3. Das Maerchen
box 7/2
ne neene
Telephon 12801.
AA WESEIm
2
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
60
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, Londen, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
9
(Quellenaugabe ohne Gewähr.)
5 Ausschnitt Beutsches Volksblatt, Wien
530
6
9. 1907
E vom:
Wiener Bürgertheater. Arzneien zu verschreiben
ist kein so gefährliches Wagnis, wie sie selbst einzunehmen.
Ebenso kann man davon überzeugt sein, daß ein Mann,
der im ersten Akte das gewisse Vorurteil gegen gefallene
Mädchen als ein grausames Märchen bezeichnet, daß dieser selbe
Mann im dritten und letzten Akte sich entschieden für die Ehre
bedankt, sich als Ehegatte zum legitimen Nachfolger illegi¬
timer Vorgänger herzugeben. Damit ist auch der Inhalt des
Schauspieles „Das Märchen“ von Artur Schnitzler
erzählt, das gestern im Bürgertheater zum erftenmar auf¬
geführt wurde. Der Vollständigkeit halber ist nur zu er¬
gänzen, daß zwischen dem ersten und dem dritten Akte noch
ein zweiter Akt eingeschoben ist, in dem sich der kluge
Mann von dem unklugen Mädchen ausbrücklich bestätigen
läßt, daß es tatsächlich gefallen ist. Die blödsinnigste
bei
die
herhalten,
dazu
Konversation muß
Dreiaktern gebräuchliche Spieldauer auszufüllen. Von
langweiligen
dem
ist
in
einer Handlung
und auf abgedroschenen Phrasen dahinstelzenden Stücke
auch nicht eine Spur zu entdecken. Mit einem Worte, die
technische Unbeholfenheit und die Gedankenarmut sehen bei
diesem Schauspiele an allen Ecken und Enden hervor. Was
der Autor versäumt hatte, das holte die Claque ein, denn
sie brachte durch ihr wütendes Klatschen und Bravorufen
Handlung und Leben in die Oede. Die Darstellung machte
das Stück nicht besser. Von den neuen schauspielerischen
Kräften, die sich das Bürgertheater eingewirtschaftet hat,
z igten sich die Herren Hermann John, Robert Hart¬
und Fräulein Olga Weede zum erstenmal dem
Wiener Publikum. Herr John und Fräulein Weede
treffen, wie wenigstens gestern zu bemerken war, den rich¬
tigen Ton in Leidenschaftsausbrüchen besser als in der
Kenvrsation, Herr Hartberg spielt mit ruhiger
war?
Wie das Theater besucht
Sicherbeit.
weil
Vorzüglich! Viele waren wohl gekommen,
unter dem „Märchen“ etwas besonders
Pikantes vorstellten und erwarteten — doch ach, sie wurden
grausam enttäuscht! Auf ihre Kosten kam gestern gewiß
nur die Claque. Im ersten Akte hat einmal Frau Russeck
mit den Worten abzugehen: Gehen wir schlafen!“ Gähnend,
wie es sich gebührt, tat sie ihre Pflicht und das ganze
Haus gähnte voll sympathischen Verständnisses mit ihr.
Schon im ersten Akt — das ist sicherlich geuug, wenn nicht
Dr. H. P.
zu viel!
Telephon 12801.
WM A BRInnnn
—
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
*
# hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.
*
Ausschnitt aus:
520
„Wiener Tagblati
& SOm SDTEMFTOD
GUEr
Theater, Kunst und Titeratur.
Bürgertheater. Unter das Bürgertheater wurde
eine literarische Stufe gelegt, damit das Niveau höher
erscheine, und man schritt zu einem interessanten Wagnis.
Arthur Schnitzlers erstes größeres Schauspiel, „Das!
Märchen“ das nöch aus der Zeit der dichterischen Stirn¬
locke stammt, wurde vorgeführt. Ein Erstlingswerk des
Dichters, dessen Name jetzt der Welt gehört, darf man
getrost seinen reisen Schöpfungen gegenüberstellen. Das
biograßhische Kuriosum bringt den gefestigten Ruf nicht ins
Wanken. Blinken doch durch die Fehler des Stückes schon
die Tugenden des Schnitzlerschen Wesens, die wir heute
schätzen. Geist, der seitdem in Schnitzlers Werken reicher
flutete, und Wahrheit, die Schnitzler seitdem tiefer aus der
Seele holte, bricht schon hell aus dem „Märchen“
hervor. Wohl erkennbar ist auch schon Schnitzlers besondere
Art, den Dialog leicht, frei, natürlich und doch
im eigentlichen Begriffe künstlerisch zu bilden, die Rede nicht
spielerisch, sondern durchaus sinnvoll und zweckbewußt dras
matisch zu gestalten. Das „Märchen“ wurde vor vierzehn
Jahren verhöhnt; den Freunden aber, die damals bei der
stürmischen Aufführung des Deutschen Volkstheaters in leb¬
haftem Protest auf die Begabung des jungen Dichters pochten,
hat die Zeit, die Entwicklung des Talents recht gegeben. Un¬
bestimmtheit des Problems und Mezzo=Charaktere auf der
einen Seite, dann aber allzu feine und zugespitzte Be¬
rechnungen, wie sie Schnitzler noch heute liebt, greist man
ruhiger auf als vor dreizehn Jahren, da die Bühne für
solche Dinge erst zubereitet werden mußte. Undwer nimmt jetzt
Anstoß an der rücksichtslos unsympathischen Zeichnung eines
grüblerischen Menschen, der in akademischer Erörterung für die
Aufrichtung der gefallenen Mädchen streitet und im prak¬
tischen Leben das „Märchen“ von der Verlorenen nicht
zu überwinden vermag? So wurde denn dem Experimente
des Bürgertheaters gestern ein literarischer Erfolg zuteil,
Her sich schon in der Zusammensetzung des vornehmen, auf
Schnitzler gestimmten Publikums aussprach. Aber nur in
der Tatsache der Aufführung liegt ein Verdienst — das
Ensemble des Bürgertheaters, so redliche Mühe auch auf¬
gewendet wurde, blieb dem Werke fremd; der Mechanismus
knarrte; Risse, Sprünge, salsche Töne störten; die Darstellung
schob sich schwerfällig von Szene zu Szene; vieles wurde zu
hatt und derb vorgebracht, vieles wieder gänzlich verschlucktt
und so der Aufnahme entzogen. Den Damen Brenneis,
Olga Weede, den Herren John, Brückner, Jules,
Berger, Stollberg und Hartbekg sei jedoch der
Dank für die geleistete Arbeit nicht vorenthalten. Rob. f.
box 7/2
ne neene
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2
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, Londen, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
9
(Quellenaugabe ohne Gewähr.)
5 Ausschnitt Beutsches Volksblatt, Wien
530
6
9. 1907
E vom:
Wiener Bürgertheater. Arzneien zu verschreiben
ist kein so gefährliches Wagnis, wie sie selbst einzunehmen.
Ebenso kann man davon überzeugt sein, daß ein Mann,
der im ersten Akte das gewisse Vorurteil gegen gefallene
Mädchen als ein grausames Märchen bezeichnet, daß dieser selbe
Mann im dritten und letzten Akte sich entschieden für die Ehre
bedankt, sich als Ehegatte zum legitimen Nachfolger illegi¬
timer Vorgänger herzugeben. Damit ist auch der Inhalt des
Schauspieles „Das Märchen“ von Artur Schnitzler
erzählt, das gestern im Bürgertheater zum erftenmar auf¬
geführt wurde. Der Vollständigkeit halber ist nur zu er¬
gänzen, daß zwischen dem ersten und dem dritten Akte noch
ein zweiter Akt eingeschoben ist, in dem sich der kluge
Mann von dem unklugen Mädchen ausbrücklich bestätigen
läßt, daß es tatsächlich gefallen ist. Die blödsinnigste
bei
die
herhalten,
dazu
Konversation muß
Dreiaktern gebräuchliche Spieldauer auszufüllen. Von
langweiligen
dem
ist
in
einer Handlung
und auf abgedroschenen Phrasen dahinstelzenden Stücke
auch nicht eine Spur zu entdecken. Mit einem Worte, die
technische Unbeholfenheit und die Gedankenarmut sehen bei
diesem Schauspiele an allen Ecken und Enden hervor. Was
der Autor versäumt hatte, das holte die Claque ein, denn
sie brachte durch ihr wütendes Klatschen und Bravorufen
Handlung und Leben in die Oede. Die Darstellung machte
das Stück nicht besser. Von den neuen schauspielerischen
Kräften, die sich das Bürgertheater eingewirtschaftet hat,
z igten sich die Herren Hermann John, Robert Hart¬
und Fräulein Olga Weede zum erstenmal dem
Wiener Publikum. Herr John und Fräulein Weede
treffen, wie wenigstens gestern zu bemerken war, den rich¬
tigen Ton in Leidenschaftsausbrüchen besser als in der
Kenvrsation, Herr Hartberg spielt mit ruhiger
war?
Wie das Theater besucht
Sicherbeit.
weil
Vorzüglich! Viele waren wohl gekommen,
unter dem „Märchen“ etwas besonders
Pikantes vorstellten und erwarteten — doch ach, sie wurden
grausam enttäuscht! Auf ihre Kosten kam gestern gewiß
nur die Claque. Im ersten Akte hat einmal Frau Russeck
mit den Worten abzugehen: Gehen wir schlafen!“ Gähnend,
wie es sich gebührt, tat sie ihre Pflicht und das ganze
Haus gähnte voll sympathischen Verständnisses mit ihr.
Schon im ersten Akt — das ist sicherlich geuug, wenn nicht
Dr. H. P.
zu viel!
Telephon 12801.
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O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
*
# hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.
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Ausschnitt aus:
520
„Wiener Tagblati
& SOm SDTEMFTOD
GUEr
Theater, Kunst und Titeratur.
Bürgertheater. Unter das Bürgertheater wurde
eine literarische Stufe gelegt, damit das Niveau höher
erscheine, und man schritt zu einem interessanten Wagnis.
Arthur Schnitzlers erstes größeres Schauspiel, „Das!
Märchen“ das nöch aus der Zeit der dichterischen Stirn¬
locke stammt, wurde vorgeführt. Ein Erstlingswerk des
Dichters, dessen Name jetzt der Welt gehört, darf man
getrost seinen reisen Schöpfungen gegenüberstellen. Das
biograßhische Kuriosum bringt den gefestigten Ruf nicht ins
Wanken. Blinken doch durch die Fehler des Stückes schon
die Tugenden des Schnitzlerschen Wesens, die wir heute
schätzen. Geist, der seitdem in Schnitzlers Werken reicher
flutete, und Wahrheit, die Schnitzler seitdem tiefer aus der
Seele holte, bricht schon hell aus dem „Märchen“
hervor. Wohl erkennbar ist auch schon Schnitzlers besondere
Art, den Dialog leicht, frei, natürlich und doch
im eigentlichen Begriffe künstlerisch zu bilden, die Rede nicht
spielerisch, sondern durchaus sinnvoll und zweckbewußt dras
matisch zu gestalten. Das „Märchen“ wurde vor vierzehn
Jahren verhöhnt; den Freunden aber, die damals bei der
stürmischen Aufführung des Deutschen Volkstheaters in leb¬
haftem Protest auf die Begabung des jungen Dichters pochten,
hat die Zeit, die Entwicklung des Talents recht gegeben. Un¬
bestimmtheit des Problems und Mezzo=Charaktere auf der
einen Seite, dann aber allzu feine und zugespitzte Be¬
rechnungen, wie sie Schnitzler noch heute liebt, greist man
ruhiger auf als vor dreizehn Jahren, da die Bühne für
solche Dinge erst zubereitet werden mußte. Undwer nimmt jetzt
Anstoß an der rücksichtslos unsympathischen Zeichnung eines
grüblerischen Menschen, der in akademischer Erörterung für die
Aufrichtung der gefallenen Mädchen streitet und im prak¬
tischen Leben das „Märchen“ von der Verlorenen nicht
zu überwinden vermag? So wurde denn dem Experimente
des Bürgertheaters gestern ein literarischer Erfolg zuteil,
Her sich schon in der Zusammensetzung des vornehmen, auf
Schnitzler gestimmten Publikums aussprach. Aber nur in
der Tatsache der Aufführung liegt ein Verdienst — das
Ensemble des Bürgertheaters, so redliche Mühe auch auf¬
gewendet wurde, blieb dem Werke fremd; der Mechanismus
knarrte; Risse, Sprünge, salsche Töne störten; die Darstellung
schob sich schwerfällig von Szene zu Szene; vieles wurde zu
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und so der Aufnahme entzogen. Den Damen Brenneis,
Olga Weede, den Herren John, Brückner, Jules,
Berger, Stollberg und Hartbekg sei jedoch der
Dank für die geleistete Arbeit nicht vorenthalten. Rob. f.