III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 27

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2. Eo hulle am Dienstag abend im Kleinen Theater
sin dreigeteilter Arthur=Schnitzler=Abend werden sollen.
Wie aber vorher in den Zeitungen zu lesen war, verbot die
Zensurbehörde eines der drei Stucke, so daß das Vergnügen
namentlich für diejenigen erheblich gekürzt wurde, welche in
der Erwartung auf stark gewürzte Speisen gekommen waren.
Ueberdies kannte man das Nennenswerteste der zwei Einakter,
die Auftritte in der Schenke: Der grüne Kakadu bereits.
Dieser einer genialen Großzügigkeit nicht entbehrende Abschnitt aus
dem Beginn der französischen Revolution von 1789 nennt sich mit
starker Absichtlichkeit eine „Groteske“, und die Behandlung des
Stoffes ist demgemäß eine grotesk ironische. Dekadente
Aristokraten des Ancien Regime lassen sich ohne Ahnung und
Achtung des Abgrundes, dem sie entgegentaumeln, in der
Schenke des ehemaligen Theaterdirektors Prosper eine brutale
Komödie von herabgekommenem Gesindel vorspielen. Ge¬
gaukeltes und wirkliches Verbrechen greifen unablässig
ineinander; und selbst, als mit der Niederwerfung der Bastille
der Sturm losgebrochen ist, wollen die vornehmen Gäste im
Grünen Kakadu immer noch an eine echt g
spielte Komödie glauben. Der Schauspieler Henri, der sich
eben mit einer notorischen Dirne verheiratet hat, mimt
den eifersüchtigen Gatten, der einen der Galane seines Weibes
jählings ermordet, so überzeugend, daß die Genossen Henris
jene Tat für wirklich geschehen halten. Da tritt der angeblich
Getötete, der Herzog von Cadignan, leibhaftig ins Lokal.
Gewaltiges Staunen. Bis Henri, erst jetzt erkennend, daß
der Herzog einer der zahlreichen Bevorzugten der jungen
Frau Henris sei, den Aristokraten nun de facto nieder¬
macht. Zu dem Lärm mischt sich das Freiheitsgebrüll der
wütenden Menge auf der Straße. Die Bastille ist eben ge¬
fallen. Wildes Getose, in welches die Gemahlin eines der
anwesenden Edelleute, die allen diesen Vorgängen mit
händeklatschend
einem perversen Entzücken beiwohnt,
Sie hat einen Tisch bestiegen und schreit
einstimmt.
unablässig: „Es lebe die Freiheit!“ während auf einem
anderen Tische ein Gauner und Dieb steht und aus der ge¬
stohlenen Kasse des Wirtes die Münzen unter die heulende
Masse wirft. Mit dieser frechen Gegenüberstellung wird die
äußerste ironische Konsequenz gezogen: auf der einen Seite die
mit dem viehisch losgelassenen Pöbel fraternisierende Marquise.
auf der anderen das fessellos gewordene Verbrechen!
Schnitzler will sich offenbar auf die höhere Warte des über¬
legenen Satirikers stellen, dem das freiheitbrüllende Maul¬
heldentum als nicht minder geißelns= und verachtenswert gilt,
denn die frivole und entsittlichte Aristokratie des wankenden
bourbonischen Königtums. An kühnen Antithesen und scharf
geschliffenen Aphorismen, den Zweck des Ganzen zu erläutern
und zu erreichen, ist auf beiden Seiten kein Mangel. Und
das alte Bajazzo=Motiv, daß das zur Erheiterung getriebene
Spiel plötzlich blutige Wirklichkeit wird, ist, auch rein
dramatisch angesehen, mit treffenden Kontrasten und
kraftvoller Steigerung behandelt und durchgeführt. Vor längerer
Zeit hat bereits das Deutsche Theater eine Aufführung dieses
Grünen Kakadu gebracht. Wir kennen jene Darstellung nicht,
können also einen Vergleich mit der des Kleinen Theaters
nicht anstellen. Immerhin zeichnete sich diese durch feuriges
Temperament aus; und der ironische Ton, das parodistische
Gehaben der Komödianten und schließlich der Uebergang zu
wilder Tat wurden sicher und wirksam getroffen. Die Haupt=
figur unter den Aristokraten, den Herzog von Cadignan, gab
Herr v. Winterstein, den überpathetischen Schauspieler
Konnte man sich den ersten
Henri Herr Moissi.
leichter, preziöser und geistreicher vorstellen, so entwickelte
S
der zweite ein höchst beachtenswertes Maß einer für die starke
Leidenschaft fruchtbaren Kunst. Man darf der weiteren Ent¬
wicklung dieses Herrn Moissi mit Erwartung zuschauen. Fräulein
Eysoldt als Schauspielerin und Hetäre Léocadie und Fräulein;
Durieux als sensationsbedürftige Marquise hatten zu kleine
Rollen, um ihre glänzenden Lichter völlig leuchten lassen zu
können. Die vielen sonstigen Mitwirkenden fanden sich alle mit
effektspreizendem Eifer in den grotesken Stil der merkwürdigen
Komödie. Das Stück wurde mit lebhaftem Beifall auf¬
genommen im Gegensatz zu dem bierulkartigen Einakter: Der
tapfere Kassian, der den Abend introduzierte. Denn hier
gab es nur das Schweigen der Achtung. „Puppenspiel“ be¬
zeichnet Arthur Schnitzler das Ding. Und der Hauptwitz ist
denn auch der rein äußerliche, daß die Agierenden sich wie
lebende Puppen aus dem Marionettentheater gebärden.
Da dies von den Herren Ekert, Licho und Gro߬
mann und Fräulein Eysoldt hübsch und niedlich
durchgeführt wurde, so machte sich während des Spiels manch¬
mal eine schüchterne Lache auf. Inhaltlich war nichts zu
gewinnen: eine Liebes= und Schauermär aus der Barockzeit
mit minniglichem Flöten, aufschneiderischem Bramarbasieren,
Mord und Totschlag. Alles in allem ein künstlerisch just
nicht sehr ergiebiger Abend, so daß draußen die schauderhafte
Novembernacht einen um so schmerzlicher durchfröstelte. .].