II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 71

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3. Das Maerchen
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Telephon 12801.
I End
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
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Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Gnellenangabe ohne Gewähr.)
6 Ausschnitt aus:
Die Wage, Wien
E vom:
S
N0 1907
Auch im Bürgertheater saßen wir neulich zu Gerichte. Aber weniger über den Autor,
Artur Schnitzler=dessen-dreiaktiges Schauspiel „Märchen“ an uns wrüberzog, als über das
Pilblikum, das vor nun reichlich vierzehn Jahren diesen dramatischen Erstling verhöhnt und
verpfiffen hat. Mit Recht? Das war die Frage. Und wir entschieden sie, wir heutiges Publikum,
indem wir heftig Beifall klatschten. Sehen wir aber etwas kritischer zu, so werden wir zu der
Erkenntnis geführt, daß dieser Erfolg nicht minder übertrieben war wie jene krasse Niederlage.
Wir wollten es diesmal nicht nur besser wissen als die vor uns, wir kamen auch impressioniert
von dem Ruhm, der dem Dichter inzwischen freundlich erblüht ist. Jawehl, das Stück als solches
rechtfertigt den Sieg nicht ganz, den es jetzt eben gewann. Da ist ein junger Wiener Lebemann,
der mit Künstlern verkehrt und eine freiere Lebensauffassung hat. Und im Diskurs mit Banausen,
in der Wohnung einer etwas beschränkten ehrsamen Wittib und ihrer beiden Töchter, enthüllt
er sich geradezu als Anwalt jener almen Mädchen, die einmal fielen und nun wie Minderwertige,
wie Aussätzige von der Gesellschaft gemerkt und gemieden werden. Als sein beredter Speech zu
Ende, die anderen fort, er selbst mit Fanny, einer der Töchter des Hauses, allein ist, stürzt
diese auf ihn zu, beugt sich in leidenschaftlicher Erregtheit auf seine Hand und küßt sie stürmisch.
Er weiß genug. Aber nun er Gelegenheit hat, seine Theorien in die Praxis überzuführen und
Fanny, die er liebt, zu seiner Frau zu machen, da zeigt es sich, daß dieser Herr Fedor ein
Mensch ist, wie die anderen Männer alle, daß er von jenen alten Vorurteilen ebenso beherrscht
ist wie sie, und daß er über Fannys Vergangenheit trotz aller Qual nicht hinweg kann. Immer
wieder steigen die Zweifel an Fannys Liebe in ihm auf, immer wieder erniedrigt und martert
er sie mit den Schatten ihrer früheren Intimitäten, vergeblich ist ihr Appell, daß ja auch er
früher nicht völlig rein blieb und ihr jetzt dennoch ehrlich zugetan sei, und als ihr, die
Schauspielerin ist, zufällig ein glänzendes Engagement im fernen Petersburg winkt, da rät er
der Zerquälten hart, zu reisen. Das Problem, das hier aufgerollt ist und das später auch Wede¬
kind in seiner „Hidalla“ keck gestreift hat, ist gewiß höchst interessant. Aber mich dünkt, es hätten
sich ungleich tiefere und mächtigere Eindrücke daraus hervorholen lassen, hütte der Dichter nur
mit etwas kräftigeren Fäusten zugepackt. Der junge Mann hätte die einmal Gestrauchelte
heiraten müssen. Er wäre dann nicht gar so schwach, so haltlos und so jämmerlich erschienen,
wie er nun erscheint, und seine Neigung zu Fanny hätte tiefer und echter angemutet. Wir hätten
dann an seine Liebe wehr geglaubt, und wenn nun in der Ehe die Skrupel über Fannys Ver¬
gangenheit in ihm aufgewacht wären, in ihm gebohrt und vernichtend rumort hätten, dann
hätte uns dieser Kampf zwischen seiner Liebe und seinen Skrupeln viel wärmer und inniger
bewegt als jetzt. Von den technischen Mängeln des Werkes sehen wir ab. Es ist eben ein
Jugendwerk, das sagt alles. Die Darstellung ging mit großer Sorgfalt, ja Hingebung auf des
Dichters Absichten glücklich ein, und es war nicht zum wenigsten das Verdienst der Damen Weede
(Fanny) und von Brenneis, der Herren John (Fedor), Brückner und Schwarze, wenn dieses
Rudolf Strauß.
Schauspiel nun so levhaft akklamiert wurde.