III, Einakter 10, (Marionetten. Drei Einakter), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 38

Innere hineinhorchenden besignation, mit dem matt
schimmernden Reiz seiner geistigen Anmut, mit
seinem heimlichen Spott, der zuletzt auch noch über
sich selbst lacht.
Da gibt es Menschen, die neugierig so lange er¬
fahren wollen, was es mit dem Leben eigentlich ist, bis
sie neben dem Leben, irgendwo am Wege, vergessen
liegen bleiben. Puppenspieler, die wirklich glauben,
daß man mit dem Leben, mit Menschen und ihren
rätselvoll wirren Schicksalen ungestraft wie mit
gehorsam=sicheren Puppen spielen dürfe; und eines
Tages erwachen sic, eingemauert in der großen
Einsamkeit, und wissen nur — aber dann ist es zu
spät —, daß keiner vom andern weiß, daß sie keinen
erkannt haben von den vielen, denen sie die Hand
gereicht, daß nicht einmal der Liebe die Kraft
innewohnt, einen Menschen dem andern aufzuschließen.
Wir alle sind nur Puppen, und der einzige, der
wirkliche Puppenspieler ist das Leben, und wer es
unternimmt, ihn betrügen zu wollen, betrügt sich
selbst am furchtbarsten.
Von dem leisen Glanz, von der zerbrechlich gleich
einem müden Falter bei Sonnenuntergang schillernd
vorüberschwebenden Grazie dieses Stückes blieb bei der
Aufführung nicht viel übrig; der Regisseur Herr
Rosenthal versagte. Er läßt Schnitzler so spielen.
als würde es sich um einen Leichenbitter von Ibsen
oder Strindberg handeln. Herr Onno als Puppen¬
spieler exzediert wieder in seinem gewaltsam¬
modulierenden Sprechgesang, Herr Nowotny be¬
schränkt sich darauf, seine Stichworte korrekt aufzu¬
sagen. Fräulein Trebitsch verdirbt wenigstens
nichts.
II. Der grüne Kakadn.
Das Stärkste, Mächtigste, was wir Schnitzler
an dramatischen und theatralischen Eindrücken ver¬
danken. Eine in den Einzelfiguren genial kontra¬
punktierte, schließlich wild und blutrot aufflammende
Symphonie der namenlosen Masse, ein aufwühlender
Zustand letzter Erregung, Verstörung und Raserei.
Eine ungeheuer lebendig gebliebene Vergangenheit, ein
Feuer, aus dem noch gefährliche Funken in das
Pulverfaß unsrer Gegenwart überspringen könnten.
Das ist aber bei dieser Aufführung kaum zu
besürchten. Statt eines atembeklemmenden Taumels
entfesselte der Regisseur nur leeren, atemlosen
Tumult. Es wird schrecklich viel gebrüllt und ge¬
suchtelt, Scheiben geben klirrend in Trümmer, eine
Pistole wird abgeschossen, und doch ist keine Spur
davon zu merken, daß diese Groteske voll tragischer
Schauer am Abend des 14. Juli 1789 spielt, daß
irgend etwas unaufhaltsam Heranrückendes in der
schwül geladenen Atmosphäre grollt, lauert und droht.
etwas Ungeheures und bestialisch Ungeheuerliches:
die Revolution.
Schade um den kostbaren Grain des Herrn
Homma, schade auch um den interessanten, überaus
anregenden Cadignan des jungen Schildkraut.
Il. Komtesse Mizi.
Das ist vielleicht das einzige von den drei
Stücken, bei dem man ein merkwürdiges Gefühl
nicht los werden kann: nicht als ob diese arglos bissige
Satire bereits gealtert wäre, doch sie scheint aus einer
andern, gewissermaßen prähistorischen, mehr lächer¬
lichen als lustigen Welt, die uns heute nichts, rein gar
nichts mehr angeht. Es ist wie eine vage Erinnerung an
Stunden, die einmal sehr schön gewesen sein müsser
nur fünnen wir und ne nich

Neuea Wiener Tagblatt.
damals eigentlich so schön war; so fern, so fremd,
so alt sind wir uns inzwischen selbst geworden. ...
Aber dafür spielt Herr Homma den Grasen
Pazmandy mit seiner diskret ungezwungenen und
daher so zwingenden Komik und seinem breiten,
saftigen, immer aus den lebendigen Tiefen der
Menschlichkeit quellenden Ton Sehr erfrischend, echt
und amüsant auch Herr Dietz. Fräulein Woiwode
ist die Komtesse Mitzi. Die Mitzi glaubt man Fräulein
Woiwode ohne weiteres, die Komtesse weniger.
Dr. Moriz, Scheper.
Theater= und Kunstnachrichten.
„[Deutsches Volkstheiter.] Drei der reizvollsten
drämatischen Miniaturen ArtückSchchitzlers sind, neu ein¬
studiert und in Szene gestellt, zuzeinem Schnihlek=Abend dieser
Bühne verbunden worden das zar#eseelische Pastell „Der
Puppenspieler“, das farbenübershrüht Revolutionsgemälde „Der
grüne Kakadu“ und das heitere Wiener Aquarell „Komtesse
Mizzi“ Man wird bei jeder neuen Betrachtung Schnitzlerscher
Werke stets auf das Malerische darin zurückgeführt. „Der
Puppenspieler“, dem man schon seit Jahren irgendwo auf
Lunseren Bühnen begegnete, ist eine solche wienerisch stille Studie,
aus deren Versonnenheit Lichter des Dramatischen zucken. Wie
ein dem bürgerlichen Treiben eutfremdeter, abseits seine Straße
ziehender Mann, der mit Menschen wie mit Puppen spielt,
in das Haus von Jugendfreunden tritt und Verwirrung, Auf¬
klärung, Schicksale erweckt — das ist hier das ganze Geschehen.
Aber das Nichtgesagte, das nie Geahnte darin und dazwischen
geben diesem abgetonten Dialog Farbe und innerliches Leben.
Fräulein Trebitsch hat als Anna ihr Temperament für die
Figur glücklich gebämpft, Herr Onno läßt es als der Ein¬
siedler Merklin nicht ebenso glücklich öfters, ein wenig krampf¬
haft, hervorzündeln. Erst als der leidenschaftliche Minne und
Liebhaber Henri im „Grünen Kakadu“ war er völlig an seiner
für seelische und szenische Emotion bestimmten Stelle. Im
Deutschen Volkstheater hat diese meisterliche Komödie mit ihrem
in einen Akt geballten glühenden Atem und dem fabelhaften
dramatischen Kreszendo zum Schluß jetzt manche Bereicherung
erfahren, besonders durch Herrn Schildkrauts bildmäßig
soignierten Herzog. Herr Homma ist einer der humorvoll
echtesten Stvolche, die je, hier oder in Paris, um das graue
Nr. 19952
Wien, Sonntag

Haus gestrichen sind. Der feinfühligen Regie des Herrn Rosen¬
thal ist zu bedeuten, daß in den schildernden Partien
das Tempo zu beschleunigen oder zu kürzen wäre — so ungern
man hier ein Wort vermißt. „Komtesse Mizzi“ wirkt jetzt schon
fast mit dem Reiz des Alt=Wiener Kolorits — man ist immer
überaus erfreut, wenn man Artur Schnitzler irgendwo auf
einem Wiener Weg begegnet. Fräulein Woiwode fehlt fü
die kostbare Komtesse Witz und gesellschaftliche Bosheit, die
Herrn Homma genügend, Herrn Iwald nur blaß zu Gehote
steht. Der stürmische, einer Ovation gleichende Beifall, zumal
nach dem Revolutionsdrama, mochte dem Dichter sagen, wie viel
er dem Publikum gilt
als eines der feinsten Kulturbesitz¬
tümer unserer Stadt.

2.