III, Einakter 13, Die Gleitenden, Seite 7

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13. Die Gleitenden

„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
ieher ocurnel, Wien
* 8. JuNI 1932
vom:
Schnitzler=Braufführung im Berliner

Nationaltheater.
„Die Gleitenben“ und „Anaiols Größenwahn“.
Aus Berlin wird uns berichtet: Das National¬
theater (das ehemalige Theater am Schiffbauerdamm) hat
zwei Einakter aus dem Nachlaß Artur Schnitzlers „Die
Gleitenden“ und „Anatols Größenwahn“ zur deutschen Urauf¬
führung erworben. Die Premiere soll Ende der nächsten Woche
stattfinden.
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I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt zu
neue Kürscher Fellese. “
vom:
60
17. JuM
Theaternotizen. Im Rahmen einer Gedächt
nisfeier für Arthur Schnitzler brachte, als erste
Bühne in Deutschlanannheinner National¬
theater die vor kurzem in Wien aus der Tause ge¬
hobenen Einakter „Die Gleitenden" und „Anatols
Größenwahn“ zur erfolgreichen Aufführung.
Am Wiener Deutschen Volkstheater gelangte die
dreiaktige Komödie „Dichter werden gesucht!“ von
Franz Tassié, am Nationaltheater in Budapest
das Schauspiel „Der Markt der Interessen“ des
Spaniers Jacinto Benavente zur Erstaufführung.
* Den wenigen deutschen Bühnen, die die Spiel¬
zeit erfolgreich und ohne Defizit abgeschlossen
haben, will auch das Stadttheater in Ulm zuge¬
zählt werden, dessen Besuch sich gegenüber dem
Vorjahr von 88 000 auf 112000, d. h. um 20 Pro¬
Die Deutsche Shakespeare¬
zent, gehoben hat. —
Gesellschaft, die ihre sonst im April übliche Jahres¬
versammlung in diesem Jahre vertagte und auf
einen spätern Termnin in Aussicht stellte, wird
„Kunmehr am 4. Oktober in Weimar zusammen
treten.
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WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt aus:
Germania, Berlin
vom:
17.00 Ml 1932
Schnitzler=Uraufführung.
M
Mationaltheater.
Ein Reigen von Einaktern ging gedächtnishalber zum
70. Geburtstag Arthur Schnitzlers über die Bühne des
Mannheimer Nationaltheaters. So aus der Zeit um 1900
stammen diese Einakter; sie sind reichlich verstaubt. Man hat
versucht, schlecht und recht diesen Staub abzuwischen, damik eine
lebendige Oberfläche erschiene. Aber dieser Staub hält schon zu
fest, unter ihm begraben liegt eine Zeit, die uns bald kaum
mehr Erinnerung ist. Man muß schon alte Journale und Witz¬
bücher durchblättern, um diese morbide Stimmung schwüler,
ungesunder Erotik und Komplexe jener Zeit auch leibhaftig vor
sich zu sehen, jene Zeit, da der Don Juan jenen kurzen, etwas
seriösen Bart trug, wohlgepflegter Biedermann und lasciver
Schürzenjäger mit einer Maskerade von Gewissen und zynischer
Offenheit. Wir kennen diese Zeit nicht mehr, und so war es
sehr begreiflich, daß man heute auch über Dinge laut und herz¬
lich lachte, die man ehedem sehr ernst nahm, die man damals
als so etwas wie Gemütstiefe bezeichnete. Die Einakter, die
e Gleitenden" und
uraufgeführt wurden, hießen „
„Anatols Größenwahn“. Titel, die irgendwie etwas
langatmiges, schweres, prohlemreiches erwarten lassen die aber
nichts bringen als eine dünne Episode, einen geschickt theatralisch
gebauten Dialog über Liebe und Ehe, der für uis voller Gemein¬
plätze ist. Es sind wohl theatertechnisch gutgemachte Figuren auf
die Dekorationsbeine gebracht worden, aber es dünkt einem
dennoch, als sei auch diese Vergangenheit nicht nur so gewesen,
nicht so gewesen, nicht ganz so albern, nicht ganz so leer und
sentenzenreich geschwätzig. Da spielt man mit der Sünde, wie
wenn sie eine billige Unterhaltung wäre, da werden Urteile ge¬
sprochen über Menschenwert und über das Wesen der Frau im
besonderen, die doch zu harmlos sind, zu kleinbürgerlich und
langweilig. In Witzblättern und der unsterblichen Kiste sind
manche von ihnen gelandet.
Gedächtnishalber soll man nicht weh tun. Wir sehen wohl,
daß manches an kluger Mache hinter diesen Stücken steckt, auch
hinter der operetten „Komtesse Mizzi“, die neu auffrisiert noch
dazugegeben wurde. Aber wir können uns dieser Dinge nicht
mehr freuen. Wir wissen, daß es notwendig war, einer korrupten
und morbiden Gesellschaft einmal ganz frech ins Gesicht zu sagen,
was sie ist und treibt — kühn war das damals — aber man hat
nichts an die Stelle dessen zu setzen gewußt, was man befehdete.
Diese scheinbar sachliche und freie Moral, die sich einer rückhalt¬
losen Offenheit rühmt, sie ist nicht weit gekommen, sie ist nicht
viel mehr wert geworden als die anderen, weil ihr auch die
ideelle, ethische Bindung mangelt. So ist Kritik und Vorschau
oder Aufbau (wie man sagen kann) in Schnitzlers Werken glei¬
cherweise heute verstorben. „Die Gleitenden" sind Men¬
schen, die in einen Ehebruch hineingleiten, weil es ihnen von
ihren Gatten gerade vorgemacht wird. Da spielen schon reife
„Ana¬
Menschen Primanerliebe vor (weißt Du es noch ..
tols Größenwahn“ ist die Bilanz des Amourenlebens,
eines abgelebten Wiener Junggesellen, ein Wiener Schnitzel, das
troß reichlich Paprika und scharfen Essenzen etwas faulig riecht.
(„Mein Herz setzt seine letzten Willen auf: es will nicht mehr
geliebt werden.“) Und „Komtesse Mizzi“ die kennt man
mit ihrer Familie im gräflichen Häuschen von Flieder umrankt,
wo alles heimlich Kinder hat und Geliebte und sonst welche hoch¬
fürstliche Passionen. So geht es einem mit diesem Schnitzler,
— den
gedächtnishalber: Man schüttelt nach kurzem Gruß
Dr. Willy Oeser.
Staub vom Fuß.