II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 80

eennen
und geirrt habe, spiter nicht miehr Liche zu glauden und und Ingend.
nirgends vollzieht sich dieser Wechsel der Generationen ohne
spielt, will hoch hinaus
jeden Weg zu versperren. Damit erst erniedrige man ein
Kampf und Krampf, überall erscheinen Umsturz und Erschüt¬
mit Ersparnissen und
solches Weib, mache ihm die Rückkehr unmöglich und stoße es
terung gepaart, und damit die Saat tief eindringe, muß erst
dinand aber macht sich
tiefer und tiefer. Es sei an der Zeit, das Märchen von den
das scharfe Eisen des Pflugs die Erdschollen zerschneiden.
durchkreuzt sie vielmehr
Gefallenen endlich einmal aus der Welt zu schaffen und diesen
Ein Däne, ein Wiener und eine Rheinländerin haben
mädel folgenreiche Bez
Mädchen die nagende Reue von der Seele zu nehmen, die
von diesem ungeheuren Tragödien= und Komödienstoff kleine
Mutter erfährt, über
ihnen nichts nütze, andern nichts nütze und sie nur elend
Bröckelchen abgesplittert und mit Künstlerhand zu formen
andern Bezirk und Fe
mache. Als Denner fortgeht, küßt ihm die Schauspielerin,
versucht: Gustav Esmann in seinem dreiaktigen Lustspiel
mit der Bauerndirne z#
der er sich noch nicht erklärt hatte, die Hand. Jetzt weiß er,
„Das alte Heim“ (Wiener Première am 25. September im
den kleinen Greisler=
daß er die Probe auf seine eigene Theorie zu bestehen haben
Raimundtheater), Artur Schpitzler in seinem Schau¬
ruht nicht, bis sie den
wird. Und er besteht sie nicht. Er quält das Mädchen, das
spiel in drei Aufzügen „Das Märchen“ (Wiener Premiere
daß sie dem Waschlap
ihm alles sagt und alles gibt, er mißtraut, er martert sie
der neuen Bearbeitung am 27. September im Bürgertheater)
mit sich selbst anbieten
und sich, ganz nach den Regeln der alten Schule, bis sie ihm
und Klara Viebig in ihrem Dramenzyklus „Der Kampf
Sie rührt durch ihre
endlich nach zwei von gegenseitiger Zerfleischung erfüllten
um den Mann“ (Wiener Première am 24. September im
daß hier ausnahmswe
Akten zuruft: „Es ist genug, Fedor! Geh! Wenn du zu eitel
Lustspieltheater).
wohl auch in diesem F
bist, um mit meiner Liebe glücklich zu sein, zu feig, um an
Am zartesten faßt Esmann das Problem, wie ja Däne¬
schen alt und jung fri
mich zu glauben. Wenn du mich verachtest, an den ich mich
marks Dichtung überhaupt, soweit sie uns Deutschen nahege¬
Für Frau Niesel
klammern wollte, du mich in die Tiefe stößt, der dastand
kommen ist, mattfarbig und blaß erscheint, milder Glanz und
erworben und die Kür
und ausrief: Nehmt die Reue von ihnen!, dann nimm alle
stilles Leuchten. Jens Peter Jakobsen, Nansen, Larsen. Oder
Vertrauens würdig.
Schuld auf dich, was immer aus mir werden mag. Ich bin
Wied und Lange. Esman, der schon ein paar Jahre tot ist, hat
ersten, als tschechisch
es müde, um deine Gnade zu flehen wie eine Sünderin und
in einer Übergangszeit gelebt und war selber ein „Übergäng¬
bitschka im zweiten un
vor einem auf den Knien zu liegen, der um nichts besser ist
ling“. Das Neue in der Kunst drang aus Deutschland, Frank¬
vergeßliche Charakterb#
als ich.“ Nach diesen Worten unterschreibt sie einen Kontrakt.
reich und Rußland mit Macht herein ins kleine Dänemark,
der sie von Wien weg nach Pelersburg entführt und Denner
Wien, Anfang 4
vom Typus Brandes gelehrt und gefördert. Esmann stand
eilt fort.
zwischen einer schwindenden und einer kommenden Zeit. Sein
Vor fünfzehn Jahren im Volkstheater abgelehnt und
Intellekt ging mit dem Neuen, wo sein Herz am Alten hing.
jetzt im Bürgertheater freundlich aufgenommen, wurde das
Diesen eigenen inneren Konflikt hat er nach außen hin in dra¬
Schauspiel von der Kritik im großen und ganzen ziemlich
matische Kunstwerke projiziert, und so entstand „Vater und
unliebenswürdig als Thesenstück behandelt. Die Sache ist
Sohn“ so entstand „Das alte Heim" Er nahm sich die zwei
aber gar nicht so schlimm. Die These wirkt nur aufdring¬
streitenden Seelen aus der Brust und gab die eine der alten
licher als in späteren Arbeiten Schnitzlers, weil es der Autor
Tante Urania Rabe, der Wahrerin aller ehrwürdigen Tradi¬
zu jener Zeit noch nicht so gut verstanden hat, seine Gedanken
tionen auf Rabesholm, die andere aber erhielt das junge,
in künstlerische Formen umzusetzen, wie er das heute versteht.
umsturzlustige Fräulein Asta Vogel, Architekt. Viele Ge¬
Manches hat übrigens die neue Bearbeitung, die erst 1902
nerationen hindurch war Rabesholm der reichste und vor¬
bei S. Fischer erschienen und im Bürgertheater benutzt
nehmste Edelsitz in der Nachbarschaft von Kopenhagen. Rabes¬
wurde, gebessert. Ganz aus einem Guß ist das Schauspiel
holm hatte die feinsten Möbel, die ältesten Linden, die schön¬
freilich auf diese Art nicht geworden. Die Darstellung war
sten ersten Erdbeeren und die weißesten Tauben. Aber die Zeit
zum Teil recht gut; besonders ein Fräulein Weede als
ändert sich, und am bittersten bekommt dies der Konservative
Fonny kam dem Dichter mit einfacher, zu Herzen gehender
zu spüren. Tante Urania war immer gegen jede Neuerung;
Natürlichkeit zu Hilfe.
so muß sie es mitansehen, wie der Ertrag des Gutes, das
Besonders heftig und erbarmungslos gestaltek sich der
unrationell und unmodern bewirtschaftet wird, von Jahr zu
Kampf zwischen alt und jung, wenn Frauen verschiedenen
Jahr zurückgeht, wie die weißen Tauben aussterben, weil sie
Alters um einen und denselben Mann kämpfen. Dies ist der
nicht gekreuzt werden, und wie die Erdbeeren schlechter und
Stoff zweier Einakter aus dem vierteiligen Dramenzyklus
später kommen, weil die Beete nicht berührt und aufgefrischt
„Der Kampf um den Mann“ von Klara Viebig. Die Ko¬
werden dürfen. Näher und näher rückt die Stadt mit ihren
mödie „Fräulein Freschbolzen“ ist in Wien nicht
Fangarmen, Straßen, Kanälen und Fabrikschornsteinen. Das
gespielt worden, wohl deshalb, weil eine Aufführung aller
Gut steht vor dem Bankerott, das ganze Besitztum wird ver¬
vier Dramen die übliche Ausdehnung eines Theaterabends
kauft werden müssen. Tante Urania würde das nicht über¬
überschritte und auch weil ihr Inhalt spezifisch berlinisch ist.
leben. Da kommt Hilfe aus dem feindlichen Lager, von der
„Fräulein Freschbolzen“ ist die ältliche Inhaberin eines
verhaßten, freigesinnten Jugend. Ein Neffe, der junge Juris¬
Schneiderateliers; Herr Versicherungsagent Gustav Kundke
doktor Erik Rabe, hat sich ganz gegen Wunsch und Willen des
läßt sich von ihr aushalten und verputzt ihr sauer verdientes
tantlichen Familienhauptes nicht mit seiner Cousine Emmy
Geld mit ihren Nähmamsells, bis er durch Unterschlagung
Rabe, sondern mit einer fürchterlich modernen jungen Dame
von einkassierten 450 Mark und durch einen Ballbesuch mit
aus der Stadt, einem Fräulein Architekt, verlobt. Verzweifelt
dem Nähmädchen Meyer die Sache zum Klappen bringt. Das
kämpft Tante Rabe um ihre Oberhoheit auf dem Familien=,
Drama „Die Bäuerin“, führt uns auf den Mitte=Lange¬
wie auf dem Wirtschaftsgebiete. Vergebens. Sie unterliegt,
Hof, den reichsten im Dorf. Die alternde Mitte=Lange¬
der Verkauf und die Parzellierung von Rabesholm wird be¬
Bäuerin hat sich den um fünfzehn Jahre jüngeren Knecht
schlossen. Wie herb und grausam ließe wohl das Leben diese
Reinhold May für ihr vieles Geld als Mann gekauft. Nun
Geschichte enden! Esmann wollte aber ein Lustspiel schreiben.
ist der junge Mann todkrank geworden und im Fieber
Darum beglückt er das Fräulein Architekt mit einem großen
schwätzt er aus, daß er sein Weib mit der jungen schönen
Vermögen und läßt sie mit ihrem Schatze erst am Schlusse
Pioschek=Cilla betrogen hat. Da kniet die Bäuerin nieder vor
des letzten Aktes herausrücken. So geht Rabesholm nicht an
dem Muttergottesbild: „Laß ihn sterben, Maria! Laß ihn
Fremde über, Tante Urania behält das alte Heim mit den
sterben! Ich gelob’ der auch so viel als de willst: Altarkerzen,
feinen Möbeln, der Linde und den späten Erdbeeren; die
Blumensträuß', ’ne neue Kron — sie is arm, sie kann der
Wiesen und Acker aber wird Fräulein Architekt mit vielen
nischte geben, de Cille, aber ich, ich bin de Reichste im Dorf,
Häuschen für sich und für Fremde bebauen, in dem neuen
ich, de Mitte=Lange=Bäuerin, ich! Hör' uf mich. Mein is er.
Stil, den sie (hoffentlich bei Otto Wagner) gelernt hat.
Ich tu's fühlen, se will'n mer nehmen — die Hübsche, die
Auch in seiner ganzen Technik pendelt Esmann zwischen
Junge, wie se lachen tut! — Sie wird ihn mer nehmen —
zwei Zeiten, jede Grellheit ist vermieden, die Ausführung ist
ich weiß, ich tu's fühlen, ich tu mer nich irren, ja aber se
stellenweise eher novellistisch als dramatisch und nur bei einer
solk ihn nich kriegen! Drum laß ihn sterben, laß ihn glei
so diskreten, so gut abgestimmten Darstellung, wie sie das
sterben! Maria hilf! Gegrüßet seist du, Maria, voll der
Raimundtheater diesmal bot, und nur bei so willig mitgehen¬
Gnaden — auslachen täten se mer: die Alte, die Garschtige,
den Zuschauern, wie sie diesmal vorhanden waren, ist das
das hat se dervonne, was hat se sich den Jungen, den Lusti¬
Lustspiel auf der Bühne möglich.
gen, den Hübschen genommen, jung gehört zu jung. — Mein
Auch Artur Schnitzlers vor einem halben Menschenalter
muß er bleiben — laß ihn sterben!" Dann kommen
veröffentlichtes Jugendwerk „Das Märchen“ baut sich auf
die Rosenkranzjungfern, um dem Bauer durch ihr Gebet das
dem Gegensatz alter und neuen Ideen auf. Das Stück spielt
Sterben zu erleichtern. Die Cilla, die unter ihnen ist, wird
in einem Kreise von Schriftstellern, Malern und Studenten,
m jenem Kreise von Jung=Wien, dem der Dichter selber, ob= ohnmächtig und muß an die Luft gebracht werden. Der