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10. Der Puppenspieler
—
Theater und Kunst.
Schnitzler=Einatterabend im
Deutschen Volkstheater.
I. Der Puppenspieler.
In dieser kleinen retrospektiven Stubie ist
bereits der ganze reife Schnitzler des „Einsamen
Weges“ enthalten, mit seiner stillen, abgeklärten
Wehmut und bittersüßen Traurigkeit, die wie eine
zarte, verwehende Melodie in abendlicher Luft zu zer¬
rinnen scheint; mit seiner skeptisch lächelnden und doch
sehnsüchtig, die Augen halb geschlossen, tief ins eigene
Innere hineinhorchenden Resignation, mit dem matt
schimmernden Reiz seiner geistigen Anmut, mit
seinem heimlichen Spott, der zuletzt auch noch über
sich selbst lacht.
Da gibt es Menschen, die neugierig so lange er¬
fahren wollen, was es mit dem Leben eigentlich ist, bis
sie neben dem Leben, irgendwo am Wege, vergessen
liegen bleiben. Puppenspieler, die wirklich glauben.
daß man mit dem Leben, mit Menschen und ihren
rätselvoll wirren Schicksalen ungestraft wie mit
gehorsam=sicheren Puppen spielen dürfe; und eines
Tages erwachen sie, eingemauert in der großen
Einsamkeit, und wissen nur — aber dann ist es zu¬
spät —, daß keiner vom andern weiß, daß sie keinen
erkannt haben von den vielen, denen sie die Hand
gereicht, daß nicht einmal der Liebe die Kraft
innewohnt, einen Menschen dem andern aufzuschließen.
Wir alle sind nur Puppen, und der einzige, der
wirkliche Puppenspieler ist das Leben, und wer es
unternimmt, ihn betrügen zu wollen, betrügt sich
selbst am furchtbarsten.
Von dem leisen Glanz, von der zerbrechlich gleich
einem müden Falter bei Sonnenuntergang schillernd
vorüberschwebenden Grazie dieses Stückes blieb bei der
Aufführung nicht viel übrig; der Regisseur Herr¬
Rosenthal versagte. Er läßt Schnitzler so spielen.
als würde es sich um einen Leichenbitter von Ibsen
oder Strindberg handeln. Herr Onno als Puppen¬
spieler exzediert wieder in seinem gewaltsam
modulierenden Sprechgesang, Herr Nowotny be¬
schränkt sich darauf, seine Stichworte korrekt aufzu¬
sagen. Fräulein Trebitsch verdirbt wenigstens
nichts.
II. Der grüne Kakadn.
Das Stärkste, Mächtigste, was wir Schnitzler
an dramatischen und theatralischen Eindrücken ver¬
danken. Eine in den Einzelfiguren genial kontra¬
punktierte, schließlich wild und blutrot aufflammende
Symphonie der namenlosen Masse, ein aufwühlender
Zustand letzter Erregung, Verstörung und Raserei.“
Eine ungeheuer lebendig gebliebene Vergangenheit, ein
Feuer, aus dem noch gefährliche Funken in das
Pulverfaß unsrer Gegenwart überspringen könnten.
Das ist aber bei dieser Aufführung kaum zu
befürchten. Statt eines atembeklemmenden Taumels
entfesselte der Regisseur nur leeren, atemlosen
Tumult. Es wird schrecklich viel gebrüllt und ge¬
suchtelt, Scheiben geben klirrend in Trümmer, eine
Pistole wird abgeschossen, und doch ist keine Spur
davon zu merken, daß diese Groteske voll tragischer
Schauer am Abend des 14. Juli 1789 spielt, daß
irgend etwas unaufhaltsam Heranrückendes in der
schwül geladenen Atmosphäre grollt, lauert und droht.
etwas Ungeheures und bestialisch Ungeheuerliches:
die Revolution.
Schade um den kostbaren Grain des Herrn
Homma, schade auch um den interessanten, überaus
anregenden Cadignan des jungen Schildkraut.
VII. Komtesse Mizi.
Das ist vielleicht das einzige von den drei
Stücken, bei dem man ein merkwürdiges Gefühl
nicht los werden kann: nicht als ob diese arglos bissige
Satire bereits gealtert wäre, doch sie scheint aus einer
andern, gewissermaßen prähistorischen, mehr lächer¬
10. Der Puppenspieler
—
Theater und Kunst.
Schnitzler=Einatterabend im
Deutschen Volkstheater.
I. Der Puppenspieler.
In dieser kleinen retrospektiven Stubie ist
bereits der ganze reife Schnitzler des „Einsamen
Weges“ enthalten, mit seiner stillen, abgeklärten
Wehmut und bittersüßen Traurigkeit, die wie eine
zarte, verwehende Melodie in abendlicher Luft zu zer¬
rinnen scheint; mit seiner skeptisch lächelnden und doch
sehnsüchtig, die Augen halb geschlossen, tief ins eigene
Innere hineinhorchenden Resignation, mit dem matt
schimmernden Reiz seiner geistigen Anmut, mit
seinem heimlichen Spott, der zuletzt auch noch über
sich selbst lacht.
Da gibt es Menschen, die neugierig so lange er¬
fahren wollen, was es mit dem Leben eigentlich ist, bis
sie neben dem Leben, irgendwo am Wege, vergessen
liegen bleiben. Puppenspieler, die wirklich glauben.
daß man mit dem Leben, mit Menschen und ihren
rätselvoll wirren Schicksalen ungestraft wie mit
gehorsam=sicheren Puppen spielen dürfe; und eines
Tages erwachen sie, eingemauert in der großen
Einsamkeit, und wissen nur — aber dann ist es zu¬
spät —, daß keiner vom andern weiß, daß sie keinen
erkannt haben von den vielen, denen sie die Hand
gereicht, daß nicht einmal der Liebe die Kraft
innewohnt, einen Menschen dem andern aufzuschließen.
Wir alle sind nur Puppen, und der einzige, der
wirkliche Puppenspieler ist das Leben, und wer es
unternimmt, ihn betrügen zu wollen, betrügt sich
selbst am furchtbarsten.
Von dem leisen Glanz, von der zerbrechlich gleich
einem müden Falter bei Sonnenuntergang schillernd
vorüberschwebenden Grazie dieses Stückes blieb bei der
Aufführung nicht viel übrig; der Regisseur Herr¬
Rosenthal versagte. Er läßt Schnitzler so spielen.
als würde es sich um einen Leichenbitter von Ibsen
oder Strindberg handeln. Herr Onno als Puppen¬
spieler exzediert wieder in seinem gewaltsam
modulierenden Sprechgesang, Herr Nowotny be¬
schränkt sich darauf, seine Stichworte korrekt aufzu¬
sagen. Fräulein Trebitsch verdirbt wenigstens
nichts.
II. Der grüne Kakadn.
Das Stärkste, Mächtigste, was wir Schnitzler
an dramatischen und theatralischen Eindrücken ver¬
danken. Eine in den Einzelfiguren genial kontra¬
punktierte, schließlich wild und blutrot aufflammende
Symphonie der namenlosen Masse, ein aufwühlender
Zustand letzter Erregung, Verstörung und Raserei.“
Eine ungeheuer lebendig gebliebene Vergangenheit, ein
Feuer, aus dem noch gefährliche Funken in das
Pulverfaß unsrer Gegenwart überspringen könnten.
Das ist aber bei dieser Aufführung kaum zu
befürchten. Statt eines atembeklemmenden Taumels
entfesselte der Regisseur nur leeren, atemlosen
Tumult. Es wird schrecklich viel gebrüllt und ge¬
suchtelt, Scheiben geben klirrend in Trümmer, eine
Pistole wird abgeschossen, und doch ist keine Spur
davon zu merken, daß diese Groteske voll tragischer
Schauer am Abend des 14. Juli 1789 spielt, daß
irgend etwas unaufhaltsam Heranrückendes in der
schwül geladenen Atmosphäre grollt, lauert und droht.
etwas Ungeheures und bestialisch Ungeheuerliches:
die Revolution.
Schade um den kostbaren Grain des Herrn
Homma, schade auch um den interessanten, überaus
anregenden Cadignan des jungen Schildkraut.
VII. Komtesse Mizi.
Das ist vielleicht das einzige von den drei
Stücken, bei dem man ein merkwürdiges Gefühl
nicht los werden kann: nicht als ob diese arglos bissige
Satire bereits gealtert wäre, doch sie scheint aus einer
andern, gewissermaßen prähistorischen, mehr lächer¬