III, Einakter 10, (Marionetten. Drei Einakter), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 14


um ein Weib zu werben . .. Und wie kam dies alles? Wo¬
durch war diese außerordentliche Veränderung deines
Wesens hervorgerufen? Indem du glaubtest, das schöne
Mädchen, das dich damals doch zum ersten Mal sah, hätte
sich auf den ersten Blick in dich verliebt ... Du hattest
Ursache, es zu glauben; aber du hast dich geirrt ... Das
Ganze war un tiefsinniger Spaß, den ich ausgedacht
shatte... Es war eine abgekartete Sache. Die Kleine, die
so zärtlich mit dir war, tat einfach, was ich wollte. Ihr
war't die Puppen in meiner Hand, ich lenkte die Drähte.
[Es war abgemacht, daß sie sich in dich verliebt stellen sollte.
Denn du hast mir immer leid getan, Eduard. Ich wollte
in dir die Illusion eines Glückes erwecken, damit dich das
wahre Glück bereit fände, wenn es einmal erschiene. Und
so hab' ich — wie es Leuten meiner Art wohl gegeben sein
mag — vielleicht noch tiefer gewirkt, als ich wollte. Ich habe
dich zu einem anderen Menschen gemacht.“ Der andere hört
zu und lacht nur still vor sich hin. Und dann kommt es
heraus: daß er das alles schon weiß. Längst. Das Mädchen
selbst hat ihm gestanden, daß es zuerst nur ein Spiel war.
Später, als es kein Spiel mehr war. Denn später ist sie ihm
dann wirklich gut geworden und dann ist sie seine Frau
geworden und jetzt ist schon ein großmächtiger Bub da. Und
sso verdankt er dem Puppenspieler eigentlich sein ganzes
Glück. Aber dem Puppenspieler kommt es doch seltsam vor.
Besonders der Bub kommt ihm seltsam vor, dieser wirkliche,
unleugbare, leibhafte Bub, aus einer „llusion geboren. „Wer
weiß, wozu dieser kleine Junge einmal berufen ist. Und wenn
man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht
lan jenem Abend den Einfall gehabt hätte ... Ihr müßt
ses ihm erzählen, wenn er einmal groß genug ist, um es zu
verstehen ... Ein Kind meiner Laune — wahrhaftig.“ Und
ser geht. Die beiden aber binden dem Buben die Serviette
sum und rücken seinen Stuhl an den Tisch und es wird
sgegessen. Und wir merken, oder es kommt uns wenigstens
vor, daß der Dichter sagen will: Der schlichte Mann hat
jrecht, nicht die „Menschen meiner Art“, sondern, die sich vom
Leben foppen lassen.
Womit wir denn wieder bei Grillparzers und
Stifters altösterreichischer Weisheit der Beschwichtigung
und Entsagung wären:
Eines nur ist Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden „
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!
Beiseite leben. Still sein. Sich nicht vermessen, um
sich nicht zu verlieren. Umgekehrt wie Brand: nicht „alles
bder nichts“, sondern dazwischen. Nicht hochmütig auf die
Wahrheit pochen, die, wenn sie extrem wird, über unsere
Kraft geht. Die kleinen Lügen nicht verachten, aus denen
doch manchmal etwas so Wirkliches wie dieser kleine Bub
hier wird, worin vielleicht das eigentliche Wunder und das
fletzte Geheimnis unseres Lebens liegt. Eine Gesinnung, die
sich seit ein paar Jahren bei Schnitzler immer wieder meldet,
sogar im „Einsamen Weg“, seiner reifsten, so wunderbar
tiefen und reichen Dichtung. Eine Gesinnung, die auf
mich — lieber Arthur, sei nicht bös, aber: Bekenntnis gegen
Bekenntnis — allmählich unerträglich pensioniert wirkt.
Eine Gesinnung, mit der sich auch Hebbel, durch Oesterreich
gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit gehört in
sunser Leben nicht, nimmt, wenn sie sich darin zeigt, eine
Schuld auf sich und muß sie tragisch büßen. Ich habe sonst
meinem Marxismus mit der Zeit recht bedingen gelernt,
aber da muß ich doch sagen: Dies scheint mir wirklich nichts
sals der geistige Ausdruck einer sinlenden ökonomischen
Klasse zu sein, die, da sie sich durch die Entwicklung unauf¬
shaltsam zerrieben fühlt, jetzt einfach aus dem Leben
desertieren will. Durch unsere Geburt gehören wir ihr an,
sdeshalb wird sie aus unserer Empfindung niemals aus¬
zutilgen sein, die Frage ist nur, ob wir auch
geistig uns ihr fügen müssen oder sie geistig
vielleicht überwinden dürfen, ob nicht unserer Generation
(gerade dazu nur die Kunst gegeben wurde, die Kunst und
diese namenlose Sehnsucht, um durch sie das Leben selbst,
dessen leere Lügen wir nicht mehr ertragen, aus uns umzu¬
iformen. Das Leben hält uns geistig nicht, was wir von
ihm fordern. An unseren Gedanken gemessen, ist es matt
und dumpf. Und darum willst du dich aus ihm stehlen,
in den Winkel müßiger Entsagung? Weil es unserem
Geiste nicht gemäß ist, das soll mich bestimmen, es mit dem
Geiste der Väter zu versuchen? Wenn das Leben mir nicht
gemäß ist, wer sagt dir denn, daß ich darum mich ändern
muß, statt es? Trauen wir uns so wenig zu? Haben wir
uns denn schon mit ihm gemessen? Wir wollen doch erst
einmal sehen, wer stärker ist: Wir mit unserer freudigen!
und mit ihm kommt der Tod. Sind wir nicht selbst jetz
in solcher Nacht einer Welt, die morgen versinkt? Aber da
wollen wir doch die paar letzten Stunden, bevor der Borgia
kommt, endlich einmal nicht mehr entsagen, nicht
mehr uns fügen, nicht mehr nach dem Gebot der Väter
fragen, sondern nachholen, bevor es zu spät ist, und endlich
nichts als wir selbst sein und, den Tod im Leibe, endlich,
endlich leben! Ich glaube nicht mehr, Arthur, daß Ent¬
sagung Reife ist. Ich glaube, sie ist nur innere Schwäche.
(Furcht von Menschen, die sich bewahren wollen, weil sie
nuch nicht wissen, daß dies der Sinn des Lebens ist:
sich zu zerstören, damit Höheres lebendig werde.)
Ich glaube, daß dies weite Leben, das da draußen winkt,
ungeheuer reich an wilder Schönheit und verruchtem Glück
ist: es wartet nur auf einen großen Räuber, der es zwingen
wird. Ich glaube nicht mehr an die kleinen Tugenden des
gelassen zuschauenden Geistes. Ich glaube nur noch an die
große Kraft ungestüm verlangender Leidenschaft. Und ich
glaube, daß einer von uns, gerade einer von uns, dies
machen muß, dies Werk, das die letzte Nacht einer alten
Zeit enthalten wird, aus der schon in der Ferne, blutig froh,
die Sonne der neuen bricht. Mach' du's!
Jarno gab den Puppenspieler in seiner festen und
sicheren Art, mir fast ein bißchen zu fest und bestimmt: die
Figur hat bei Schnitzler den beinahe musikalischen Reiz
einer Radierung, Jarno macht einen Holzschnitt daraus.
In den „letzten Masken“ die vorhergingen, wirkte Herr
Heine als Rademacher sehr, prachtvoll in dieser Mischung
von Grimm, Neid, Haß, Gier, Wut eines ohnmächtigen
Menschen, der sich ein ganzes Leben geduckt hat und nun im
Tode höhnend aufbäumt. Zum Gilbert in der „Literatur",
die dem Puppenspieler folgte, ist er im Tone zu schwer, zu
real, besonders neben dem Simplizissimusstil der Frau
Retty und des Herrn Treßler, die hier in ihrem
Hermann Bahr.
Element waren.
use
Telephon 12801.
Alex. Weigis Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
„OBSERVER“
L. österr. behördl. konz. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Deutsche Zeitung, Wien
13.12. 1904
vom:
Theater, Kunst und Literatur.
Carl=Theater. Zu wohltätigem Zwecke fand heute ein
Artur Schnitzler=Abend statt, an welchem drei Einakter dieses
Autors gegeben wurden. Zwei davon, „Die letzten Masken“
und „Literatur“, sind aus dem Zyklus „Lebendige Stunden“
her bekannt. Heute blieben sie ohne stärkere Wirkung, da die
Darstellung, trotzdem sie dem Burgtheater entnommen war,
manches zu wünschen ließ. Herr Heine spielte den sterben¬
den Journalisten im ersten Stücke ohne jegliche Nuance in
monotoner Fistelstimme und Herr Schmidt seinen Rivalen
so farblos, daß der Sinn des Stückes gar nicht herauskam.
In der „Literatur“ war Herr Treßler um das zuviel
Karikatur, was Frau Albach=Retty zu wenig an paro¬
distischen Humor bot. Das dritte Stück, eine Studie „Der Puppen¬
spieler“ fiel gänzlich ab und erwies sich fast als unver¬
ständlich. Der Puppenspieler ist einer, der zwei Menschen
wie Puppen dirigiert hat und unbewußt ihr Glück schuf.
Das seinige aber zu bestimmen gelang ihm nicht; als ein¬
samer, außerhalb der Welt stehende Mann, der auf alles
verzichtet hat und seine Werke nur mehr denkt, nicht nieder¬
#schreibt, sieht er nach Jahren sein Puppenpaar und das
Rind derselben wieder, ohne bei den Zufriedenen zu weilen.
Herr Jarno bemühte sich vergeblich, die krausen Worte
des Puppenspielers einer Deutungsmöglichkeit zuzuführen;
sie enthalten zu wenig Sinn, um dem völlig undramatischen
Dialog der Szene eine Wirkung auf das Gemüt zu
A. L—ch.
verleihen.
—.—