II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 125

3. Das Maerchen
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Ausschnitt aus:
olkszeitung, Vien,
vom: 39.11.1933.
Iageskenigsanen
Theater vor vierzig Jahren.
Das Raimundtheater wurde
Samstag, wie berichtet, nach kurzer
Spielzeit geschlossen. Der Zufall fügt es,

daß heute, Dienstag, gerade vierzig Jahre
verflossen sind, seitdem das Theater — am
28. November 1893 — mit Raimunds
„Gefesselte Phantasie“ eröffnet wurde.
Adam Müller=Guttenbrunn,
ein junger Schriftsteller, faßt Anfang der
neunziger Jahre, nach dem Fall der Linien¬
wälle, den Plan, „die hunderttausende neu¬
gewonnenen Wiener auch geistig zu erobern,
die Massen durch die Musen zu bändigen,
und wirkt in diesem Sinn für die Gründung
des — Raimundtheaters, mit dessen
Leitung man ihn alsbald betraut. Vor just
vier Jahrzehnten, am 28. November 1893,
wird das „von Wiener Bürgern aus eigener
Kraft“ erbaute Schauspielhaus mit Raimunds
Gefesselter Phantasie“ eröffnet, rauscht der
Vorhang empor über dem Zauberhain, in
dem die Barsescu den von Baron Berger
verfaßten stimmungsvollen Prolog spricht:
„Das erste Wort im neuen Haus — erzitternd
Schwebt es mir von der Lippe. Jeder Anfang
Ist ein geheimnisvoller Augenblick....
Und sogar die blasiertesten Premieren¬
tiger geben sich dem poetischen Reiz des
Werkes gefangen. Frödens Stern geht auf,
das ganze Ensemble, besonders Straßmeyer
erntet Beifall. Aber das Gebäude selbst gibt
den Beckmessern zu herbem Tadel Anlaß. Die
Sitze werden zu schmal befunden, zwischen
Parterre und Galerie besteht keine Kommuni¬
kation, bei den mangelhaften Garderoben gibt
es große Szenen. Ueberdies liegt der neue
Musentempel, da es noch keine Stadtbahn,
keine Elektrische gibt, am Ende der Welt!
Trotzdem setzt sich die Bühne durch, auf die
Friedrich Uhl, der Nestor der Kritik, das
schöne Wort vom „Mariahilfer Burgtheater“
münzt. Im Lustspiel stellt sich eine muntere
Naive vor, „deren tiefe Stimmlage,“ wie
Vinzenz Chiavacci bemerkt, „ganz eigen¬
artig mit dem anmutigen Schelmengesicht
kontrastiert“
— Fräulein Niese! Aber die
„Tücke des Objektes“ verfolgt den Direktor.
Knapp vor der Aufführung von Wildbrandts
Graf von Hammerstein“ saust die eiserne
Kurtine herab und ist trotz verzweifelter An¬
strengungen nicht wieder zu heben!
Am selben Unglücksabend erleidet im
Volkstheater „Das Märchen“ des damals
noch unbekannten Dr. Artur Schnitzler
einen sauften Durchfall. In diesem Thesen¬
stück hat die Sandrock „einige allzu gewagte
Dinge“ zu sagen, die dem konservativen Teil
der Hörerschaft nicht behagen. Der Mißerfolg
trübt keineswegs die gute Laune des Direktors
Bukovics — darf er sich doch der vollen Kassen
des Fuldaschen „Talisman“ freuen! In dieser
Satire auf den wilhelminischen Hof erscheint
der Herrscher, dem der Weihrauch der
Kamarilla jede Wahrheit verhüllt, ahnungs¬
los in den „Unaussprechlichen“ vor seinem
Volk! Nur ein Kind hat den Mut, durchh
lauten Zuruf die Illusion, der Fürst trüge
reiches Gewand, zu zerstören. Als aber bei der
Stelle:
„Du wird darob im Ernste nicht erbosen,
Du bleibst ein König auch in Unterhosen“
S
auf Zensurgeheiß unter Opferung des Reims
von — Unterkleidern gesprochen wird,
ftläter allabendlich eine Welle verständnis¬
voller Heiterkeit durchs dichtgefüllte Haus.
Vom Weghuberpark auf den Franzens¬
ring!
Dort weckt Gerhart Hauptmanns
„Hannele“ peinlichstes Befremden in den
Logen. Doch wird ihr Zischen vom Applaus
des begeisterten Stehparterres übertönt.
„Tapfer schmält“ auch die Kritik, die nur den
rührenden Kinderton der Hohenfels vor¬
behaltlos lobt. In der Hofoper darf nach der
„Bajazzo“=Premiere der bis dahin unberühmte
Leoncavallo unzählige Male vor dem Vorhang
erscheinen, inmitten seiner Hanswurstgesell¬
schaft, deren illustren Mitgliedern Canio —
Van Dyck, Tonio — Ritter, Nedda — Paula
Mark jeder ältere Wiener bewunderndes
Erinnern weiht. Die „Pagliacci“ bedeuten
einen Sensationserfolg, den sogar der ge¬
strenge Hanslick zugibt, obwohl er „das
Ungetüm von Prolog als Geschmacklosigkeit
sondergleichen“ bezeichnet!
An der nahen Wien beschwört, stürmisch
umjubelt, zum 100. Male Mucki Vieröckl
(Girardi) seine Margarete (Biedermann), sich
als Mädchen ohnegleichen doch endlich er¬
weichen zu lassen. Und im Carltheater bringt
die Duse die Wiener zum Weinen und Lachen,
bei Ronacher amüsiert man sich über die
langen, schwarzen Handschuhe, über die
gepfefferten Chansons der göttlichen Yvette
Guilbert. Das Repertoire von Anno 93, das
wirklich „jedem etwas bringt“ widerlegt
glänzend den Titel einer viel diskutierten
Kampfschrift jener Tage: „Wien war eine
Theaterstadt.“ Hielt doch damals ein bunter
Reigen interessanter Schauspieler, packender
Komödien eine sorglosere Generation in
Bann, deren Um und Auf die Welt des
Scheins war, die mit Recht von sich sagen
konnte: „Am farbigen Abglanz haben wir das
O. Fb.
Leben.“