II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 66

een sie seil sehem Abend
nicht mehr besucht hat. Warum? Ist es am Ende doch
kein Märchen? Ja, es ist eines. Aber er will alles
wissen. Er will wissen, was er ihr zu verzeihen hat.
Fanny sagt es ihm, und er verzeiht ihr nicht. Oder doch
— vorübergehend. Im Rausch der Liebe nimmt er sie
in seine Arme. Aber im dritten Akt, der ein paar Tage
später spielt, hat das Gift ihre Liebe schon ganz zerstört.
Sie sagen sich harte Worte und gehen am Ende aus¬
einander. Sie, die mittlerweile einen großen Erfolg als
Schauspielerin gehabt hat, nimmt ein glänzendes An¬
erbieten nach Petersburg an und er läßt sie verdrossen
gehen. Es war also doch kein Märchen.
Wir sehen Arthur Schnitzler in diesem Stück, das sein
erstes war und das vor vierzehn Jahren, am 1. Dezember
1893, im Deutschen Volkstheater vom Publikum deutlich
abgelehnt wurde, mi einen Pröbkem sich herumschlagen.
Er war bereits ein fertiger Dichter, „inwendig voller
Figur“, und sah sich von lauter Gestalten umgeben, die
auf die Bühne wollten und mußten. Da griff er dieses
ebenso alte als neue Problem auf, als einen Vorwand,
um seine Figuren in Szene zu setzen. Als ob es dazu
eines Vorwandes bedürfte?. Aber das sah er erst später
ein, daß die Kunst nichts beweisen muß, oder richtiger:
daß sie desto mehr beweist, je weniger sie beweisen will,
weil nur die Absichtslosigkeit überzeugt. Als er es einsah,
schrieb er die Liebelei. Mit diesem Werk hat er sich
selbst gefunden, und in der Folge konnte es sich für ihn
nur noch um ein Tieferwerden, nicht mehr um ein Anders¬
werden handeln. Nun ist es ein exquisiter Genuß, in
diesem „Märchen“ die „Liebelei“ und die folgenden Werke
bereits herauszuspüren. Sie liegen nämlich alle darin, der
ganze spätere Schnitzler. Nur daß die Figuren, die er
später plastisch herausgearbeitet hat, hier noch reliefartig
abgeplattet sind. Da ist Friedrich Witte, der später Anatol
und Theodor Kaiser wird. Er hat seinen richtigen Namen
noch nicht gefunden. Da ist Agathe Müller, die dann
im „Einsamen Weg“ als reife Künstlerin wiederkehrt, Da
ist Fanny Theren, aus der dann später das süße Mädel
wird. Das heißt, ihre eine Hälfte versüßt sich, die andere
geht zum Theater. Auch sie begegnet uns in der Folge
wieder. Und schließlich Fedor Denner, der Grübler, der
Träumer. Er hat Glück bei Frauen, weil er so wunder¬
bar zu leiden versteht. Hier heißt er Fedor und ist ein
Schriftsteller, der sich noch nicht recht traut. Zehn Jahre
später wird er Filippo Loschi heißen und ein Dichter sein.
In seiner Lechnik hat das Stück noch etwas Ge¬
waltsames, wie die Stücke zu junger Dichter oft. Im
zweiten Akt kommt Fanni zu ihrem Liebhaber, und gleich
darauf Witte, der Verführer — zufälligerweise. Im dritten
Akt ist Fanni plötzlich berühmt, und es trifst sich gut,
daß ihr der Agent Moritzky einen äußerst vorteilhaften
Vertrag für Petersburg anbietet und solcherart die Lösung
wesentlich erleichtert. Wie aber, wenn sie nun keinen Er¬
folg gehabt hätte? Das kommt nämlich auch bei Ge¬
fallenen vor. . .. Uebrigens liegt ja der Wert des Stückes
nicht in der Problemstellung und Beweisführung, die viel¬
mehr seine Schwächen bilden. Dieser Schwächen wegen hat
man das Schauspiel seinerzeit abgelehnt. Heute hat es
um seiner Vorzüge willen gefallen. Es ist eine Arbeit,
die den Reflex der späteren Werke des Dichters braucht,
um ins rechte Licht zu kommen. Diese Beleuchtung ward
dem Werke heute zu teil, und so war auch die Aufnahme
eine überaus herzliche. Von der Darstellung wurde der
Dichter nicht gerade unterstützt. Sie war anständig, nicht
mehr. Fräulein Olga Weede, eine nicht unsympathische Er¬
scheinung, war von angenehmer Wärme, solange sie ein¬
fach blieb. Im Affekt übernahm sie sich ebenso wie ihr
Partner Herr John, der neue Liebhaber, den sich das
Bürgertheater aus Hamburg verschrieben hat. Herr John
hat das Grenadiermaß und die hellblonde Korrektheit
norddeutscher Liebhaber. Seine Vorzüge stören bloß. Das¬
selbe gilt von Herrn Hartberg, der in der Rolle des
Dr. Witte alle wienerische Liebenswürdigkeit vermissen
ließ. Welche Idee, diese jungen Wiener Lebemänner von
norddeutschen Schauspielern spielen zu lassen! Auch sonst
war das Niveau der Vorstellung durchaus das einer
mittleren deutschen Provinzbühne, etwa zwischen Leipzig
und Magdeburg.— aber mehr Magdeburg.
R. A.
Das Maerchen
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O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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hagen, London, Madrid, Mailand, „Minheapolis, New-Vork,
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Paris. Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
5 Aussehnitt aus:
8
o.otl. 1o0 Wiener Allgemeine Zeitung, Wien
E vom:
Chrater, Künst und Literatur.
Wien, 29. September.
(Bürgertheater.) Zum erstenmal: „Das
Märchen“ von Arthur Schnitzler. Es ist unbegreiflich, wie
Herr Schnitzler dies zugeben konnte. Er ist doch noch nicht so
neit entrückrstlerschaft noch nicht so dicht vom
Glanz der Ewigkeit umsponnen, als daß er ein gewaltiges
historisches Interesse für seine literarischen Anfänge vermuten
könnte; ein historisches Interesse, kräftig genug, um alles
ästhetische Mißbehagen zu verdrängen. Auf dem billigen
Gefühls= und Gedankenmobiliar dieses Jugendwerkes liegen
de Debatten wie fingerdicker Staub, und kreuz und quer durch
gen dramatischen Raum hat die Langeweile ihre derbsten
Epinnfäden gezogen. Wozu dies Ganze neuerdings der freien
Auft aussetzen? Und nicht nur der Luft schlechtweg, sondern
Fesem Sturm entfesselter Talentlosigkeit, der gestern über die
Bühno des Bürgertheaters segte? Es war ein peinlicher Abend.!
Und wirklich fäst geeignet, das ganze Märchen von Arthur
Schnitzler umzubringen.
Telephon 12801.
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O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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Vertretungen
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# hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
O
(Quellenangabe ohne Gewühr.
=Ausschnitt
wreslauer Zeitung
29 9. 150
E vom:
Dramatische Chronik. Das Wiener Bürger¬
shrater hal Arthur Schnitzlerserstes größeres, in seiner Ent¬
ehungszeit 14 Jahre und damals in einer stürmischen
Aufführung des Deutschen Volkstheaters mit Hohn abgelehntes Schau¬
Fiel „Märchen“ aufgeführt. Dem Experiment wurde ein rein lite¬
#rischer Erfolg zuteil.