Wiener Mor gelt T
Ausschnitt aus
vom:
133810
Theater und Kunst.
(Carl-Theater.) Ein Schnitzler=Abend! Der jüngste
Meister, den die Wiener Literatur aufzuweisen hat und den
sie noch immer nicht mit genügendem Stolz anerkennt,
wurde gestern im Carl=Theater nach seinem wahren Ver¬
dienste gefeiert. An der Stelle, wo das süße Mädel seine
Reize im Dreivierteltalt besingt, kam der literarische Ent¬
decker dieses wienerischen Typus selbst zu Worte. Es ist
überflüssig, Arthur Schnitzler heute vorzustellen, seine
literarische Persönlichkeit steht fest in ihrer schmachtenden
Liebenswürdigkeit, in ihrer melancholischen Grazie, in ihrer
anmutigen Sentimentalität. Man braucht bloß an seine
zahlreichen Nachahmer zu denken, um zu erkennen, wie be¬
deutend er ist. Nur seine kleinen Aeußerlichkeiten vermögen sie
ihm abzugucken, aber den poetischen Dust, der die Gestalten
des Dichters umhaucht, den lyrischen Humor, die Feinheit
und Biegsamkeit der Wendungen, die elegante Dialektik der
Satir: — das alles bleibt unnachahmlich. Er ist ein
pariserischer Wiener. Und die Literarhistoriker der Zukunft
werden noch in manche Verlegenheit geraten, wenn sie ihn
etikettieren und in ein „Unsterblichkeitskastel“ werden ein¬
schachteln wollen. Für heute genügt bloß zu sagen, daß die
gestern aufgeführten dramatischen Miniaturen echter
Schnitzler waren: Die älteren zwei Einakter „Die letzten
Masken“ und „Literatur“ sowie die Studie in einem Akt
„Der Puppenspieler“. Die individuelle künstlerische Note
klingt hier durch. — Es ist wohl die beste An¬
erkennung, die Schnitzler gespendet werden kann.
„Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit.“
„Letzte Maslen“ kannte man schon vom Volkstheater
her, aber die Spitalstragikomödie, die das Menschenleben
retrospektiv aufrollt und die letzten Zuckungen verflackernder
Menschlichkeiten erschütternd weist, wirkte wieder stark und
tief. „Literatur“ diese entzückende kleine Farce aus
dem inneren Geschäftsbetriebe literarischer Hochstapelei, be¬
lustigte die „vom Bau“ und auch die „hier nicht Be¬
schäftigten“. Eine keckere Atelierstudie ist seit langem nicht
geschrieben worden, etwas von Molières Geist steckt darin.
Der neue Einakter „Der Puppenspieler“ ist
wieder ein echter Schnitzler von der mehr reflektierenden
und philosophischen Art des Künstlers. Du glaubst zu
schieben und wirst geschoben, du glaubst, fremde
Schicksale zu meistern und gehst an dem deinen vorüber.
„Der Puppenspieler“ ist selbst Puppe, der an den
Drähten der großen, unbekannten Macht geführt wird.
Treffliche Künstler hatten sich gestern vereinigt, um dem
1 Dichter zu dienen. In „Die letzten Masken“ spielte 5e.#
[Heine den Journalisten Rademacher. Das war ein
Meisterstück sein realistischer Darstellungskunst. Wie der
Getretene sich verjährten Groll, verhaltenen Schmerz von
der Seele redet, wie er in stöhnendem Jammer das unge¬
rechte Schicksal anklagt und sich dabei in sein letztes
— das alles war
Restchen Leben förmlich einhüllt
packend gestaltet. Aus dem Schauspieler Jackwerth machte
Herr Treßler eine ergötzliche Figur. Dieser traurige,
lustige Poseur lebt vor uns mit allen den Mätzchen und
Nuancen, die er stets parat hält. Herr Schmidt gab dem
berühmten Saisondichter Weihgast charakterische Farbe. Im
„Der Puppenspieler“ fiel Herr Claar durch seine sympathische
Schlichtheit auf und Herr Jarno durch seine künstlerische
Diskretion. Die Schlußaktorde philosophischer Resignation
brachte er mit schöner Einfachheit. In „Literatur“ gab es drei
prächtige Leistungen. Frau Retty war als Margarete
ganz Anmut und Humor. Das Weib, das innerlich
frei sein will und sich dabei an Aeußerlichkeiten und
Posen berauscht, stand in aller Lebendigkeit vor uns.
Herr Treßler als Clemens bot ein getreues
Porträt. Dieser Clemens spricht nasal, denkt und
empfindet ähnlich. Der Gilbert des Herrn Heine ist
direkt aus dem Bohsmewinkel auf die Bühne gezerrt. Alle
Darsteller hatten lebhaften Beifall. Die Vorstellung fand zu
gunsten des unter dem Protektorate der Fürstin Lothar
Metternich =Winneburg stehenden ersten
öffentlichen Kinder=Krankenheiminstituts statt. A. E.
Ausschnitt aus
vom:
133810
Theater und Kunst.
(Carl-Theater.) Ein Schnitzler=Abend! Der jüngste
Meister, den die Wiener Literatur aufzuweisen hat und den
sie noch immer nicht mit genügendem Stolz anerkennt,
wurde gestern im Carl=Theater nach seinem wahren Ver¬
dienste gefeiert. An der Stelle, wo das süße Mädel seine
Reize im Dreivierteltalt besingt, kam der literarische Ent¬
decker dieses wienerischen Typus selbst zu Worte. Es ist
überflüssig, Arthur Schnitzler heute vorzustellen, seine
literarische Persönlichkeit steht fest in ihrer schmachtenden
Liebenswürdigkeit, in ihrer melancholischen Grazie, in ihrer
anmutigen Sentimentalität. Man braucht bloß an seine
zahlreichen Nachahmer zu denken, um zu erkennen, wie be¬
deutend er ist. Nur seine kleinen Aeußerlichkeiten vermögen sie
ihm abzugucken, aber den poetischen Dust, der die Gestalten
des Dichters umhaucht, den lyrischen Humor, die Feinheit
und Biegsamkeit der Wendungen, die elegante Dialektik der
Satir: — das alles bleibt unnachahmlich. Er ist ein
pariserischer Wiener. Und die Literarhistoriker der Zukunft
werden noch in manche Verlegenheit geraten, wenn sie ihn
etikettieren und in ein „Unsterblichkeitskastel“ werden ein¬
schachteln wollen. Für heute genügt bloß zu sagen, daß die
gestern aufgeführten dramatischen Miniaturen echter
Schnitzler waren: Die älteren zwei Einakter „Die letzten
Masken“ und „Literatur“ sowie die Studie in einem Akt
„Der Puppenspieler“. Die individuelle künstlerische Note
klingt hier durch. — Es ist wohl die beste An¬
erkennung, die Schnitzler gespendet werden kann.
„Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit.“
„Letzte Maslen“ kannte man schon vom Volkstheater
her, aber die Spitalstragikomödie, die das Menschenleben
retrospektiv aufrollt und die letzten Zuckungen verflackernder
Menschlichkeiten erschütternd weist, wirkte wieder stark und
tief. „Literatur“ diese entzückende kleine Farce aus
dem inneren Geschäftsbetriebe literarischer Hochstapelei, be¬
lustigte die „vom Bau“ und auch die „hier nicht Be¬
schäftigten“. Eine keckere Atelierstudie ist seit langem nicht
geschrieben worden, etwas von Molières Geist steckt darin.
Der neue Einakter „Der Puppenspieler“ ist
wieder ein echter Schnitzler von der mehr reflektierenden
und philosophischen Art des Künstlers. Du glaubst zu
schieben und wirst geschoben, du glaubst, fremde
Schicksale zu meistern und gehst an dem deinen vorüber.
„Der Puppenspieler“ ist selbst Puppe, der an den
Drähten der großen, unbekannten Macht geführt wird.
Treffliche Künstler hatten sich gestern vereinigt, um dem
1 Dichter zu dienen. In „Die letzten Masken“ spielte 5e.#
[Heine den Journalisten Rademacher. Das war ein
Meisterstück sein realistischer Darstellungskunst. Wie der
Getretene sich verjährten Groll, verhaltenen Schmerz von
der Seele redet, wie er in stöhnendem Jammer das unge¬
rechte Schicksal anklagt und sich dabei in sein letztes
— das alles war
Restchen Leben förmlich einhüllt
packend gestaltet. Aus dem Schauspieler Jackwerth machte
Herr Treßler eine ergötzliche Figur. Dieser traurige,
lustige Poseur lebt vor uns mit allen den Mätzchen und
Nuancen, die er stets parat hält. Herr Schmidt gab dem
berühmten Saisondichter Weihgast charakterische Farbe. Im
„Der Puppenspieler“ fiel Herr Claar durch seine sympathische
Schlichtheit auf und Herr Jarno durch seine künstlerische
Diskretion. Die Schlußaktorde philosophischer Resignation
brachte er mit schöner Einfachheit. In „Literatur“ gab es drei
prächtige Leistungen. Frau Retty war als Margarete
ganz Anmut und Humor. Das Weib, das innerlich
frei sein will und sich dabei an Aeußerlichkeiten und
Posen berauscht, stand in aller Lebendigkeit vor uns.
Herr Treßler als Clemens bot ein getreues
Porträt. Dieser Clemens spricht nasal, denkt und
empfindet ähnlich. Der Gilbert des Herrn Heine ist
direkt aus dem Bohsmewinkel auf die Bühne gezerrt. Alle
Darsteller hatten lebhaften Beifall. Die Vorstellung fand zu
gunsten des unter dem Protektorate der Fürstin Lothar
Metternich =Winneburg stehenden ersten
öffentlichen Kinder=Krankenheiminstituts statt. A. E.