3. Das Maerchen
box 7/2
— NC Sa
Telephon 12801.
M TES
2
□ l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen;
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiahia, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholn, St. Peterg
ecromnuenblatt, Wien
Ausschnitt aus:
e8 9. 1907
E vom:
Theater und Kunst.
(Bürgertheater.) Zum ersten Male „Das Märchen“, Schau¬
spiel in drei Aufzügen von Artur Schnitzler. In diesem Stück,
das (zur Entschuldigung diene es) # Jahre alt ist, sagt
ein „Moderner“ ob man denn überhaupt schon wisse, was „sensitiv“
bedeutet. Dies scheint die Erkenntnislinie, auf der sich hier der
Dichter fortbewegt, diesen Weg, der den Intellektuellen endlich dort
angekommen zeigt, wo heute der Philister aufhört, läßt er sein
Thema vor sich herlaufen. Und schon im zweiten Akt will es gerne
stehen bleiben, aber der Dichter gibt ihm einen kleinen sanften Stoß
und er geht weiter. Im „Märchen“ sieht man, daß es eigentlich
nicht kurzweilig ist, zuzuschauen, wie einer mit zwanzig Jahren
Revolution getrieben hat, spürt man es sehr, daß tragische Erleb¬
nisse im Imperfektum nur mehr für den lebendig sind, der in ihrer
Erinnerung noch heute tragisch leben kann, daß, was vor einem
Dezennium unerhört, neu, kühn und auch edel war, jetzt einfach fad
ist. Entweder man hat zu einer Sache eine Beziehung oder man hat
keine. Und es wird wohl auch im dritten Bezirk nicht viele Leute
geben, die nach dieser Komödie Herrn Schnitzler für einen kühnen
Hasser aller Philisterie, einen Negierer der sogenannten allgemeinen
Giltigkeiten halten. Dabei ist es eines der Schnitzler=Stücke, in
denen am meisten „geschieht“, in dem ein Problem aufgerollt wird,
das die Leute hin= und herziehen, in dem sie Reden für und
wider eine Sache halten, Standpunkte vertreten, sich gegenseitig
Meinungen an den Kopf werfen, daß es oft einen kleinen Krach
gibt, sich um verworrene Konflikte der Eitelkeit bemühen und wie
kleine Kinder Tragik spielen. Eine junge Dame hat eine Ver¬
gangenheit und „darüber kann kein Mann hinweg: Es ist das
„Sprechen Sie mit Mama“=Stück Schnitzlers, die Komödie, in der
er mit jenen Interessenpakte schließt, die mit einer Nachdenklichkeit
oder einer Wahrheit auf der Zunge aus dem Theater gehen wollen.
Eine schlechte Komödie, in der aller Anatole=Witz im Geräusch der
Phrasen untergeht, man alle die netten sprachlichen Manieren des
Dichters gar nicht zu hören glaubt. Im Lärm um nichts. Und nur
eine Art literar=historische Hochachtung brachte das Werk über ein
paar zum Lachen gefährliche Stellen und erstickte die schon rege ge¬
wordene Spottlaune der Zuhörer. Im Bürgertheater sah man
gestern besser spielen, weil vielleicht zum erstenmal wirklich Theater
gespielt wurde. Vor allem der neue Herr John ist ein außer¬
ordentlich gewandter Schauspieler, der viel geistige Energie und eine
feine, natürliche Erregung aufbringt, die oft sehr stark ins Publikum
schlägt. Fräulein Weede spielte die unglückliche Dame. Sie ver¬
fügt über Gefühl, Empfindung, Leidenschaft, alles hat sie, kann sie,
macht sie, so daß es sich sehr hübsch ansieht. Aber es fehlt etwas,
was man auch in der geschicktesten Routine fühlen muß: das Wesen
einer besonderen Persönlichkeit. Schön ist nur diese vibrierende
Nervosität ihres Gesichtes, aber es steckt wenig dahinter. Die
junge Dame bot eine Enttäuschung freilich nicht ohne jeglichen Reiz.
Vom alten Bürgertheater gefielen die Herren Brückner,
Schwartze, Frau Russeck und Fräulein Brenneis am.
besten.
Telephon 12801.
*
MTIRTTET SWnuu
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
66
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
□0 Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewaur.)
& Ausschnitt aus: VATERLAND, WIEN
5
28 9. 1907
9—
1
Theater und Kunst.
(Bürgertheater.) Es ist schwer, den Irrwegen
zu folgen, welche uns Arthur Schnitzler in seinem heute
zur Erstaufführung gelangten dreiaktigen Schauspiel =Das
Märchen= führt, es verlohnt aber, nebenbei bemerkt,
einer solchen Mühe auch gar nicht. Der Dichter will uns
das =Märchen der Gefallenen= erzählen. Diese, die gefeierte
Schauspielerin Fanny Theren, klammert sich mit der vollen
Glut ihrer Seele an den Dichter Fedor Denner, welcher
wie ein Rohr im Winde hin= und herschwankt und schließlich
die Liebesdurstige ihrem Schicksale preisgibt. Die Vertreterin
der weiblichen Hauptrolle, Olga Weede, wendete ihr
reiches Können auf, und es gelang ihr dadurch eine glaub¬
hafte Figur auf die Bühne zu stellen. Nicht das gleiche gilt
jedoch von dem Darsteller des Dichters, Hermann John;
dieser arbeitete allzusehr mit hohlem Pathos. Die übrigen
Gestalten, welche der Autor auf die Bühne bringt, erregen
wenig Interesse, fanden jedoch zum großen Teile eine gute
Verkörperung. Es ist wohl begreiflich, daß sich der größte
Teil des Auditoriums eigentlich langweilte, dies gab sich
durch jene bekannte nervöse Unruhe im Theater zu erkennen.
Die frenetische Schnitzlergarde arbeitete jedoch mit Hoch¬
druck und ermöglichte dem Autor wiederholtes Erscheinen
auf der Bühne nach der Beendigung des Spieles. Selbst
eine Kranzspende fehlte nicht.
gr.
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Telephon 12801.
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2
□ l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen;
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiahia, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholn, St. Peterg
ecromnuenblatt, Wien
Ausschnitt aus:
e8 9. 1907
E vom:
Theater und Kunst.
(Bürgertheater.) Zum ersten Male „Das Märchen“, Schau¬
spiel in drei Aufzügen von Artur Schnitzler. In diesem Stück,
das (zur Entschuldigung diene es) # Jahre alt ist, sagt
ein „Moderner“ ob man denn überhaupt schon wisse, was „sensitiv“
bedeutet. Dies scheint die Erkenntnislinie, auf der sich hier der
Dichter fortbewegt, diesen Weg, der den Intellektuellen endlich dort
angekommen zeigt, wo heute der Philister aufhört, läßt er sein
Thema vor sich herlaufen. Und schon im zweiten Akt will es gerne
stehen bleiben, aber der Dichter gibt ihm einen kleinen sanften Stoß
und er geht weiter. Im „Märchen“ sieht man, daß es eigentlich
nicht kurzweilig ist, zuzuschauen, wie einer mit zwanzig Jahren
Revolution getrieben hat, spürt man es sehr, daß tragische Erleb¬
nisse im Imperfektum nur mehr für den lebendig sind, der in ihrer
Erinnerung noch heute tragisch leben kann, daß, was vor einem
Dezennium unerhört, neu, kühn und auch edel war, jetzt einfach fad
ist. Entweder man hat zu einer Sache eine Beziehung oder man hat
keine. Und es wird wohl auch im dritten Bezirk nicht viele Leute
geben, die nach dieser Komödie Herrn Schnitzler für einen kühnen
Hasser aller Philisterie, einen Negierer der sogenannten allgemeinen
Giltigkeiten halten. Dabei ist es eines der Schnitzler=Stücke, in
denen am meisten „geschieht“, in dem ein Problem aufgerollt wird,
das die Leute hin= und herziehen, in dem sie Reden für und
wider eine Sache halten, Standpunkte vertreten, sich gegenseitig
Meinungen an den Kopf werfen, daß es oft einen kleinen Krach
gibt, sich um verworrene Konflikte der Eitelkeit bemühen und wie
kleine Kinder Tragik spielen. Eine junge Dame hat eine Ver¬
gangenheit und „darüber kann kein Mann hinweg: Es ist das
„Sprechen Sie mit Mama“=Stück Schnitzlers, die Komödie, in der
er mit jenen Interessenpakte schließt, die mit einer Nachdenklichkeit
oder einer Wahrheit auf der Zunge aus dem Theater gehen wollen.
Eine schlechte Komödie, in der aller Anatole=Witz im Geräusch der
Phrasen untergeht, man alle die netten sprachlichen Manieren des
Dichters gar nicht zu hören glaubt. Im Lärm um nichts. Und nur
eine Art literar=historische Hochachtung brachte das Werk über ein
paar zum Lachen gefährliche Stellen und erstickte die schon rege ge¬
wordene Spottlaune der Zuhörer. Im Bürgertheater sah man
gestern besser spielen, weil vielleicht zum erstenmal wirklich Theater
gespielt wurde. Vor allem der neue Herr John ist ein außer¬
ordentlich gewandter Schauspieler, der viel geistige Energie und eine
feine, natürliche Erregung aufbringt, die oft sehr stark ins Publikum
schlägt. Fräulein Weede spielte die unglückliche Dame. Sie ver¬
fügt über Gefühl, Empfindung, Leidenschaft, alles hat sie, kann sie,
macht sie, so daß es sich sehr hübsch ansieht. Aber es fehlt etwas,
was man auch in der geschicktesten Routine fühlen muß: das Wesen
einer besonderen Persönlichkeit. Schön ist nur diese vibrierende
Nervosität ihres Gesichtes, aber es steckt wenig dahinter. Die
junge Dame bot eine Enttäuschung freilich nicht ohne jeglichen Reiz.
Vom alten Bürgertheater gefielen die Herren Brückner,
Schwartze, Frau Russeck und Fräulein Brenneis am.
besten.
Telephon 12801.
*
MTIRTTET SWnuu
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
66
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
□0 Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewaur.)
& Ausschnitt aus: VATERLAND, WIEN
5
28 9. 1907
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Theater und Kunst.
(Bürgertheater.) Es ist schwer, den Irrwegen
zu folgen, welche uns Arthur Schnitzler in seinem heute
zur Erstaufführung gelangten dreiaktigen Schauspiel =Das
Märchen= führt, es verlohnt aber, nebenbei bemerkt,
einer solchen Mühe auch gar nicht. Der Dichter will uns
das =Märchen der Gefallenen= erzählen. Diese, die gefeierte
Schauspielerin Fanny Theren, klammert sich mit der vollen
Glut ihrer Seele an den Dichter Fedor Denner, welcher
wie ein Rohr im Winde hin= und herschwankt und schließlich
die Liebesdurstige ihrem Schicksale preisgibt. Die Vertreterin
der weiblichen Hauptrolle, Olga Weede, wendete ihr
reiches Können auf, und es gelang ihr dadurch eine glaub¬
hafte Figur auf die Bühne zu stellen. Nicht das gleiche gilt
jedoch von dem Darsteller des Dichters, Hermann John;
dieser arbeitete allzusehr mit hohlem Pathos. Die übrigen
Gestalten, welche der Autor auf die Bühne bringt, erregen
wenig Interesse, fanden jedoch zum großen Teile eine gute
Verkörperung. Es ist wohl begreiflich, daß sich der größte
Teil des Auditoriums eigentlich langweilte, dies gab sich
durch jene bekannte nervöse Unruhe im Theater zu erkennen.
Die frenetische Schnitzlergarde arbeitete jedoch mit Hoch¬
druck und ermöglichte dem Autor wiederholtes Erscheinen
auf der Bühne nach der Beendigung des Spieles. Selbst
eine Kranzspende fehlte nicht.
gr.