III, Einakter 10, (Marionetten. Drei Einakter), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 32


Das Gastspiel des bekannten Berliner
Schauspielers Albert Bassermann, eines
Lieblings der hohen Finanzkreise im Tiergarten
viertel und bewährten Matadors für Kinemato¬
graphen. nahm während des ganzen Monates
Mai seinen von einem nicht unbedeutenden
Kassenerfolge begleiteten Fortgang an der
„Nenen Wiener Bühne“ und mußte
sogar bis zum 6. Jnni verlängert werden.
Das wirklich kunstverständige Publikum hielt sich
Bassermann gegenüber recht reserviert, die
minder Gebildeten aber und jene, die für das
Ideale weniger schwärmen als für die Mätzchen
und episodistischen Groteskeinfälle der Hyper
modernen, jubelten Bassermann zu, als
ob er der Vertreter kad exochem einer neuen
und besseren Richtung in der Schauspielkunst
wäre. Offen gestanden halten wir diesen Reklame
propheten der Moderne für nichts weiteres als
einen recht geschickten Mimen, der sich hie und
da geschmacklose Auffassungen leistet, ganz gewiß
aber nicht für einen erstklassigen Künstler. Der
Liebling der reichen Leute an der Spree reicht
weder an unseren Reimers oder Girardi
und am allerwenigsten an Baumeister und
die vorstorbenen Meister Gabillon, Sonnen
thal, Robert, Lewinsky und Hart¬
mann heran. Denn bei ihm ist alles berech¬
nende und berechnete Mache und nirgends findet
man eine Spur der vom Herzen kommenden
Innerlichkeit, welche, insbesondere in klassischen
Werken, einen Charakter zu einem einheitlichen
Ganzen fassen und lebenswahr durchstrahlen muß,
um die Gedanken des betreffenden unsterblichen
Dichters und Denkers in greifbare Natürlichkeit
umzuwerten und die Begeisterung der wirklich
Gebildeten auszulösen.
So wurde denn der Venedikt des Herrn
Bassermann in Shakespeares
wundervoll witzigem und geistvollem Lustspiele
„Viel Läim um nichts“ zum klassischen
Beispiele, wie man die Klassiker nicht spielen
darf. Der lebensfrohe Kauseur, welchen seiner¬
zeit Gabiklon, Mitterwurzer und
Hartmann so meisterhaft wiedergaben, sank
zu einer Figur herab, welche der längst ver¬
flossenen „Kasperlbühne“ Prehausers ent¬
nommen schien. Bassermann zerpflückte
den so sympathischen Charakter in abgerissene
und unbegründete Teile; er unterbrach die Rede
durch häßliche Grunz= und Gurgeltöne, er legte
sich auf den Fußboden und schlug mit Reitstock
und Händen umher, als ob die Bühne zur
Manege geworden wäre und er selbst zu einem
Clown im Gewande der Renaissancezeit. Von
dem verfeinerten Geschmack der Zeit Michel
angelos, der Shakespeares herrliches
Werk durchweht, war gar nichts mehr übrig
geblieben; aus dem Edelmann von Padua war
ein ostelbischer Landwirt anrüchigster Herkunft
geworden: eine Art adeliger Flaneur ohne Herz¬
und ohne Geist ein moderner sezessionistischer
Witzbold widerlicher Art. Schlimmer noch ging
es der lustig klugen Beatrice in der Gestaltung!
durch Frau Bassermann; man glaubte
da eine schnippische Grisette aus dem Osten
Berlins vor sich zu haben, die sich in einem
Ballhause pikant unterhalten will; eine Geschmack
losigkeit, die nur durch den Mangel an Talent¬
und Vornehmheit überboten wurde. Auch die
übrigen Darsteller und das ganze Szenarium
waren auf denselben shakespearewidrigen Ton
herabgedrückt; nur Herr Iwald als Prinz
von Arragon und Frl. Crombee als Hero
erinnerten sich daran, daß der Dichterfürst aus
ford am Avon denn doch semand anderers
gewesen sei, als die perverse Schar der meisten?
hypermodernen Antoren.
Weit besser gelingen, wie dies bereits aus¬
diesen Ausführungen hervorgeht, Herrn Basser
und Arthur Schnitlers Werken.
„Stein unter Steinen“ gelang es
dem Gaste, jenen Besuchern, die das alte Burg
theater nicht mehr kennen ternten, zu imponieren
und in den drei Schnitzterschen Einaktern
„Die Puppenspieler", „Die letzten
Masken" und „Literatur“ stellte er
drei grundverschiedene Typen aus der entarteten
Gegenwart auf die Bühne, die sicherlich einer
gewissen Lebenswahrheit nicht entbehrten. Ins
besondere der einfältig ehrliche und daber
liebenswürdige Clemens im letzten Lustspiele war
sehr naturgetren. Bassermann verkörperte
in ihm das Prototyp des dekadenten Reichen,
der sich von einem schlechten Weibe um die
Nase drehen und heiraten läßt und dabei über
glücklich ist. Eine Idealfigur freilich ist dieser
Baron ebensowenig wie die meisten anderen
Und daß der viel¬
Menschen Schnitzlers.
genannte Gast aus dem Norden keine Ideal¬
siguren darzustellen imstande ist, kann wohl nie¬
mandbezweifeln, der diesen interessanten Schauspieler
Akbar.
beobachtend mimen gesehen.