III, Einakter 10, (Marionetten. Drei Einakter), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 7

vom:
1904
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Theater und Kunst.
(Carl=Theater.) Zugunsten des unter dem Protektorate
Ihrer Durchlaucht der Fürstin Lothar Metternich =Winneburg
stehenden ersten öffentlichen Kinder=Krankeninstitutes in Wien:
Arthur Schnitzler=Abend. — Es ist eine der Merkwürdig¬
keiten unserer Theaterverhältnisse, daß Arthur Schnitzler, wohl der
beste und wertvollste Mann, den die im ganzen ziemlich vergäng¬
liche Erscheinung „Jung=Wien“ hervorgebracht hat, bei uns mit
seinen alten und neuen Stücken nur gesvielt werden kann, wenn alle
heiligen Zeiten einmal eine Berliner Truppe in Wien gastiert oder
wenn — wie gestern — eine Wohltätigkeitsakademie dem Publikum
den rar gewordenen Spektakel einer Schnitzler=Premiere bietet. Die
Sache ist um so kurioser, als unsere Bühnen an wirksamer und zugleich
werthvoller Wiener Produktion durchaus keinen Ueberfluß haben, ja
imGegenteil, sehr viele der Stücke, die von Wiener Autoren hier aufgeführt
werden, auf das Deutlichste durch das Mittel des Kontrastes erkennen
lassen, eine wie starke und feine Natur wir an Schnitzler haben. —
Der gestrige Abend stellte zwischen die beiden in Wien schon bekannten
Einakter „Die letzten Masken“ und „Litteratur“ (aus dem Zyklus
„Lebendige Stunden“) eine bisher hier noch nicht gespielte Studie
„Der Puppenspieler“. Der Hautboist Jagisch hat auf der
Straße einen alten Freund getroffen, den er seit langem wie mit
Kerzen gesucht hat und der ihm nun widerwillig ins Haus folgt.
In der Gesellschaft dieses Georg Merklin hat der Musiker vor elf
Jahren einen unvergeßlichen, berauschenden Abend erlebt, einen
Abend, der dem schüchternen, dürftigen Musikanten Lebenszuversicht
und Halt gegeben hat. Jagisch dankt ienem Abend mit seinem über¬
legenen Freunde sein ganzes Lebensglück. Merklin ist ein hoher und
unsteter Geist; er zieht es vor, Schicksale zu bestimmen, statt sie am
Schreibtisch nachzuziehen. Er will das Leben nicht nachschöpfen,
sondern selbst ein schöpfender Teil sein. An jenem Abend vor
elf Jahren hat er mit dem Hautboisten einen Scherz vor¬
gehabt. Er hat die schöne Anna, eine Freundin seiner
Freundin Irene, neben den schüchternen jungen Menschen gesetzt
und das Mädchen dazu angestiftet, mit ihrem Nachbar verliebt zu
tun, damit so in den verschüchterten Burschen Selbstgefühl
und Mut kämt. Das erzählt er nun dem Musiker und freut sich
wie eine Puppe -
des gelungenen Spiels, daß er ihn
gelenkt und gemeistert hat. Jagisch' Frau tritt ein — es ist dieselbe
Anna, die er damals zum Liebesspiel mit dem Musikanten gereizt.
Wieder freut sich Merklin seines Puppenspiels. Dieser Beiden Schicksal
hat er gestaltet; seine Hand hat die Fäden gelenkt, an denen die zwei,
hilflosen Marionetten gleich, hingen. Seiner Laune verdankt das blonde
Kind des Paares das Leben. Sein Weib hat den Puppenspieler verlassen;
sein Kind ist gestorben. Er hat Amt und Arbeit hingegeben, um ganz
seinem Künstlertum, dem Spiel mit Menschen, leben zu können. Aber
dieser Erfolg macht ihn stolz, und er ist froh, so einsam, so in Ein¬
samkeit groß und mächtig zu sein. In Wirklichkeit war es aber nicht
seines Fadens Zug, daß Anna und ihr Hautboist zusammen¬
kamen. Anna liebte damals vor 11 Jahren ihn, den Puppen¬
spieler; sie wollte den Ruhelosen seßhaft machen. Als sie ihn nicht
gewinnen konnte, griff sie in jener Nacht vor 11 Jahren zu dem
letzten Mittel, das ihr gegeben war: Sie versuchte Merklin eifer¬
süchtig zu machen. Die feurigen Blicke, die sie Jagisch zuwarf,
galten dem Puppenspieler. Tagelang wartete sie auf ihn — als er
nicht kam, nahm sie den schüchternen Hautboisten und gewann ihn
in der
lieb. ... Den Puppenspieler duldet es nicht länger
guten Stube, er schlägt Bewirtung und Herzlichkeit der Ehe¬
leute aus und geht, um einsam groß zu bleiben, reich, wie
er vermeint, in seiner Einsamkeit. Der Musikant will ihm nacheilen,
ihn zurückholen, aber seine Frau hält ihn davon ab, denn ihr
weibliches Gefühl errät, daß diesem Mann, der sich selbst Schicksal
zu sein dünkt, vom Schicksal nichts gelassen worden ist, als eben
diese berauschende Illusion, Schicksal zu sein . . . Das Publikum —.
es war das der Volkstheaterpremieren — nahm dieses nach¬
denkliche und feine Stück relativ lau auf, trotzdem Josef
und Frieda
Jarno (Merklin), Herr Claar (Jagisch)
Wagen (Frau Anna) sehr gut und natürlich spielten. „Die
wirkten stärker; Heine, Treßler und
letzten Masken“
Erich Schmidt vom Burgtheater setzten ihre ganze Kraft daran.
Das satirische Schlußstück „Literatur“ gefiel am besten. Diese
Komödie der „Schaffenden“ lag dem Publikum wohl auch am
nächsten. Frau Rosa Albach=Retty bemühte sich nicht ohne
2 Erfolg, ihre himmelblaue Natur zu verbergen und das „genre
rosse“ zu gewinnen. Sie war sehr gut als Schreibe=Weib; aber
manchmal klang der ungewohnte Ton ungewollt parodistisch und
das störte arg. Otto Treßlers gräflicher Sportsman und
Albert Heines Literaturhausierer waren prachtvolle, lebendige
Figuren. Die Inszenierung aller drei Stücke war sehr klug und
geschickt.