanten Abend. „Das
Märchens, ein Stück aus Schnitzlers Anfangszeit, zeigt
den geistreichen Schriftsteller, und zwar ohne die Neigung
zum Verkünsteln, wie etwa im nZwischenspiele, das sich
unbegreiflicherweise am Burgtheater noch immer hält.
Ein Thesenstück mit sehr einfacher, aber dafür auch klarer
Handlung: Ein Märchen nennt der moderne Mann Fedor
Denner die Auffassung der Gesellschaft, daß sich das
Weib durch den Fehltritt, der dem Manne ohneweiters
gestattet ist, entehre. An dieser seiner Lehre richtet sich
die Schauspielerin Fanny Theren, eine sGefallenen, auf.
Aber da er nun an diesem Wesen, das ihn liebt und das
er liebt, nach seiner Theorie handeln soll, kommt er über
die posthume Eifersucht doch nicht hinweg. Ein Märchen
ist es, daß die Moralanschauungen der Gesellschaft ein
Märchen seien. Das Stück wird halbwegs annehmbar ge¬
spielt, am besten noch von Herrn John und Fräulein
Weede in den beiden führenden Rollen. Ein arger Fehler
ist es aber, daß fast alle Mitwirkenden in dem Bestreben,
den Konversationston festzuhalten, undeutlich sprechen.
Ein Stück wie dieses, das ganz auf den Dialog gestellt
ist, kommt dadurch natürlich um einen großen Teil seiner
Wirkung.
Telephon 12801.
S ameteirrerreunnn
∆ l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
O in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petereburg.
(Quellenangabe ohne Gewahr.)
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" Ausschnitt
heiter Zeitung, Wien
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E vom:
ZOSL· 10I
Theater und Kunst.
„Das Märchen“ von Arthur Schnitzler=—
(Erste Aufführung im Bürgertheater.)
Die erste Aufführung eines Stückes entscheidet über sein
erttes, sein irdisches Leben; erst die zweite Première (nach zehn
oder fünfzehn Jahren), die Auferstehung, entscheidet über das
dauernde, das „ewige“ Leben eines Werkes. Dörmanns „Ledige
Leut' haben voriges Jahr glücklich vermocht, sich aus dem
Grabe frisch und lebendig zu erheben. Schnitzlers vor vierzehn
Jahren aufgeführtes, vor siebzehn Jahren geschriebenes Schau¬
spiel hat sich gestern ein wenig bleicher aus dem Archivgrab
erhoben. Der Dichter oder ein verständiger Regisseur hätte das
Schauspiel vor allem wortärmer, diskussionsfreier zuschneiden
müssen. Zu deutlich weist das Schauspiel auf den Ursprung der
Jung=Wiener=Dichtung: Die Geburt der Literatur aus dem Geiste
des Kafseehauses! Zu deutlich protzt aus den Literaten, die der
Dichter mit hochachtungsvollem Ernste gemalt hat, die Ver¬
achtung für die einfachen Menschen hervor, die der Dichter mit
billiger Ironie gezeichnet hat. In diesem aufrichtigen Erstlings¬
werk hat sich die Isoliertheit des Literatentums, das armselige
und selbstgefällige Ichtum des wienerischen Literaten, der keinen
nationalen, keinen sozialen, kaum einen menschlichen Kontakt
mit den „anderen“ hat, ein deutliches Denkmal gesetzt. Es muß
übrigens hinzugefügt werden, daß Schnitzler von Werk zu Werk
blutreicher, wärmer und weiter wurde. Er würde dieses Drama
heute in viel reinerer Luft, in ganz anderer Distanz zu seinen
Gestalten schreiben!
Fedor Denner hält Reden gegen die Philister, die ein
Mädchen, das schon geliebt hat, deshalb für „gefallen“ ansehen.
Aber in den Stunden, da seine Weisheit Wirklichkeit werden
soll, wird er unter Krämpfen gewahr, daß auch er unwillkürlich
in die Vergangenheit der Geliebten starren muß. Er kommt
nicht darüber hinweg. Auch dieser Problemkern ist typisch für
das Literatentum. Das verkündet Wahrheiten, die es an der
eigenen Seele gar nie erlebt hat, und hört auf, zu verkündigen,
sobald die eigene innere Erfahrung zu sprechen beginnt. Frei¬
geister mit übernommener, nicht erworbener Ueberzeugung,
Freigeister aus Unfreiheit des Geistes. Mit psychologischem
Bohrsinn, der Schnitzlers echteste Tugend ist, wird dieser Fedor
Denner seiner Redensarten entkleidet. Da zeigt sich, daß die
Vorurteile aus Instinkten stammen, die Ueberzeugungen jedoch
nur aus Ueberlegungen! Das eigentlichste Problem seines
Werkes streift Schnitzler nur. Fedors Reden gegen das Fallen¬
lassen der Gefallenen sind ethische Affekte, Fedors Taten,
modurch eine Gefallene gefällt wird, entspringen erotischen
Impulsen. Das Mädchen entdeckt sich dem Geliebten, indem
sie ihm nach einer Rede die Hand küßt. Im zweiten Akte
läuft sie in seine Wohnung, fällt ihm zu Füßen und ruft ein¬
mal: „Warum schreist du nicht?“ (Wenn ich nicht irre, sogar:
„Warum schlägst du mich nicht?“) Sie hat Lust an der Er¬
niedrigung vor ihm. Unwillkürlich fällt der Mann in den
erotischen Gegenpart. Nach dem Handkuß wird er grausam. Er
meidet ihr Haus. Sie sucht ihn auf, er umarmt sie und beginnt
sie aber sogleich mit stiller, tückischer Grausamkeit zu quälen.
Ursache (oder vielleicht doch nur Anlaß?) — der Frühere. Es
ist dem Dichter selber vermutlich unbewußt geblieben, daß sich
seine ethische allmählich in eine erotische Tragödie umgewandelt
hat. Daß dies dem Dichter unbewußt geblieben (diese Kon¬
traste wären sonst wohl stärker unterstrichen), spricht am
lautesten für Arthur Schnitzler und sein Jugendwerk. Das un¬
bewußte Gelingen unterscheidet den Dichter vom Literaten. Um