10. Der Puppenspieler
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Daran erinnert uns der Freund, deshalb haben wir ion
gern; Assoziation. (Wie denn „Treue“ nur gutes Gedächtnis
ist.) Also zwei Freunde. Sie haben sich zehn Jahre nicht
gesehen, nun aber, da sie sich zufällig begegnen, sind sie
gerührt. Wenigstens der eine, Herr Eduard Jagisch, der in
der Oper Oboe spielt. Wir merken bald, daß der Dichter
in ihm den schlichten Mann gezeichnet hat. Er ist ver¬
heiratet, er hat ein Kind, er scheint gefühlvoll, wohni weit
draußen vor der Stadt, fast auf dem Lande, obwohl das
„manchmal seine mißlichen Seiten hat"; und — und er
wagt es, sich glücklich zu nennen, „vollkommen glücklich,
schattenlos glücklich“, da selbst „der Tod nichts mehr
Schreckliches hat, wenn man einmal Weib und Kind hat,
die einen beweinen werden“. Wir begreifen, daß er mit
seinem Behagen den anderen ein bißchen nervös macht.
Dieser, Herr Georg Merklin, ist nämlich keineswegs schlicht.
Wir merken bald, daß er zu den paar Menschen gehört,
denen es weniger darauf ankommt, im Leben etwas zu
sein, als zu erfahren, was es denn eigentlich mit dem
Leben auf sich hat, und denen ihr Schicksal fast nur wie
ein Experiment ist, um daran die Probe auf ihre Gedanken
zu machen. Er hat in seiner Jugend gedichtet, man erwartete
damals, er würde etwas Großes werden. „Wer sagt dir,“
antwortete er dem Freunde, der ihn daran erinnert, „daß
ich es nicht geworden bin? Müssen es denn die anderen
merken? Wenn du heute deine Oboe verkauftest oder wenn
deine Finger und Lippen gelähmt würden, daß du nicht
mehr blasen könntest — wärest du ein geringerer Virtuose
als zuvor? Oder nimm an, du hättest keine Lust mehr und
wirfst sie einfach zum Fenster hinaus, deine Oboe,
weil ihr Klang dir nicht genügt — wärst du
dann kein Künstler mehr? Oder wärst du es nicht
vielmehr erst recht, wenn du es zum Fenster hin¬
untergeworfen hättest, dein Instrument, das so
ohnmächtig ist im Vergleiche zu der göttlichen Musik in
deinem Hirn? . .. Nun, ich habe sie zum Fenster hinn#er¬
geworfen, meine Oboe. Die Dummköpfe haben aus¬
geschrien: Es fällt ihm nichts ein! Ich lasse sie schreien.
Dem wahren Künstler kann nie etwas einfallen, denn er
hat alles in sich — er hat die innere Fülle. Das ist es,
darauf kommt es an.“ Man denkt an Ulrik Brendel, von
dem es wörtlich ebenso heißt, daß „die Welt früher einmal
etwas Großes von ihm erwartete“, und aus dem dann auch
nur ein spöttischer Vagabund geworden ist, aber immer
noch stolz auf seine Werke, die kein Mensch kennt, weil sie
gar nicht geschrieben sind, sondern nur von ihm allein in
Gedanken und Gesichten genossen, und den Rosmer so
beneidet, weil er „wenigstens den Mut hat, das Leben
nach seinem eigenen Kopfe zu leben“. Freilich um den
Preis, verschollen zu sein. Aber was liegt daran? Merklin
sagt: „Ich versichere dir, es tut gar nicht weh, verschollen
zu sein. Und ich glaube nicht, daß Menschen meiner Art
überhaupt etwas Besseres zustoßen kann. Denn Menschen
von seiner Art gelingt es nicht mehr, sich vom Leben
düpieren zu lassen, und hat man dies einmal verlernt, was
bleibt einem noch? „Ruhm? — Zehn Jahre — tausend
Jahre — zehntausend? sag' mir, in welchem Jahre die
Unsterblichkeit anfängt und ich will um meinen Ruhm
besorgt sein. — Reichtum? — Zehn Gulden — tausend —
eine Million? — Sag' mir, um wie viel die Welt zu kaufen
ist, und ich will mich um Reichtum bemühen. Vorläufig ist
mir der Unterschied zwischen Armut und Reichtum, zwischen
Dunkelheit und Ruhm zu gering, als daß es sich mir
lohnte, einen Finger darum zu rühren. Laß mich spazieren
gehen, Freund, und mit Menschen spielen. Das ist das
einzige, was eines Menschen meiner Art würdig ist.“ Er
sagt hier wieder: Menschen meiner Art, und steckt sich von
den anderen ab, um nur nicht im Haufen zu sein, wie es
immer jene drängt, die an einem tiefen Stolze leiden, die
sich zu gut sind, um sich mit halben Erfüllungen abzu¬
finden, die lieber verzichten, als sich zu bescheiden. Alles,
oder nichts, die Losung Brands. Kann ich das Leben nicht
zwingen, mir das zu werden, worauf mein inneres Wesen
steht, so will ich auch seine Gnaden nicht und danke für ein
Glück, das den Hammer einer unerbittlichen Forderung und
des großen Mißtrauens nicht verträgt. Dann lieber in der
Ecke stehen, spöttisch zuschauen und tändelnd spielen,
mit dem Leben und mit den Menschen spielen, wie
mit Puppen, was wahrhaftig, an Lebendigen geübt, ein
edleres Vergnügen ist, als „Luftgestalten im poctischen Tanze
herumwirbeln zu lassen.“ Als solcher „Puppenspieler“ hat sich
Merklin von je gern vergnügt. Auch einst, vor zehn Jahren,
an eben diesem Herrn Jagisch, der jetzt so glücklich ist.
Damals war er das gar nicht, denn er litt, wie solche
schlichte Menschen in der Jugend oft, an Mißtrauen vor
sich selbst. Wie einen Größenwahn, gibt es nämlich, vielleicht
viel öfter als diesen. auch einen Kleinbeitswahn: Mir geht
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Daran erinnert uns der Freund, deshalb haben wir ion
gern; Assoziation. (Wie denn „Treue“ nur gutes Gedächtnis
ist.) Also zwei Freunde. Sie haben sich zehn Jahre nicht
gesehen, nun aber, da sie sich zufällig begegnen, sind sie
gerührt. Wenigstens der eine, Herr Eduard Jagisch, der in
der Oper Oboe spielt. Wir merken bald, daß der Dichter
in ihm den schlichten Mann gezeichnet hat. Er ist ver¬
heiratet, er hat ein Kind, er scheint gefühlvoll, wohni weit
draußen vor der Stadt, fast auf dem Lande, obwohl das
„manchmal seine mißlichen Seiten hat"; und — und er
wagt es, sich glücklich zu nennen, „vollkommen glücklich,
schattenlos glücklich“, da selbst „der Tod nichts mehr
Schreckliches hat, wenn man einmal Weib und Kind hat,
die einen beweinen werden“. Wir begreifen, daß er mit
seinem Behagen den anderen ein bißchen nervös macht.
Dieser, Herr Georg Merklin, ist nämlich keineswegs schlicht.
Wir merken bald, daß er zu den paar Menschen gehört,
denen es weniger darauf ankommt, im Leben etwas zu
sein, als zu erfahren, was es denn eigentlich mit dem
Leben auf sich hat, und denen ihr Schicksal fast nur wie
ein Experiment ist, um daran die Probe auf ihre Gedanken
zu machen. Er hat in seiner Jugend gedichtet, man erwartete
damals, er würde etwas Großes werden. „Wer sagt dir,“
antwortete er dem Freunde, der ihn daran erinnert, „daß
ich es nicht geworden bin? Müssen es denn die anderen
merken? Wenn du heute deine Oboe verkauftest oder wenn
deine Finger und Lippen gelähmt würden, daß du nicht
mehr blasen könntest — wärest du ein geringerer Virtuose
als zuvor? Oder nimm an, du hättest keine Lust mehr und
wirfst sie einfach zum Fenster hinaus, deine Oboe,
weil ihr Klang dir nicht genügt — wärst du
dann kein Künstler mehr? Oder wärst du es nicht
vielmehr erst recht, wenn du es zum Fenster hin¬
untergeworfen hättest, dein Instrument, das so
ohnmächtig ist im Vergleiche zu der göttlichen Musik in
deinem Hirn? . .. Nun, ich habe sie zum Fenster hinn#er¬
geworfen, meine Oboe. Die Dummköpfe haben aus¬
geschrien: Es fällt ihm nichts ein! Ich lasse sie schreien.
Dem wahren Künstler kann nie etwas einfallen, denn er
hat alles in sich — er hat die innere Fülle. Das ist es,
darauf kommt es an.“ Man denkt an Ulrik Brendel, von
dem es wörtlich ebenso heißt, daß „die Welt früher einmal
etwas Großes von ihm erwartete“, und aus dem dann auch
nur ein spöttischer Vagabund geworden ist, aber immer
noch stolz auf seine Werke, die kein Mensch kennt, weil sie
gar nicht geschrieben sind, sondern nur von ihm allein in
Gedanken und Gesichten genossen, und den Rosmer so
beneidet, weil er „wenigstens den Mut hat, das Leben
nach seinem eigenen Kopfe zu leben“. Freilich um den
Preis, verschollen zu sein. Aber was liegt daran? Merklin
sagt: „Ich versichere dir, es tut gar nicht weh, verschollen
zu sein. Und ich glaube nicht, daß Menschen meiner Art
überhaupt etwas Besseres zustoßen kann. Denn Menschen
von seiner Art gelingt es nicht mehr, sich vom Leben
düpieren zu lassen, und hat man dies einmal verlernt, was
bleibt einem noch? „Ruhm? — Zehn Jahre — tausend
Jahre — zehntausend? sag' mir, in welchem Jahre die
Unsterblichkeit anfängt und ich will um meinen Ruhm
besorgt sein. — Reichtum? — Zehn Gulden — tausend —
eine Million? — Sag' mir, um wie viel die Welt zu kaufen
ist, und ich will mich um Reichtum bemühen. Vorläufig ist
mir der Unterschied zwischen Armut und Reichtum, zwischen
Dunkelheit und Ruhm zu gering, als daß es sich mir
lohnte, einen Finger darum zu rühren. Laß mich spazieren
gehen, Freund, und mit Menschen spielen. Das ist das
einzige, was eines Menschen meiner Art würdig ist.“ Er
sagt hier wieder: Menschen meiner Art, und steckt sich von
den anderen ab, um nur nicht im Haufen zu sein, wie es
immer jene drängt, die an einem tiefen Stolze leiden, die
sich zu gut sind, um sich mit halben Erfüllungen abzu¬
finden, die lieber verzichten, als sich zu bescheiden. Alles,
oder nichts, die Losung Brands. Kann ich das Leben nicht
zwingen, mir das zu werden, worauf mein inneres Wesen
steht, so will ich auch seine Gnaden nicht und danke für ein
Glück, das den Hammer einer unerbittlichen Forderung und
des großen Mißtrauens nicht verträgt. Dann lieber in der
Ecke stehen, spöttisch zuschauen und tändelnd spielen,
mit dem Leben und mit den Menschen spielen, wie
mit Puppen, was wahrhaftig, an Lebendigen geübt, ein
edleres Vergnügen ist, als „Luftgestalten im poctischen Tanze
herumwirbeln zu lassen.“ Als solcher „Puppenspieler“ hat sich
Merklin von je gern vergnügt. Auch einst, vor zehn Jahren,
an eben diesem Herrn Jagisch, der jetzt so glücklich ist.
Damals war er das gar nicht, denn er litt, wie solche
schlichte Menschen in der Jugend oft, an Mißtrauen vor
sich selbst. Wie einen Größenwahn, gibt es nämlich, vielleicht
viel öfter als diesen. auch einen Kleinbeitswahn: Mir geht