III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 5

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11. Der tapfere Gassian
heater, Musik u. Literarisches.
Ein Schnitzler=Abend.“
Jetzt jagt in Berlin eine Erstaufführung die
ndere. Jeder Direktor möchte wohl noch gern
pr Weihnachten einen artigen Erfolg in Sicher¬
eit bringen. Otto Brahm hat sich bisher, wenn
kan das Mienenspiel des Kassiers als Barometer
elten lassen will, noch als der glücklichste Wetter¬
pit bewährt. Max Reinhart, der in fieberhaftem
khrgeiz den andern Berliner Bühnenleitern am
ebsten allen literarischen Wind aus den Segeln
sehmen möchte, wurde in diesem Jahre durch
wei Kalamitäten in seinen Plänen gehemmt:
durch die Erkrankung seiner gefeiertesten Schau¬
pielerin Frau Agnes Sorma und durch den ge¬
ingen Beifall, den das Experiment fand, den
sekannten Konzertsänger Dr. Ludwig Wüllner,
er in einem vielbewegten Leben schon Dozent
Philologie, Kirchenchor=Dirigent, Helden¬
er
farsteller bei den Meiningern, Rezitator, Lieder¬
nd Bühnensänger gewesen ist, neuerdings dem
Echauspiel zuzuführen. Unmittelbar nach dem
Parstellungserfolg, den Ruederers Komödie die
Die Morgenröthe“ im Neuen Theater fand, hat
s nun Tirektor Reinhart in dem gleichfalls von
ihm geleiteten Kleinen Theater mit einem
Einakterabend, der nur Schnitzler gewidmet war,
persucht.
Ein Schnitzler=Abend war von vornherein
Eliterarischer Beachtung sicher, denn man schätzt
sin Berlin den vornehmen Wiener Pocten, wie *
nnur irgendwo. Aber diesmal stand kein glücklicher
Stern über dem Unternehmen. Einer der drei
Einakter, die in Aussicht genommen waren, „Das
[Haus Delorme“ wurde von der Zensur ver¬
boten. Er hätte mit seinen angeblich sehr dent¬
25. November 1904.
lichen Auspielungen auf Vorfälle in der Familie
Seite 3.

Schon um des ironisch=elegischen Ausklangs
einer bekannten Wiener Schauspielerin und wegen der Lieblingsfigur Schnitzlers, ein Anatol im
willen, der mit dem tollen Wirbel so bewußt in
Kostüm des 17. Jahrhunderts. Er hat ein Mäd¬
der scharf=realistischen Bilder, die er entrollt,
Kontrast gesetzt wird und aber nur beim Lesen
chen, das ihn liebegirrend auschwärmt, er hat
offenbar die lebhafteste Erörterung gefunden. Be¬
die beabsichtigte Wirkung erreichen kann, mußte
klingende Dukaten in seinem Geldbeutel, die er
kanntlich hat sich eine Stimme erhoben, die das
eine Aufführung auf der Bühne gefährlich er¬
im Würfelspiel durch ein unfehlbar zum Gewinn
Polizeiverbot noch als den günstigsten Ausweg
scheinen, besonders, wenn die Darsteller das Ganze
führendes System den Studenten abgenommen
als Puppenspiel auffaßten, wie es hier in einem
zur Vermeidung peinlicher Konflikte bezeichnete,
hat, ein Leben voll Glück und voll Erfolg winkt
da sich — wie es heißt — die Darsteller selbst
Grade geschehen ist, der dem Einakter am aller¬
ihm, aber ihn treibt es zu der „elendsten, herr¬
gegen die Aufführung der Szeuen aufgelehnt
wenigsten frommen konnte. Es war freilich schwer,
lichsten, schönsten“ Tänzerin Lambriani, die heute
hätten, in denen sie eine Herabwürdigung ihres
einem größeren Publikum die bizarre Bilderreihe
für einen Groschen zu haben ist und morgen
Standes erblickten. Das Gerücht von einer so
nahe zu bringen, aber die gar zu parodistisch¬
zehntausend Goldstücke für einen Kuß auf die
sonderbaren Stellungnahme der Schauspieler
dratzieherischen Bewegungen der Schauspieler ha¬
Fingerspitzen fordert. Und um der Launenhaften
gegen den Dichter sei nur darum verzeichnet, weil
ben — trotzdem sie augenscheinlich im Einver¬
willen, die er vor Monaten als blöder, schüch¬
ständnis mit dem Dichter erfolgt sind — nur die
sich voraussichtlich baran noch mancherlei Aus¬
terner Junge auf der Bühne des Städtchens
einandersetzungen knüpfen werden.
solchen Fällen immer billigen brastischen
in
auftreten sah, verläßt er die schöne, gute Sophie,
Effekte erzielt, aber dem Stück seinen einzigen
Von den beiden einaktigen Stücken, die übrig
die bei seinem Abschied heiße Tränen, weint. Ge¬
Reiz genommen. Ceterum censeo, es hätte nicht
blieben, war „Der grüne Kakadu“ in Berlin
rade in der Abschiedsstunde bricht mit allem Un¬
aufgeführt werden sollen.
durch eine vorzügliche Aufführung in dem da¬
gestüm sein Vetter „der tapfere Cassian“ in die
Von ganz anderem Schlage ist Schnitzlers
mals von Brahm geleiteten Deutschen Theater
Mansardenstube Martins herein. Er kommt aus
lebensvolle, geistsprühende Groteske „Der
schon bekannt (auch im Schillertheater war er
so vielen Abenteuern her, daß ein anderer mehr
grüne Kakadu“. Ueber die überaus freund¬
schon aufgetaucht) und „der tapfere Cas¬
Mühe hätte, sie zu erfinden, als es ihm gemacht
liche Aufnahme, welche die von früher her be¬
sian“ der Dienstag zum allererstenmal auf der
hat, sie zu bestehen.“ Und schnell hat der laute,
kannte Dichtung im Kleinen Theater trotz man¬
Bühne erschien, hat nicht Lebenskraft genug, sich
heftig loslegende Kriegsmann die Gunst der
cher Unebenmäßigkeiten der im Großen und Gan¬
dort zu behaupten. Es war von vornherein kein
kleinen Sophie erworben. Im Handumdrehen
zen trefflichen Darstellung gefunden hat und über
gesegneter Einfall, diese kleine, kühl=ironische
nimmt er seinen Vetter beim Würfeln alle Du¬
den Erfolg des Hrn. Moissi als Heuri, dem
Szene, die man beim Lesen gern als anmutigen
katen ab, und als ihn Martin beschimpft, sticht
nur immer noch die fremdartige Aussprache vor¬
artistischen Scherz hinnimmt*) auf die heißen
er ihn im Zweikampf nieder. Sophie, die vorher
geworfen wird, wurde bereits telegraphisch be¬
Bretter zu zerren. Dazu reichten diesmal schon
bei jedem Windhauch um Martin gezittert hat,
die geringen Mittel der Erfindung nicht. Und
richtet.
kümmert sich jetzt gar nicht mehr um den tödlich
das Huschende, Schemenhafte, das bei der Lektüre
Getroffenen, sondern fragt nur Cassian, ob ihm
Berlin, 23. November.
diesem dramatisierten Spottlied auf das tolle
Dr. J. A. B.
nichts geschehen sei.“ Und als ihr dieser offen
Zufallsspiel des Lebens einen gewissen Reiz ver¬
eingesteht, daß auch er zur Lambriani wolle,
leiht, wird im Theatersaal — und sei er noch so
stürzt sie sich verzweifelt zum Fenster hinaus.
Neues deutsches Theater. Heute
intim — zu einer Unmöglichkeit. Die Burleske
Der Tausendfassa, der ihr nachgesprungen ist,
(Freitag) wird Blech=Batkas „Alpenkönig und
spielt nach dem dreißigjährigen Kriege und läßt
fängt sie in der Luft auf und fährt mit ihr und
Menschenfeind“ gegeben, welcher Vorstellung die
den alten miles gloriosus wieder einmal in der
mit Martins Dukaten in der von seinem Vetter
Familie Wagner beiwohnen wird. Die General¬
Gestalt des prahlerischen „tapferen“ Cassian auf¬
zur schönen Tänzerin
bestellten Postkutsche
probe des „Kobold“ findet Samstag in Kostüm
erstehen. Das Dasein ist ein Faschingstanz, der
Eleonora Lambriani. Martin läßt sich sterbend
und Maske bei voller Beleuchtung statt. Auf
umso wüster wird, je verträumter wir ihm ge¬
noch die Flöte reichen, bläßt melancholisch auf
vielfache Anfragen wird mitgeteilt, daß ein Ein¬
genüberstehen, je mehr wir an seinen Werten,
ihr ein paar Töne und verabschiedet sich dann
laß zu dieser Generalprobe nicht zulässig ist.
anstatt sie festzuhalten, herumklügeln. Ein solcher
von dem Leben mit den Worten: „Es ist bitter,
Der Beginn der Vorstellung am Sonntag, den
Träumer und Schwerenöter, freilich nicht ganz
allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde
27. d., ist auf 4 Uhr nachmittags angesetzt. In
harmloser Natur, ist Martin, eine Neuauflage
vorher geliebt, wohlhabend und der herrlichsten
*) Die Erstaufführung von Fuldas „Maskerade“
Hoffnungen voll war. Wahrlich, es ist ein übler
fiel mit dem Schnitzlerabend zusammen, drum- lassen
Spaß, und ich bin eigenklich gar.nicht gelaunt,
*) Sie ist im Feberheft des letzten Jahrgangs der
Flöte zu spielen.“ Er läßt die Flöte fallen und lassen wir einen Bericht über die Aufnahme des Fulda¬
von S. Fischer in Berlin herausgegebenen Monats¬
schen Stückes in Berlin aus anderer Feder folgen.
stirht. In der Ferne klingt das Posthorn.
schrift „Die Neue Rundschau“ erschienen.
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