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11. Der tapfere Cassian
Marionetten auftraten. Es kann zweifelhaft sein, ob diese Meta¬
morphose eine glückliche war. Denn nun wurde die Parodie noch
einmal parodiert, und unter dieser doppelten Verantwortung ging
dem etwas dünnen Inhalt schier vollens der Atem aus.
Sieht man genauer zu, so ist der Einakter doch mehr
aufs Individuelle, als auf das absolut Typische des
Puppenspiels hin gearbeitet; die leichte Wirkung, deren er
fähig wäre, käme darum bei einer menschlicheren Darstellung eher
heraus. So beschränkte sich der Spaß der Zuschauer in der Haupt¬
sache darauf, zu beobachten, wie Gertrud Eysoldt, die Herren
Ekert, Licho Großmann und die Regie die hölzerne
Primitivität des Marionettentheaters in Masken, Bewegungen und
Ausstattungskünsten zu kopieren suchten. Frau Eysoldt war dabei
besonders geschickt; sie gab eine sehr lustige Kreuzung von Gretchen
und Frommer Helene, die bei aller Steifheit so viel Seele hatte,
wie die Seelenlosigkeit des Urweibchens Sophie gestattete. Herr Licho
als bramarbasierender Kassian geriet in die etwas spektakulöse
Tonart hinein, die neuerdings im Kleinen und Neuen Theater
einzureißen droht. Etwas „dämpfen“ meine Herren! Auch der
„Grüne Kakadu“ setzte gar zu sehr fortissimo ein, um dann aber
doch rechtzeitig auf den richtigen Weg einzulenken und erst zum
Schluß in einem glänzenden Tumult=Crescendo die prächtig
vorwärts rollende kleine Tragödie, in deren knappem Rah¬
M. 0. Das Kleine Theater hat gestern Arthur Schnitzlers
men so virtuos mit Leben, Wirklichkeit, Schein und Spiel
. Grünen Kakadu“ wiederaufgenommen, den wir seit dem
jongliert wird, zu einer außerordentlichen Wirkung zu
Ende der Kainz=Epoche des Deutschen Theaters nicht mehr auf der
steigern. Hier hatte die Regie die famose Präzision des Auf¬
Bühne gesehen haben, und dieser tragischen „Groteske“ aus der
baus sehr fein und klar herausgebracht, und das Ensemble
Nacht des Bastillensturms den Einakter „Der tapfere
Temperament des genialen Dra¬
hatte sich das spezifische
Kassian“ vorausgeschickt, der schon im Februar dieses Jahres in
moletts zu eigen gemacht. Herr Moissi, ein Neuling von
der „Neuen Rundschau“ im Druck erschienen ist. Dies Stücklein
unverkennbarem Talent, der in seiner ersten Szene mit
gehört nicht zu den legitimen Kindern des Wiener Dichters; es ist
der Rolle des Henri nicht recht zu Stande kam, brachte in
offenbar, wie man in der Zeit, da es spielt, im siebzehnten Jahr¬
dem entscheidenden Schlußauftritt die Illusionskraft der ge¬
hundert, sagte, in einer „poetischen Nebenstunde“ entstanden und
spielten Erschütterung und den Uebergang zur wirklichen
hat trotz amüsanter Einzelheiten in der Art, wie es mit ein paar
Leidenschaft sehr überzeugend heraus. Unter den sonstigen Ver¬
raschen Strichen Menschenliebe und =Treue und =Torheit verspottet,
brecherakteurs des „Grünen Kakadu“, in dem Aristide Bruyants
im ganzen weder den Geist noch den Witz noch die dra¬
nervenkitzelnde Kabaretscherze in die Zeit der großen Revolution zurück¬
matische Schlagkraft, die seinem Verfasser sonst zu Gebote stehen.
projiziert sind, traten der Wirt des Herrn Leopold, der dröhnende
Martin, ein junger Leichtfuß, nimmt Abschied von seiner kleinen
Mime des Herrn Sauermann und der sentimentale Tantenmörder
Sophie, um einer schönen Tänzerin nachzureisen. Da kommt sein Vetter,
des Herrn Burg hervor, der freilich die Erinnerung an Rittners
der tapfere Kassian, ein renommi“ scher Landsknecht, des Wegs daher,
kostbare Strolchgestalt nicht ganz zurückdrängen konnte, unter den
nimmt dem kleinen Martin beim Spiel sein Geld ab, seine Habe
aristokratischen Besuchern des tollen Wirtshauses Herr von
ab, sein Liebchen ab, sticht ihn im rasch entbrannten Zweikamp
Winterstein als der todgeweihte Herzog von Cadignan, Herr
reist nun seinerseits der Tänzerin nach, von der
tot und —
Baron als klappriger Marquis und Frau Durieux als seine,
ihm der Gefallene erzählt hat. Schnitzler hatte das kleine
liebebedürftige Gattin.
Spiel ursprünglich eine „Burleske“ getauft; gestern war es
HO (—
zu einem „Puppenspiel“ geworden, dessen vier Personen als lebendige:
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11. Der tapfere Cassian
Marionetten auftraten. Es kann zweifelhaft sein, ob diese Meta¬
morphose eine glückliche war. Denn nun wurde die Parodie noch
einmal parodiert, und unter dieser doppelten Verantwortung ging
dem etwas dünnen Inhalt schier vollens der Atem aus.
Sieht man genauer zu, so ist der Einakter doch mehr
aufs Individuelle, als auf das absolut Typische des
Puppenspiels hin gearbeitet; die leichte Wirkung, deren er
fähig wäre, käme darum bei einer menschlicheren Darstellung eher
heraus. So beschränkte sich der Spaß der Zuschauer in der Haupt¬
sache darauf, zu beobachten, wie Gertrud Eysoldt, die Herren
Ekert, Licho Großmann und die Regie die hölzerne
Primitivität des Marionettentheaters in Masken, Bewegungen und
Ausstattungskünsten zu kopieren suchten. Frau Eysoldt war dabei
besonders geschickt; sie gab eine sehr lustige Kreuzung von Gretchen
und Frommer Helene, die bei aller Steifheit so viel Seele hatte,
wie die Seelenlosigkeit des Urweibchens Sophie gestattete. Herr Licho
als bramarbasierender Kassian geriet in die etwas spektakulöse
Tonart hinein, die neuerdings im Kleinen und Neuen Theater
einzureißen droht. Etwas „dämpfen“ meine Herren! Auch der
„Grüne Kakadu“ setzte gar zu sehr fortissimo ein, um dann aber
doch rechtzeitig auf den richtigen Weg einzulenken und erst zum
Schluß in einem glänzenden Tumult=Crescendo die prächtig
vorwärts rollende kleine Tragödie, in deren knappem Rah¬
M. 0. Das Kleine Theater hat gestern Arthur Schnitzlers
men so virtuos mit Leben, Wirklichkeit, Schein und Spiel
. Grünen Kakadu“ wiederaufgenommen, den wir seit dem
jongliert wird, zu einer außerordentlichen Wirkung zu
Ende der Kainz=Epoche des Deutschen Theaters nicht mehr auf der
steigern. Hier hatte die Regie die famose Präzision des Auf¬
Bühne gesehen haben, und dieser tragischen „Groteske“ aus der
baus sehr fein und klar herausgebracht, und das Ensemble
Nacht des Bastillensturms den Einakter „Der tapfere
Temperament des genialen Dra¬
hatte sich das spezifische
Kassian“ vorausgeschickt, der schon im Februar dieses Jahres in
moletts zu eigen gemacht. Herr Moissi, ein Neuling von
der „Neuen Rundschau“ im Druck erschienen ist. Dies Stücklein
unverkennbarem Talent, der in seiner ersten Szene mit
gehört nicht zu den legitimen Kindern des Wiener Dichters; es ist
der Rolle des Henri nicht recht zu Stande kam, brachte in
offenbar, wie man in der Zeit, da es spielt, im siebzehnten Jahr¬
dem entscheidenden Schlußauftritt die Illusionskraft der ge¬
hundert, sagte, in einer „poetischen Nebenstunde“ entstanden und
spielten Erschütterung und den Uebergang zur wirklichen
hat trotz amüsanter Einzelheiten in der Art, wie es mit ein paar
Leidenschaft sehr überzeugend heraus. Unter den sonstigen Ver¬
raschen Strichen Menschenliebe und =Treue und =Torheit verspottet,
brecherakteurs des „Grünen Kakadu“, in dem Aristide Bruyants
im ganzen weder den Geist noch den Witz noch die dra¬
nervenkitzelnde Kabaretscherze in die Zeit der großen Revolution zurück¬
matische Schlagkraft, die seinem Verfasser sonst zu Gebote stehen.
projiziert sind, traten der Wirt des Herrn Leopold, der dröhnende
Martin, ein junger Leichtfuß, nimmt Abschied von seiner kleinen
Mime des Herrn Sauermann und der sentimentale Tantenmörder
Sophie, um einer schönen Tänzerin nachzureisen. Da kommt sein Vetter,
des Herrn Burg hervor, der freilich die Erinnerung an Rittners
der tapfere Kassian, ein renommi“ scher Landsknecht, des Wegs daher,
kostbare Strolchgestalt nicht ganz zurückdrängen konnte, unter den
nimmt dem kleinen Martin beim Spiel sein Geld ab, seine Habe
aristokratischen Besuchern des tollen Wirtshauses Herr von
ab, sein Liebchen ab, sticht ihn im rasch entbrannten Zweikamp
Winterstein als der todgeweihte Herzog von Cadignan, Herr
reist nun seinerseits der Tänzerin nach, von der
tot und —
Baron als klappriger Marquis und Frau Durieux als seine,
ihm der Gefallene erzählt hat. Schnitzler hatte das kleine
liebebedürftige Gattin.
Spiel ursprünglich eine „Burleske“ getauft; gestern war es
HO (—
zu einem „Puppenspiel“ geworden, dessen vier Personen als lebendige:
S