III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 37


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Ccho del Bahneitee.
Berlin
„Die Siebzehnjährigen.“ Schauspiel in 4 Auf¬
zügen von Mar Dreyer. (Lessing=Theater, 19. No¬
vember.) —
„Der tapfere Cassian.“=Ein Puppen¬
spiel in einem Akt von Arthur Schnitzler. (Kleines
Theater, 22. November.)
„Ein Tenfelskerl.“
Schauspiel in 3 Akten von Bernard Shaw, über¬
tragen von Siegfried Trebitsch. (Berliner Theater,
25. November.)
„Andromache.“ Drama in
1 Akt von Ernst Possart nach Senekas Tragödie.
(Königliches Schauspielhaus, 26. November.)
nter dem Titel „Die Siebzehnjährigen“ mag sich
mancher,
als
er Max Dreyers Autor¬
41 namen las, eine kurzweilige Backfischkomödie
vorgestellt haben und gespannt gewesen sein, wie der
kräftige Humor des mecklenburger Poeten wohl diesen
dankbaren Stoff anfassen würde*). Man war auf einen verschiedenen Welten angehören, wäre nur eine sehr un¬
klare Deutung, und was der Vater selbst anführt, sein
heiteren Abend gefaßt, aber man empfand schon von
Lebensdrang, seine Sehnsucht nach Jugend und Schön¬
Beginn an, daß diesmal nicht die fröhliche, sondern die
heit, kann natürlich vor dem strengen Maßstab des Jungen
melancholische Muse bei dem Stücke Pate gestanden
nicht standhalten. An dieser Unklarheit liegt es, wenn
hatte. Wenn im ersten Akte eines Dramas jemand
uns der Schmerz, den wir im letzten Akte miterleben,
mehrmals verstohlen die Hand mit den Augen beschattet,
nicht erhebt, sondern quält, daß wir fragen: wozu diese
die Sehkraft der anderen beneidet und von den Seinen
Qualen, diese Thränen? So war der Gesamteindruck
fürsorglich zur Schonung der Augen ermahnt wird,
nicht stark, wenn auch unzweifelhaft manche Einzelszene
wenn der Arzt die Weisung giebt, der Patient müsse
von überzeugender Wahrheit unmittelbar wirkte. Der
sich vor schweren feelischen Erschütterungen hüten und
äußere Erfolg war trotzdem recht lebhaft.
möglichst in einer harmonischen, frohen und friedlichen
Dagegen wurde Schnitzlers einaktiges Puppenspiel
Atmosphäre leben, so kann man sicher sein, daß der
„Der tapfere Cassiantos abgelehnt. Mir ist
Autor gerade das Gegenteil der ärztlichen Forderung
der Sinn dieses Marionetten=Dramolets nicht auf¬
thut und seinen Kranken den schwersten seelischen Er¬
gegangen. Für einen bloßen Ulk ist es nicht witzig und
schütterungen aussetzt. So grausam können Dichter
grotesk genug und tritt zu anspruchsvoll auf. Vielleicht
sein. Natürlich erblindet der Kranke schließlich auf
wollte er in dem blonden Mädchen, das seinen Geliebten
offener Szene. Dieses Motiv war ein unglücklicher Ein¬
so schnell verläßt, als der Bramarbas Cassian mit ihr
fall, denn dadurch wird von vornherein ein stark äußer¬
anbändelt, und in jenem Geliebten, der so zärtlich von
liches, theatralisches Moment in die Handlung hinein¬
ihr Abschied nimmt, während es ihn hinaus zu einer
gebracht und das Interesse zersplittert. Der eigentliche
schon lange Angebeteten drängt, vielleicht wollte er in
tragische Konflikt des Stückes bedarf, um uns zu er¬
diesem Liebelei=Chaos so eine Art Pendant zu seinem
schüttern, dieses Mittels ganz und gar nicht; das ganze
„Reigen“ geben. Geglückt ist's ihm nicht, was er auch
Motiv der Erblindung könnte, ohne daß einschneidende
wöllte, und man schüttelte nur befremdet den Kopi.
Aenderungen nötig würden, ausscheiden.
Die Gestalt, die unsere Teilnahme in erster Liniel
in Anspruch nimmt, ist der Kadett Frieder von Schmettow,
ein junger Schwärmer von siebzehn Jahren, der noch!
ganz im Stande der Unschuld lebt und dessen überaus?
zartes und hochgespanntes sittliches Empfinden not¬
wendig stark erschüttert werden muß, wenn es zum
erstenmal mit der unverhüllten Wirklichkeit zusammen¬
stößt. Die Gestalt dieses jungen Mannes ist Dreyer
recht gut gelungen, und man darf auch sagen, daß der
Konflikt, so künstlich er auch in seinen Voraussetzungen
konstruiert ist, in seinem Wesen ein typischer Konflikt
in Berlin, Budapést.“
für die heranwachsende Jugend ist. Frieder hat auf der
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, ChFriNtaHfk, St. Petaeng
Welt niemand, den er so hoch verehrt, wie seinen Papa,
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
und nun muß er erleben, wie dieser, sein höchstes
menschliches Ideal, von Erika, die Frieder anbetet und
von der er sich geliebt glaubte, in leidenschaftlicher Um¬
Ausschpitt aus: Das Litterarische Echo, Berlin
armung Abschied nimmt und mit ihr ein nächtliches
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Stelldichein verabredet. Diese ungeheure Entdeckung,
vom:
über die er nicht den Mut findet, mit irgend jemand
zu sprechen, zertrümmert sein ganzes Weltgebäude, und
er weiß endlich keinen Ausweg, als sich zu töten. Auf
der Schwelle des Pavillons, wo der Vater und Erika
zusammentreffen wollten, erschießt er sich: so verhütet
er, daß die Ehre seiner Mutter befleckt wird. Das alles
ist echt, aus der Seele des Siebzehnjährigen empfunden
und zur Teilnahme zwingend. Und echt und erschütternd
ist auch der Schmerz der Mutter, einer kernigen, ur¬
gesunden Gestalt (die von Else Lehmann mit wunder¬
voller Schlichtheit verkörpert wurde). Echt ist endlich
auch der Schmerz des Vaters, als er plötzlich mit einer
Art Hellsichtigkeit das Furchtbare entdeckt, das ihm seine
Frau noch verheimlichen wollte. Hier hat Dreyer so
einfache Worte gefunden, frei von jeder Pose, wie sie
uns in solchen Situationen das Leben giebt. Diese
Szenen bleiben im Gedächtnis. Aber mit der gleichen
überzeugenden Kraft wirkt leider die Schilderung der
Liebe von F eders Vater und Erika nicht. Die Gestalt
Erikas bleib. eine Romanfigur. Dreyer hat da in den
Pfaden der modernen Sexual=Psychologen wandeln
wollen, auch an Rebekka West mag er gedacht haben,
wenn er seine Erika als ein Raubtier bezeichnet. Selbst
erlebt hat er diese Gestalt nicht, so in dem Sinne etwa,
wie Wedekind den „Erdgeist“ erlebt hat. Und dieser
fremde, erborgte Ton stört natürlich die Harmonie des
Ganzen. Wir verstehen auch Frieders Vater nicht ganz.
und wir wären im Zweifel, wenn wir dem Siebzehn¬
jährigen eine überzeugende Erklärung für das Handeln
seines Vaters geben sollten. Daß ein junger Mann und
ein junges Mädchen von siebzehn Jahren zwei ganz
Die Buchausgabe des Stuckes erschien bei der Deutschen
Verlags=Anstalt in Stuttaart #. Böcherwurkt