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ung gepredigt und ein charmanter Anhänger der
freien Liebe entpuppt sich in seinem Sonderfalle
als sentimentaler Spießer und blinder Moralist.
Sphärisch gehört das Stück zu der kurzatmigen
Aufklärungsperiode, die seinerzeit Felix Dörmann
eingeleitet hat.
Schnitzler geriet aus dieser, ihre Kühnheit
uverschatzenden rhetorischen Erlösungspose bald
hinaus, um sich (nicht ohne Rückfälle) gegenstand¬
licherer Gestaltung zuzuwenden. Es ist eine Grau¬
samkeit gegen sich selber, wenn er die Wieder¬
einführung einer schwächlichen, geistig mageren,
durch das Milieu nicht gestärkten, sondern bana¬
lisierten Vorstudie feines Interessengebietes zu¬
ließ. Sie hat bloß philologischen Wert, indem sie
zwar Ansätze des späteren Schnitzlers bietet, aber
auch gerade das dramatisiert, was der reifende
Dramatiker mit gutem Grunde ausschaltete. Wäre
Schnitzler ein Gestalter so verthranter Liebhaber
geworden, wie im „Märchen“ einer als Bewer¬
ber einer jungen Diva herumläuft, um ihr
ohne Not, gegen sein Gefühl, bloß aus säuerlicher
Bedenklichkeit den Laufpaß zu geben, hätte er
seine Frauen so backfischhaft in ihrer Freizügigkeit,
o gefühlsduselig in ihrer Emanzipation gezeich¬
net wie dieses moralische Zwitter junger Schau¬
pielerin, er hätte sich niemals als empfindsamer
Charakteristiker und farbiger Kolorist der Wiener
Athomsphäre durchgesetzt. Diese von ihm selbst
weit überholte Arbeit bietet keinen Anlaß, das
roblemn Schnitzler an heutigen Bedürfnissen der
ene zu messen. Sicheres Zeitgefühl hätte inn
freilich vor einer überflüssigen Preisgabe durch
ein verblichenes, den Typus des Gesellschafts¬
dramatikens entwertendes Jugendstück bewahren
müssen.
Die Rücksichtslosigkeit Schnitzlers gegen sich
selber wurde durch eine Inszenierung verschärft,
die ihresgleichen auch in einer verwilderten,
planlos desorganisierten Zeit suchen muß. Wenn
es noch einer Bestätigung bedurft hätte, welchen
Gefahren die Berliner Theaterverhältnisse durch
das Rottersystem ausgesetzt waren, könnte man
kein schlagenderes Beispiel finden. Man hat auf
Berliner B den, auch draußen in den Vorstädten,
selten ein so verwaschene, textlich zerfahrene, mit
so viel falschen Tönen gesegnete, mit einer so
jämmerlichen Besetzung herabgewürdigte Auf¬
führung gesehen. Der Regisseur und Haupt¬
darsteller des Abends Curt von Möllendorf
hat freilich ein paar Tage vorher eine Operation
durchgemacht, und man erzählt sich, de er seine
Rolle im bandagierten Zustande svielte. Um so
verwunderter war man über den Aufwand von
anstrengendem Pathos, da eine geschmackvollere,
zurückhalltend gedeckte Auffassung auch seiner Ge¬
sundheit bekömmlicher gewesen wäre. Kaiser¬
[Tietz war so schlau, unter Pseudonym aufzu¬
treten. Weitere Koryphäen des Abends waren
Rudolf Eitlinger und Elsa Wasa. Die trostlose
Umgebung entfärbte selbst ihre Mäßigkeit.
Unter solchen trübsinnigen Umständen kam
auch die junge Camilla Spira um die Mög¬
lichkeit, ihre zwischen den Vorbildern Dorsch und
Valetti schwankende Begabung durchzuhalten.
Alle ihre wesensfrischen Ansätze gingen in der
Sphäre schlampiaster Beiläufigkeit unter.
Ein gespenstischer Abend. Emil Faktor.
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3. Das Maerchen
ene
—
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N4
#, Berlin
1925
Im Lessingtheater wurde am Sonnabend Schnitzlers
„Märchen aufgeführt. Es war ein fruchtloses Experiment,
dieses an sich schon ziemlich unverständliche Stück von dem Vor¬
urteil gegen das „Mädchen mit der Vergangenheit“, das allen¬
falls noch im Wiener Dialekt und Wiener Milieu einige Wirkung
hätte, „deutsch“ zu geben. Das „Märchen“, das gar keins ist, soll
Wahrheit sein; und das ist es auch nicht. Und so quält sich die
Geschichte über drei Akte hinweg. Auch das Spiel stand unter¬
dem Eindruck der vergeblichen Mühe. Camilla Spiras
Fanny war eine Kraftanstrengung, der sie nicht ganz gewachsen
war, wenn sie auch in dem seelenaufwühlenden 2. Akt echte
Herzenstöne fand, Else Wasas Klara war abgerundet und
klar. Gut waren auch noch die Herren Lettinger, Kaiser¬
Tietz, v. Möllendorff, Klubertanz und Otters¬
hausen. Die Ninette und die Emmi waren dagegen finsterste
Provinz. Der Beifall war lau. Man applaudierte der Spira,
die dem Ganzen doch noch ein wenig Richtung gab.
Dr. Max Goldschmielt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telefon: Norden 3051
der Nont de Morgen.
Berlin, d. 16, J. 1925
Das Märchen im Le singtheater
Arthur Schnitziers Anfangsarbeit, das gesprächse
reiche Schauspiel „Das Märchen“, wurde Sonn¬
abends im Lessingtheater zum ersten Mal gegeben.
Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt, daß es
eine schlechtere Vorstellung seit vielen Jahren im
Lessingtheater und in Berlin überhaupt seit vielen
Jahren nicht gegeben hat. Nur Camilla
Spira, die ein Naturtalent ist mit frischen Far¬
ben und froher Kraft, wur großstadtwürdig. Wollen
die Brüder Rotter uns allen den Abschied leicht
machen?
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ung gepredigt und ein charmanter Anhänger der
freien Liebe entpuppt sich in seinem Sonderfalle
als sentimentaler Spießer und blinder Moralist.
Sphärisch gehört das Stück zu der kurzatmigen
Aufklärungsperiode, die seinerzeit Felix Dörmann
eingeleitet hat.
Schnitzler geriet aus dieser, ihre Kühnheit
uverschatzenden rhetorischen Erlösungspose bald
hinaus, um sich (nicht ohne Rückfälle) gegenstand¬
licherer Gestaltung zuzuwenden. Es ist eine Grau¬
samkeit gegen sich selber, wenn er die Wieder¬
einführung einer schwächlichen, geistig mageren,
durch das Milieu nicht gestärkten, sondern bana¬
lisierten Vorstudie feines Interessengebietes zu¬
ließ. Sie hat bloß philologischen Wert, indem sie
zwar Ansätze des späteren Schnitzlers bietet, aber
auch gerade das dramatisiert, was der reifende
Dramatiker mit gutem Grunde ausschaltete. Wäre
Schnitzler ein Gestalter so verthranter Liebhaber
geworden, wie im „Märchen“ einer als Bewer¬
ber einer jungen Diva herumläuft, um ihr
ohne Not, gegen sein Gefühl, bloß aus säuerlicher
Bedenklichkeit den Laufpaß zu geben, hätte er
seine Frauen so backfischhaft in ihrer Freizügigkeit,
o gefühlsduselig in ihrer Emanzipation gezeich¬
net wie dieses moralische Zwitter junger Schau¬
pielerin, er hätte sich niemals als empfindsamer
Charakteristiker und farbiger Kolorist der Wiener
Athomsphäre durchgesetzt. Diese von ihm selbst
weit überholte Arbeit bietet keinen Anlaß, das
roblemn Schnitzler an heutigen Bedürfnissen der
ene zu messen. Sicheres Zeitgefühl hätte inn
freilich vor einer überflüssigen Preisgabe durch
ein verblichenes, den Typus des Gesellschafts¬
dramatikens entwertendes Jugendstück bewahren
müssen.
Die Rücksichtslosigkeit Schnitzlers gegen sich
selber wurde durch eine Inszenierung verschärft,
die ihresgleichen auch in einer verwilderten,
planlos desorganisierten Zeit suchen muß. Wenn
es noch einer Bestätigung bedurft hätte, welchen
Gefahren die Berliner Theaterverhältnisse durch
das Rottersystem ausgesetzt waren, könnte man
kein schlagenderes Beispiel finden. Man hat auf
Berliner B den, auch draußen in den Vorstädten,
selten ein so verwaschene, textlich zerfahrene, mit
so viel falschen Tönen gesegnete, mit einer so
jämmerlichen Besetzung herabgewürdigte Auf¬
führung gesehen. Der Regisseur und Haupt¬
darsteller des Abends Curt von Möllendorf
hat freilich ein paar Tage vorher eine Operation
durchgemacht, und man erzählt sich, de er seine
Rolle im bandagierten Zustande svielte. Um so
verwunderter war man über den Aufwand von
anstrengendem Pathos, da eine geschmackvollere,
zurückhalltend gedeckte Auffassung auch seiner Ge¬
sundheit bekömmlicher gewesen wäre. Kaiser¬
[Tietz war so schlau, unter Pseudonym aufzu¬
treten. Weitere Koryphäen des Abends waren
Rudolf Eitlinger und Elsa Wasa. Die trostlose
Umgebung entfärbte selbst ihre Mäßigkeit.
Unter solchen trübsinnigen Umständen kam
auch die junge Camilla Spira um die Mög¬
lichkeit, ihre zwischen den Vorbildern Dorsch und
Valetti schwankende Begabung durchzuhalten.
Alle ihre wesensfrischen Ansätze gingen in der
Sphäre schlampiaster Beiläufigkeit unter.
Ein gespenstischer Abend. Emil Faktor.
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3. Das Maerchen
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Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N4
#, Berlin
1925
Im Lessingtheater wurde am Sonnabend Schnitzlers
„Märchen aufgeführt. Es war ein fruchtloses Experiment,
dieses an sich schon ziemlich unverständliche Stück von dem Vor¬
urteil gegen das „Mädchen mit der Vergangenheit“, das allen¬
falls noch im Wiener Dialekt und Wiener Milieu einige Wirkung
hätte, „deutsch“ zu geben. Das „Märchen“, das gar keins ist, soll
Wahrheit sein; und das ist es auch nicht. Und so quält sich die
Geschichte über drei Akte hinweg. Auch das Spiel stand unter¬
dem Eindruck der vergeblichen Mühe. Camilla Spiras
Fanny war eine Kraftanstrengung, der sie nicht ganz gewachsen
war, wenn sie auch in dem seelenaufwühlenden 2. Akt echte
Herzenstöne fand, Else Wasas Klara war abgerundet und
klar. Gut waren auch noch die Herren Lettinger, Kaiser¬
Tietz, v. Möllendorff, Klubertanz und Otters¬
hausen. Die Ninette und die Emmi waren dagegen finsterste
Provinz. Der Beifall war lau. Man applaudierte der Spira,
die dem Ganzen doch noch ein wenig Richtung gab.
Dr. Max Goldschmielt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telefon: Norden 3051
der Nont de Morgen.
Berlin, d. 16, J. 1925
Das Märchen im Le singtheater
Arthur Schnitziers Anfangsarbeit, das gesprächse
reiche Schauspiel „Das Märchen“, wurde Sonn¬
abends im Lessingtheater zum ersten Mal gegeben.
Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt, daß es
eine schlechtere Vorstellung seit vielen Jahren im
Lessingtheater und in Berlin überhaupt seit vielen
Jahren nicht gegeben hat. Nur Camilla
Spira, die ein Naturtalent ist mit frischen Far¬
ben und froher Kraft, wur großstadtwürdig. Wollen
die Brüder Rotter uns allen den Abschied leicht
machen?
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