II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 79

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Das Maerchen
3. Jas Rauhen
Alt und jung.
Wiener Theaterbrief von Wilhelm v. Wymetal.
Auf drei Wiener Bühnen ist von sehr verschieden gearte¬
den Dichtern in sehr verschiedener Weise das gleiche Thema be¬
handelt worden: der grausame, schmerzhafte und doch not¬
wendige Kampf zwischen Alter und Jugend, der sich auf
unserer besten aller Welten jedenorts abspielt, ohne Aussicht je
zu enden. Nichts hat Bestand, das alte Volk weicht dem jun¬
gen, die überlebte, überreift Kultur der neuen werdenden,
Ideen und Ideale, Staats=, Wirtschafts=, Parteien= und
Kunstformen lösen einandex ab wie Väter und Söhne. Und
nirgends vollzieht sich dieser Wechsel der Generationen ohne
Kampf und Krampf, überall erscheinen Umsturz und Erschüt¬
terung gepaart, und damit die Saat tief eindringe, muß erst
das scharfe Eisen des Pflugs die Erdschollen zerschneiden.
Ein Däne, ein Wiener und eine Rheinländerin haben
von diesem ungeheuren Tragödien= und Komödienstoff kleine
Bröckelchen abgesplittert und mit Künstlerhand zu formen
versucht: Gustav Esmann in seinem dreiaktigen Lustspiel
„Das alte Heim“ (Wiener Première am 25. September im
Raimundtheater), Artur Schnitzler in seinem Schau¬
spiel in drei Aufzügen „Das Marchen“ (Wiener Première
der neuen Bearbeitung am 27. September im Bürgertheater)
und Klara Viebig in ihrem Dramenzyklus „Der Kampf
um den Mann“ (Wiener Première am 24. September im
Lustspieltheater).
Am zartesten faßt Esmann das Problem, wie ja Däne¬
marks Dichtung überhaupt, soweit sie uns Deutschen nahege¬
kommen ist, mattfarbig und blaß erscheint, milder Glanz und
stilles Leuchten. Jens Peter Jakobsen, Nansen, Larsen. Oder
Wied und Lange. Esman, der schon ein paar Jahre tot ist, hat
in einer Übergangszeit gelebt und war selber ein „Übergäng¬
ling". Das Neue in der Kunst drang aus Deutschland, Frank¬
reich und Rußland mit Macht herein ins kleine Dänemark,
vom Typus Brandes gelehrt und gefördert. Esmann stand
zwischen einer schwindenden und einer kommenden Zeit. Sein
Intellekt ging mit dem Neuen, wo sein Herz am Alten hing.
Diesen eigenen inneren Konflikt hat er nach außen hin in dra¬
matische Kunstwerke projiziert, und so entstand „Vater und
Sohn“ so entstand „Das alte Heim". Er nahm sich die zwei
streitenden Seelen aus der Brust und gab die eine der alten
Tante Urania Rabe, der Wahrerin aller ehrwürdigen Tradi¬
tionen auf Rabesholm, die andere aber erhielt das junge,
umsturzlustige Fräulein Asta Vogel, Architekt. Viele Ge¬
nerationen hindurch war Rabesholm der reichste und vor¬
nehmste Edelsitz in der Nachbarschaft von Kopenhagen. Rabes¬
holm hatte die feinsten Möbel, die ältesten Linden, die schön¬
sten ersten Erdbeeren und die weißesten Tauben. Aber die Zeit
ändert sich, und am bittersten bekommt dies der Konservative
zu spüren. Ta##e Urania war immer gegen jede Neuerung;
so muß sie es mitansehen, wie der Ertrag des Gutes, das
unrationell und unmodern bewirtschaftet wird, von Jahr zu
Jahr zurückgeht, wie die weißen Tauben aussterben, weil sie
nicht gekreuzt werden, und wie die Erdbeeren schlechter und
später kommen, weil die Beete nicht berührt und aufgefrischt
werden dürfen. Näher und näher rückt die Stadt mit ihren
Fangarmen, Straßen, Kanälen und Fabrikschornsteinen. Das
Gut steht vor dem Bankerott, das ganze Besitztum wird ver¬
kauft werden müssen. Tante Urania würde das nicht über¬
leben. Da kommt Hilfe aus dem feindlichen Lager, von der
verhaßten, freigesinnten Jugend. Ein Neffe, der junge Juris¬
doktor Erik Rabe, hat sich ganz gegen Wunsch und Willen des
tantlichen Familienhauptes nicht mit seiner Cousine Emmy
Rabe, sondern mit einer fürchterlich modernen jungen Dame
aus der Stadt, einem Fräulein Architekt, verlobt. Verzweifelt
kämpft Tante Rabe um ihre Oberhoheit auf dem Familien=,
wie auf dem Wirtschaftsgebiete. Vergebens. Sie unterliegt,
der Verkauf und die Parzellierung von Rabesholm wird be¬
schlossen. Wie herb und grausam ließe wohl das Leben diese
Geschichte enden! Esmann wollte aber ein Lustspiel schreiben.
Darum beglückt er das Fräulein Architekt mit einem großen
Vermögen und läßt sie mit ihrem Schatze erst am Schlusse
des letzten Aktes herausrücken. So geht Rabesholm nicht an
Fremde über, Tante Urania behält das alte Heim mit den
bein, der Linde und den späten Erdbeeren; die
B
wohl er aus sehr bemitteltem Hause war, längere Zeit an= Bauer richtel sh mun
gehörte. Wer weiß, ob er sich in dem Helden Fedor Denner preßt ihm die Hand auf
rücksinkt. Jetzt gehört er
nicht selbst gezeichnet hat, wie er damals, als er zugleich
kann ihr ihn niemand me
den Anatol schrieb, dachte und empfand. An einem anregen¬
Das zweite Drama „
den Gesellschaftsabend im Hause der Schauspielerin Fanny
ger grauenvoll. Es gelei
Theren, der Fedors Herz gehört, kommt Denner auf das
undöffnetunsdie Seele ei
„Märchen“ von der Gefallenen zu reden. Er findet es höchst
rung, Anständigkeit, Wol
anmaßend von der Gesellschaft, ein Weib einfach darum, weil
wissen will und nur ein
es wahr und natürlich liebte, mit gedankenloser Verachtung
„Kerl“. Der vierte (im
aus ihrem Kreise auszuschließen. Wir hätten kein Recht, Un¬
ein Volksstück und heißt
natürliches zu fordern und für Natürliches zu strafen. Es sei
ter“ heißen und bringt i
Schablone und Vorurteil, einem Mädchen, das einmal geliebt
und Jugend. Die alte Gi
und geirrt habe, später nicht mehr Liebe zu glauben und
spielt, will hoch hinaus m
jeden Weg zu versperren. Damit erst erniedrige man ein
mit Ersparnissen und Erh
solches Weib, mache ihm die Rückkehr unmöglich und stoße es
dinand aber macht sich w
tiefer und tiefer. Es sei an der Zeit, das Märchen von den
durchkreuzt sie vielmehr,
Gefallenen endlich einmal aus der Welt zu schaffen und diesen
mädel folgenreiche Beziel
Mädchen die nagende Reue von der Seele zu nehmen, die
Mutter erfährt, übersied
ihnen nichts nütze, andern nichts nütze und sie nur elend
andern Bezirk und Ferd
mache. Als Denner fortgeht, küßt ihm die Schauspielerin,
mit der Bauerndirne zu b
der er sich noch nicht erklärt hatte, die Hand. Jetzt weiß er,
den kleinen Greisler=En
daß er die Probe auf seine eigene Theorie zu bestehen haben
ruht nicht, bis sie den F#
wird. Und er besteht sie nicht. Er quält das Mädchen, das
daß sie dem Waschlappe
ihm alles sagt und alles gibt, er mißtraut, er martert sie
mit sich selbst anbieten ka
und sich, ganz nach den Regeln der alten Schule, bis sie ihm
Sie rührt durch ihre Bel
endlich nach zwei von gegenseitiger Zerfleischung erfüllten
daß hier ausnahmsweis
Akten zuruft: „Es ist genug, Fedor! Geh! Wenn du zu eitel
wohl auch in diesem Fall
bist, um mit meiner Liebe glücklich zu sein, zu feig, um an
schen alt und jung fried
mich zu glauben. Wenn du mich verachtest, an den ich mich
Für Frau Nieseh
klammern wollte, du mich in die Tiefe stößt, der dastand
erworben und die Künst
und ausrief: Nehmt die Reue von ihnen!, dann nimm alle
Vertrauens würdig. Sie
Schuld auf dich, was immer aus mir werden mag. Ich bin
fersten, als tschechische
es müde, um deine Gnade zu flehen wie eine Sünderin und
bitschka im zweiten und
vor einem auf den Knien zu liegen, der um nichts besser ist
vergeßliche Charakterbild
als ich.“ Nach diesen Worten unterschreibt sie einen Kontrakt.
der sie von Wien weg nach Pelersburg entführt und Tenner
Wien, Anfang Okt
eilt fort.
Vor fünfzehn Jahren im Volkstheater abgelehnt und
jetzt im Bürgertheater freundlich aufgenommen, wurde das
Schauspiel von der Kritik im großen und ganzen ziemlich
unliebenswürdig als Thesenstück behandelt. Die Sache ist
aber gar nicht so schlimm. Die These wirkt nur aufdring¬
licher als in späteren Arbeiten Schnitzlers, weil es der Autor
zu jener Zeit noch nicht so gut verstanden hat, seine Gedanken
in künstlerische Formen umzusetzen, wie er das heute versteht.
Manches hat übrigens die neue Bearbeitung, die erst 1902
bei S. Fischer erschienen und im Bürgertheater benutzt
wurde, gebessert. Ganz aus einem Guß ist das Schauspiel
freilich auf diese Art nicht geworden. Die Darstellung war
zum Teil recht gut; besonders ein Fräulein Weede als
Fanny kam dem Dichter mit einfacher, zu Herzen gehender
Natürlichkeit zu Hilfe.
Besonders heftig und erbarmungslos gestaltek sich der
Kampf zwischen alt und jung, wenn Frauen verschiedenen
Alters um einen und denselben Mann kämpfen. Dies ist der
Stoff zweier Einakter aus dem vierteiligen Dramenzyklus
„Der Kampf um den Mann“ von Klara Viebig. Die Ko¬
mödie „Fräulein Freschbolzen“ ist in Wien nicht
gespielt worden, wohl deshalb, weil eine Aufführung aller
vier Dramen die übliche Ausdehnung eines Theaterabends
überschritte und auch weil ihr Inhalt spezifisch berlinisch ist.
„Fräulein Freschbolzen“ ist die ältliche Inhaberin eines
Schneiderateliers; Herr Versicherungsagent Gustav Kundke
läßt sich von ihr aushalten und verputzt ihr sauer verdientes
Geld mit ihren Nähmamsells, bis er durch Unterschlagung
von einkassierten 450 Mark und durch einen Ballbesuch mit
dem Nähmädchen Meyer die Sache zum Klappen bringt. Das
Drama „Die Bäuerin“, führt uns auf den Mitte=Lange¬
Hof, den reichsten im Dorf. Die alternde Mitte=Lange¬
Bäuerin hat sich den um fünfzehn Jahre jüngeren Knecht
Reinhold May für ihr vieles Geld als Mann gekauft. Nun
ist der junge Mann todkrank geworden und im Fieber
schwätzt er aus, daß er sein Weib mit der jungen schönen
Pioschek=Cilla betrogen hat. Da kniet die Bäuerin nieder vor
dem Muttergottesbild: „Laß ihn sterben, Maria! Laß ihn
sterben! Ich gelob’ der auch so viel als de willst: Altarkerzen,