10. Der Puppenspieler
halt nichts gut aus, mich hat halt niemand lieb!“ Davon
ihn zu heilen, sich aber wieder ein Exempel zu machen, daß
in unserem Leben doch alles nur aus Illusion gewoben ist,
stiftet Merklin ein junges Mädchen an, in Jagisch verliebt
zu tun, wozu es, selbst in Merklin verliebt, sich bereden
läßt. Und nun, nach zehn Jahren, sagt er es ihm und weidet
ssich daran: „Ich vermute, daß dieser Abend bedeutungs¬
voller für dich war, als du ahnst. Ich glaube, daß du an
diesem Abende den Lebensmut in dich getrunken hast, von
dem du auch heute noch erfüllt bist. Denn damals, gesteh' es,
hast du zum ersten Mal empfunden, daß auch du im stande
bist, Glück zu geben, Glück zu empfangen . .. Wäre jene
Stunde nicht gewesen, du wärst wohl dein Lebtag der ver¬
schüchterte, ängstliche Bursche geblieben, als den ich dich
kannte. Vielleicht hättest du nicht einmal den Mut gefunden,
um ein Weib zu werben . .. Und wie kam dies alles? Wo¬
durch war diese außerordentliche Veränderung deines
Wesens hervorgerufen? Indem du glaubtest, das schöne
Mädchen, das dich damals doch zum ersten Mal sah, hätte
ssich auf den ersten Blick in dich verliebt ... Du hattest
Ursache, es zu glauben; aber du hast dich geirrt ... Das
Ganze war ein tiefsinniger Spaß, den ich ausgedacht
hatte... Es war eine abgekartete Sache. Die Kleine, die
so zärtlich mit dir war, tat einfach, was ich wollte. Ihr
war't die Puppen in meiner Hand, ich lenkte die Drähte.
Es war abgemacht, daß sie sich in dich verliebt stellen sollte.
Denn du hast mir immer leid getan, Eduard. Ich wollte
in dir die Illusion eines Glückes erwecken, damit dich das
wahre Glück bereit fände, wenn es einmal erschiene. Und
so hab' ich — wie es Leuten meiner Art wohl gegeben sein
mag — vielleicht noch tiefer gewirkt, als ich wollte. Ich habe
dich zu einem anderen Menschen gemacht.“ Der andere hört
zu und lacht nur still vor sich hin. Und dann kommt es
heraus: daß er das alles schon weiß. Längst. Das Mädchen
selbst hat ihm gestanden, daß es zuerst nur ein Spiel war.
Später, als es kein Spiel mehr war. Denn später ist sie ihm
dann wirklich gut geworden und dann ist sie seine Frau
geworden und jetzt ist schon ein großmächtiger Bub da. Und
sso verdankt er dem Puppenspieler eigentlich sein ganzes
Glück. Aber dem Puppenspieler kommt es doch seltsam vor.
Besonders der Bub kommt ihm seltsam vor, dieser wirkliche,
unleugbare, leibhafte Bub, aus einer „llusion geboren. „Wer
weiß, wozu dieser kleine Junge einmal berufen ist. Und wenn
man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht
lan jenem Abend den Einfall gehabt hätte ... Ihr müßt
ses ihm erzählen, wenn er einmal groß genug ist, um es zu
sverstehen... Ein Kind meiner Laune — wahrhaftig.“ Und
ser geht. Die beiden aber binden dem Buben die Serviette
sum und rücken seinen Stuhl an den Tisch und es wird
sgegessen. Und wir merken, oder es kommt uns wenigstens
svor, daß der Dichter sagen will: Der schlichte Mann hat
jrecht, nicht die „Menschen meiner Art“, sondern, die sich vom
Leben foppen lassen.
Womit wir denn wieder bei Grillparzers und
Stifters altösterreichischer Weisheit der Beschwichtigung
und Entsagung wären:
Eines nur ist Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden „
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!
Beiseite leben. Still sein. Sich nicht vermessen, um
sich nicht zu verlieren. Umgekehrt wie Brand: nicht „alles
oder nichts“, sondern dazwischen. Nicht hochmütig auf die
Wahrheit pochen, die, wenn sie extrem wird, über unsere
Kraft geht. Die kleinen Lügen nicht verachten, aus denen
doch manchmal etwas so Wirkliches wie dieser kleine Bub
hier wird, worin vielleicht das eigentliche Wunder und das
fletzte Geheimnis unseres Lebens liegt. Eine Gesinnung, die
sich seit ein paar Jahren bei Schnitzler immer wieder meldet,
sogar im „Einsamen Weg“, seiner reifsten, so wunderbar
tiefen und reichen Dichtung. Eine Gesinnung, die auf
mich — lieber Arthur, sei nicht bös, aber: Bekenntnis gegen
Bekenntnis — allmählich unerträglich pensioniert wirkt.
Eine Gesinnung, mit der sich auch Hebbel, durch Oesterreich
gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit gehört in
unser Leben nicht, nimmt, wenn sie sich darin zeigt, eine
Schuld auf sich und muß sie tragisch büßen. Ich habe sonst
meinem Marxismus mit der Zeit recht bedingen gelernt,
aber da muß ich doch sagen: Dies scheint mir wirklich nichts
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Sehnsucht nach der neuen Form einer starken, durchaus
wahrhaften, leuchtenden Existenz in innerer Freiheit, oder
dieses hinfälligen alten Lebens trister Widerstand! In Ge¬
danken still beiseite, sozusagen: auf dem anderen Ufer
sein und höchstens manchmal lächelnd herüber schauen,
froh, daß man sich noch zur rechten Zeit geflüchtet und
davor gesichert hat, das scheint jetzt oft der müde Wunsch
deiner Menschen. Aber solche Gedanken, die nur still, mit
gesunkenen Händen, beiseite sitzen können, sind mir nichts
und mich verlangt nach kühneren, die die Kraft hätten, die
Fäuste zu ballen und ins Leben zu strecken und es nicht zu
lassen, bis es uns segnen wird. Ich denke jetzt so oft an
deinen „Schleier der Beatrice“ an die schaurig große
Stimmung jener letzten Nacht, die den blutigen Borgia
schon vor den Toren weiß ... und morgen wird er kommen
und mit ihm kommt der Tod. Sind wir nicht selbst jetzt
in solcher Nacht einer Welt, die morgen versinkt? Aber da
wollen wir doch die paar letzten Stunden, bevor der Borgia
kommt, endlich einmal nicht mehr entsagen, nicht
mehr uns fügen, nicht mehr nach dem Gebot der Väter
fragen, sondern nachholen, bevor es zu spät ist, und endlich
nichts als wir selbst sein und, den Tod im Leibe, endlich,
endlich leben! Ich glaube nicht mehr, Arthur, daß Ent¬
sagung Reife ist. Ich glaube, sie ist nur innere Schwäche.
(Furcht von Menschen, die sich bewahren wollen, weil sie
noch nicht wissen, daß dies der Sinn des Lebens ist:
sich zu zerstören, damit Höheres lebendig werde.)
Ich glaube, daß dies weite Leben, das da draußen winkt,
ungeheuer reich an wilder Schönheit und verruchtem Glück
ist: es wartet nur auf einen großen Räuber, der es zwingen
wird. Ich glaube nicht mehr an die kleinen Tugenden des
gelassen zuschauenden Geistes. Ich glaube nur noch an die
große Kraft ungestüm verlangender Leidenschaft. Und ich
glaube, daß einer von uns, gerade einer von uns, dies
machen muß, dies Werk, das die letzte Nacht einer alten
Zeit enthalten wird, aus der schon in der Ferne, blutig froh,
die Sonne der neuen bricht. Mach' du's!
Jarno gab den Puppenspieler in seiner festen und
sicheren Art, mir fast ein bißchen zu fest und bestimmt: die
Figur hat bei Schnitzler den beinahe musikalischen Reiz
einer Radierung, Jarno macht einen Holzschnitt daraus.
In den „letzten Masken“ die vorhergingen, wirkte Herr
Heine als Rademacher sehr, prachtvoll in dieser Mischung
von Grimm, Neid, Haß, Gier, Wut eines ohnmächtigen
Menschen, der sich ein ganzes Leben geduckt hat und nun im
Tode höhnend aufbäumt. Zum Gilbert in der „Literatur",
die dem Puppenspieler folgte, ist er im Tone zu schwer, zu
real, besonders neben dem Simplizissimusstil der Frau
Retty und des Herrn Treßler, die hier in ihrem
Hermann Bahr.
Element waren.
halt nichts gut aus, mich hat halt niemand lieb!“ Davon
ihn zu heilen, sich aber wieder ein Exempel zu machen, daß
in unserem Leben doch alles nur aus Illusion gewoben ist,
stiftet Merklin ein junges Mädchen an, in Jagisch verliebt
zu tun, wozu es, selbst in Merklin verliebt, sich bereden
läßt. Und nun, nach zehn Jahren, sagt er es ihm und weidet
ssich daran: „Ich vermute, daß dieser Abend bedeutungs¬
voller für dich war, als du ahnst. Ich glaube, daß du an
diesem Abende den Lebensmut in dich getrunken hast, von
dem du auch heute noch erfüllt bist. Denn damals, gesteh' es,
hast du zum ersten Mal empfunden, daß auch du im stande
bist, Glück zu geben, Glück zu empfangen . .. Wäre jene
Stunde nicht gewesen, du wärst wohl dein Lebtag der ver¬
schüchterte, ängstliche Bursche geblieben, als den ich dich
kannte. Vielleicht hättest du nicht einmal den Mut gefunden,
um ein Weib zu werben . .. Und wie kam dies alles? Wo¬
durch war diese außerordentliche Veränderung deines
Wesens hervorgerufen? Indem du glaubtest, das schöne
Mädchen, das dich damals doch zum ersten Mal sah, hätte
ssich auf den ersten Blick in dich verliebt ... Du hattest
Ursache, es zu glauben; aber du hast dich geirrt ... Das
Ganze war ein tiefsinniger Spaß, den ich ausgedacht
hatte... Es war eine abgekartete Sache. Die Kleine, die
so zärtlich mit dir war, tat einfach, was ich wollte. Ihr
war't die Puppen in meiner Hand, ich lenkte die Drähte.
Es war abgemacht, daß sie sich in dich verliebt stellen sollte.
Denn du hast mir immer leid getan, Eduard. Ich wollte
in dir die Illusion eines Glückes erwecken, damit dich das
wahre Glück bereit fände, wenn es einmal erschiene. Und
so hab' ich — wie es Leuten meiner Art wohl gegeben sein
mag — vielleicht noch tiefer gewirkt, als ich wollte. Ich habe
dich zu einem anderen Menschen gemacht.“ Der andere hört
zu und lacht nur still vor sich hin. Und dann kommt es
heraus: daß er das alles schon weiß. Längst. Das Mädchen
selbst hat ihm gestanden, daß es zuerst nur ein Spiel war.
Später, als es kein Spiel mehr war. Denn später ist sie ihm
dann wirklich gut geworden und dann ist sie seine Frau
geworden und jetzt ist schon ein großmächtiger Bub da. Und
sso verdankt er dem Puppenspieler eigentlich sein ganzes
Glück. Aber dem Puppenspieler kommt es doch seltsam vor.
Besonders der Bub kommt ihm seltsam vor, dieser wirkliche,
unleugbare, leibhafte Bub, aus einer „llusion geboren. „Wer
weiß, wozu dieser kleine Junge einmal berufen ist. Und wenn
man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht
lan jenem Abend den Einfall gehabt hätte ... Ihr müßt
ses ihm erzählen, wenn er einmal groß genug ist, um es zu
sverstehen... Ein Kind meiner Laune — wahrhaftig.“ Und
ser geht. Die beiden aber binden dem Buben die Serviette
sum und rücken seinen Stuhl an den Tisch und es wird
sgegessen. Und wir merken, oder es kommt uns wenigstens
svor, daß der Dichter sagen will: Der schlichte Mann hat
jrecht, nicht die „Menschen meiner Art“, sondern, die sich vom
Leben foppen lassen.
Womit wir denn wieder bei Grillparzers und
Stifters altösterreichischer Weisheit der Beschwichtigung
und Entsagung wären:
Eines nur ist Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden „
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!
Beiseite leben. Still sein. Sich nicht vermessen, um
sich nicht zu verlieren. Umgekehrt wie Brand: nicht „alles
oder nichts“, sondern dazwischen. Nicht hochmütig auf die
Wahrheit pochen, die, wenn sie extrem wird, über unsere
Kraft geht. Die kleinen Lügen nicht verachten, aus denen
doch manchmal etwas so Wirkliches wie dieser kleine Bub
hier wird, worin vielleicht das eigentliche Wunder und das
fletzte Geheimnis unseres Lebens liegt. Eine Gesinnung, die
sich seit ein paar Jahren bei Schnitzler immer wieder meldet,
sogar im „Einsamen Weg“, seiner reifsten, so wunderbar
tiefen und reichen Dichtung. Eine Gesinnung, die auf
mich — lieber Arthur, sei nicht bös, aber: Bekenntnis gegen
Bekenntnis — allmählich unerträglich pensioniert wirkt.
Eine Gesinnung, mit der sich auch Hebbel, durch Oesterreich
gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit gehört in
unser Leben nicht, nimmt, wenn sie sich darin zeigt, eine
Schuld auf sich und muß sie tragisch büßen. Ich habe sonst
meinem Marxismus mit der Zeit recht bedingen gelernt,
aber da muß ich doch sagen: Dies scheint mir wirklich nichts
box 34/9
Sehnsucht nach der neuen Form einer starken, durchaus
wahrhaften, leuchtenden Existenz in innerer Freiheit, oder
dieses hinfälligen alten Lebens trister Widerstand! In Ge¬
danken still beiseite, sozusagen: auf dem anderen Ufer
sein und höchstens manchmal lächelnd herüber schauen,
froh, daß man sich noch zur rechten Zeit geflüchtet und
davor gesichert hat, das scheint jetzt oft der müde Wunsch
deiner Menschen. Aber solche Gedanken, die nur still, mit
gesunkenen Händen, beiseite sitzen können, sind mir nichts
und mich verlangt nach kühneren, die die Kraft hätten, die
Fäuste zu ballen und ins Leben zu strecken und es nicht zu
lassen, bis es uns segnen wird. Ich denke jetzt so oft an
deinen „Schleier der Beatrice“ an die schaurig große
Stimmung jener letzten Nacht, die den blutigen Borgia
schon vor den Toren weiß ... und morgen wird er kommen
und mit ihm kommt der Tod. Sind wir nicht selbst jetzt
in solcher Nacht einer Welt, die morgen versinkt? Aber da
wollen wir doch die paar letzten Stunden, bevor der Borgia
kommt, endlich einmal nicht mehr entsagen, nicht
mehr uns fügen, nicht mehr nach dem Gebot der Väter
fragen, sondern nachholen, bevor es zu spät ist, und endlich
nichts als wir selbst sein und, den Tod im Leibe, endlich,
endlich leben! Ich glaube nicht mehr, Arthur, daß Ent¬
sagung Reife ist. Ich glaube, sie ist nur innere Schwäche.
(Furcht von Menschen, die sich bewahren wollen, weil sie
noch nicht wissen, daß dies der Sinn des Lebens ist:
sich zu zerstören, damit Höheres lebendig werde.)
Ich glaube, daß dies weite Leben, das da draußen winkt,
ungeheuer reich an wilder Schönheit und verruchtem Glück
ist: es wartet nur auf einen großen Räuber, der es zwingen
wird. Ich glaube nicht mehr an die kleinen Tugenden des
gelassen zuschauenden Geistes. Ich glaube nur noch an die
große Kraft ungestüm verlangender Leidenschaft. Und ich
glaube, daß einer von uns, gerade einer von uns, dies
machen muß, dies Werk, das die letzte Nacht einer alten
Zeit enthalten wird, aus der schon in der Ferne, blutig froh,
die Sonne der neuen bricht. Mach' du's!
Jarno gab den Puppenspieler in seiner festen und
sicheren Art, mir fast ein bißchen zu fest und bestimmt: die
Figur hat bei Schnitzler den beinahe musikalischen Reiz
einer Radierung, Jarno macht einen Holzschnitt daraus.
In den „letzten Masken“ die vorhergingen, wirkte Herr
Heine als Rademacher sehr, prachtvoll in dieser Mischung
von Grimm, Neid, Haß, Gier, Wut eines ohnmächtigen
Menschen, der sich ein ganzes Leben geduckt hat und nun im
Tode höhnend aufbäumt. Zum Gilbert in der „Literatur",
die dem Puppenspieler folgte, ist er im Tone zu schwer, zu
real, besonders neben dem Simplizissimusstil der Frau
Retty und des Herrn Treßler, die hier in ihrem
Hermann Bahr.
Element waren.