10. Der Pupbenspieler
einer Versammlung einzuberufen, der über das Ergebnis
berichtet und allensalls# weitere Schritte beschlossen
A MN7 1920
—
T
97
Kunst und Wissen.
Deutsches Volkstheater. Saniglers „Grüner
Kakadu“ ist vielleicht sein stärkstes Werk. Nicht weit es heute
im flackernden Licht einer möglichen Wirklichkeit eerscheint,
sondern weil es schon vor mehr als zwanzig Jahren die
gültige Wahrheit in sich trug, von der die Wirklichkeit
nur ein Abbild ist. Das Stück ist eine Groteske, weil in
ihm Blut zum Spiel des Scheins wird, nicht das Blut eines
Bühnenvorganges, sondern das Blut der Menschheit, das zu
Revolutionen sich aufbäumt. Ein Zug der Schwäche liegt ja
gerade auch in dieser Abschwächung zum Spiel; doch darin
auch die Besonderheit Schnitzlers, der aus der Schwäche
seine eigenartige Begabung zieht. Heute hört man
unwillkürlich mehr auf den Schrei der Revolution als
auf die leisen Untertöne ironischer Behutsamkeit, erst
recht ein Arbeiterpublikum, wie es gestern das Deutsche Volks¬
theater füllte. Die Hörer waren von den Vorgängen gepackt und
ergriffen. Die Darstellung bot mehr Theater, als vom Dichter!
beabsichtigt wird, sogar Herr Onno (Henry), der diesmal mehr
eine Rolle als eine Gestalt meisterte. Vorzüglich der junge Schild¬
kraut als Herzes. glaubhaft, von der Anmut des innerlich
längst zum Tode verurteilten und seines Untergangs vollkommen
bewußten Aristokraten. Fräulein Woiwode hat wohl nicht
ganz die natürliche Verworsenheit der Buhlerin, die trotz allem
doch nur den einen Mann liebt; ihre letzte Szene geriet sehr
hübsch. Auffallend gut in der undankbaren Rolle der Marquise
Frau Gebühr; vortrefflich ihr bängliches Schwanken, ob
der Scherz der Mordspielerei nicht doch Ernst sei. — Zur Ent¬
spannung folgie Mirbeaus soziale Satire „Der Dieb“, von
den Herren Goetz, Werner=Kahle, Nowotny recht
ergötzlich, wenn auch etwas zu schwerfällig im Tempo gespielt.
Die Hörer unterhielten sich vortrefflich.
gtsche Volsserng
Wies.
14 MR. 1220
Volks=Je
Theater und Kunst.
Deutsches Volkstheater. Der Schnitzler=
gemeinde zur Freude brachte man die Einakter „Der
Puppenspieler“ „Der grüne Kakadu“ und „Komtesse!
Mizzi“ in neuer Besetzung. Es war ein Abend voll
Geist und Temperament. Im ersten Einalter
neben Herrn Onno vor allem Aurel Nowotny als
Jagisch ganz entzückend, im zweiten Ferdinand Onno
als Henri selbstverständlich im Vordergrunde, hin¬
reißend in seiner Leidenschaft und meisterhaft in der
Steigerung. Auch der junge Schildkraut als
Herzog durchaus fesselnd vom ersten Augenblick an,
da er die Szene betritt. Die größte Freude bereitete
dem Publikum der letzte Einakter, „Komtesse Mizzi“
die sozusagen gemütvollste Satire, die jemals auf den
11
Abel des alten Oesterreich geschrieben worden ist.
b
Man lachte wie aus Kindermund, als die so spröde
sich gebende, aber sonst so liebe, herzige Komtesse als 9
Mama des hübschen siebzehnjährigen Maturantenig
Philipp sich erwies. Lina Woiwode spielte die 1#
Titelrolle mit der ganzen Ungezwungenheit ihres u
scharmanten Frauentums. Hans Homma machte aus
dem gräflichen Vater Mizzis eine tragikomische
Figur in herzerfreuendem Sinne, und die Herren
Iwald (Fürst) und Dietz (der Maturant) vervoll¬
ständigten das Bild des adeligen Familientages durch¬
aus sympathisch. Ueberflüssig zu sagen, daß eigentlich
der Einakter „Komiesse Mizzi“ den Preis des Abends
*
danantrita
box 34/9
Deutsches Volkstheatereh Frei alte Einakter Artur
Schuitzlerserschienen gestern wäder, neu einstudiert und
neu inszeniert, im Spielplatz. Es sind „Der Puppen¬
spieler“, ein Akt, den derAutor als „Studie“ be¬
zeichnet und in dem er das Schicksal eines Meuschen
zeichnet, der andere dem Glück zuführt, an dem er selbst
achtlos vorübergegaugen ist, die Groteske „Der grüne
Kakadn“, ein Bild aus der großen französischen
Revolution, und die kleine Komödie „Komtesse Mizzi“.
in der sich der Autor über Kavalierssitten und =Unsitten
bedenkenlos lustig macht. Das wertvollste der drei
Stückchen ist wohl „Der Puppenspieler“, weil es von
einer gewissen Ethik erfüllt und von der Melancholie
wahrer Menschlichkeit beschattet ist. Herr Onno, von seiner
Rolle zur Natürlichkeit gezwungen, war der ausgezeichnete
Begründer eines Eheglücks, das von Martha Trebitsch
und Herrn Nowotny in herzlichster Weise demonstriert
wurde. Im „Grünen Kakadu“ konnte Onno als Heuri
seinem im ersten Akt gezügelten Temperament freien Lauf
lassen. Da die Bezeichnung „Groteske“ jede Uebertreibung
deckt, ließen auch die anderen Mitwirkenden die Gelegenheit
nicht vorübergehen, einmal nach Herzenslust Komödie zu
spielen. Lina Woiwode verkörperte den Leichtsinn der
Schanspielerin Leocadie in liebenswürdigster Weise und
Cornelie Gebühr die leichtfertige Aristokratin,
die sich in den Strudel der Revolution stürzt,
deren Ernst sie erst erkennt, als sie von ihr erfaßt wird,
mit einem Schuß naiver Beschränktheit, die sie erheiternd
zum Ausdruck brachte. Die Damen Pelzer, Reimann
und Hochwald und die Herren Schildkraut,
Henke, Dietz, Homma, Ranzenhofer, Askonas,
Teubler und Amon taten verdienstlich mit. In der
Komödie „Komtesse Mizzi“, die den heiteren Abschluß
des Abends bildete, zeichnete sich in erster Linie Herr
Iwald aus, der eine österreichische Hocharistokratenfigur
mit Eleganz und diskretem Humor darstellte. Dieser Schau¬
spieler ist ein wirklicher Gewinn für das Deutsche Volks¬
theater. Lina Woiwode spielte die Komtesse in einem
zwischen Hochdeutsch und Wienerisch schwankenden Aristo¬
kratenton und mit einer Selbstbeherrschung, die jede
wärniere Gefühlsregung ausschloß. Herr Homma als
ungarischer „Grof“ Else Föry als die sich nach einem
soliden Ebeleben sehnende Aristokratenmaitresse und Rudolf
*
—
Neuigkeits-Welt-Blatt
Dietz als legitimierte Frucht eines komteßlichen Fehltrittes
bemühten sich, den in dem Slückchen enthaltenen Humor
voll auszuschöpfen. Das Publikum lachte denn auch, aber
doch nicht so herzlich, daß man daraus erkenuen könnte,
man habe vergessen, daß diese Komödie, wie ja auch die
andern beiden Stücke, doch schon ziemlich alt seien. treu—. 1
einer Versammlung einzuberufen, der über das Ergebnis
berichtet und allensalls# weitere Schritte beschlossen
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Kunst und Wissen.
Deutsches Volkstheater. Saniglers „Grüner
Kakadu“ ist vielleicht sein stärkstes Werk. Nicht weit es heute
im flackernden Licht einer möglichen Wirklichkeit eerscheint,
sondern weil es schon vor mehr als zwanzig Jahren die
gültige Wahrheit in sich trug, von der die Wirklichkeit
nur ein Abbild ist. Das Stück ist eine Groteske, weil in
ihm Blut zum Spiel des Scheins wird, nicht das Blut eines
Bühnenvorganges, sondern das Blut der Menschheit, das zu
Revolutionen sich aufbäumt. Ein Zug der Schwäche liegt ja
gerade auch in dieser Abschwächung zum Spiel; doch darin
auch die Besonderheit Schnitzlers, der aus der Schwäche
seine eigenartige Begabung zieht. Heute hört man
unwillkürlich mehr auf den Schrei der Revolution als
auf die leisen Untertöne ironischer Behutsamkeit, erst
recht ein Arbeiterpublikum, wie es gestern das Deutsche Volks¬
theater füllte. Die Hörer waren von den Vorgängen gepackt und
ergriffen. Die Darstellung bot mehr Theater, als vom Dichter!
beabsichtigt wird, sogar Herr Onno (Henry), der diesmal mehr
eine Rolle als eine Gestalt meisterte. Vorzüglich der junge Schild¬
kraut als Herzes. glaubhaft, von der Anmut des innerlich
längst zum Tode verurteilten und seines Untergangs vollkommen
bewußten Aristokraten. Fräulein Woiwode hat wohl nicht
ganz die natürliche Verworsenheit der Buhlerin, die trotz allem
doch nur den einen Mann liebt; ihre letzte Szene geriet sehr
hübsch. Auffallend gut in der undankbaren Rolle der Marquise
Frau Gebühr; vortrefflich ihr bängliches Schwanken, ob
der Scherz der Mordspielerei nicht doch Ernst sei. — Zur Ent¬
spannung folgie Mirbeaus soziale Satire „Der Dieb“, von
den Herren Goetz, Werner=Kahle, Nowotny recht
ergötzlich, wenn auch etwas zu schwerfällig im Tempo gespielt.
Die Hörer unterhielten sich vortrefflich.
gtsche Volsserng
Wies.
14 MR. 1220
Volks=Je
Theater und Kunst.
Deutsches Volkstheater. Der Schnitzler=
gemeinde zur Freude brachte man die Einakter „Der
Puppenspieler“ „Der grüne Kakadu“ und „Komtesse!
Mizzi“ in neuer Besetzung. Es war ein Abend voll
Geist und Temperament. Im ersten Einalter
neben Herrn Onno vor allem Aurel Nowotny als
Jagisch ganz entzückend, im zweiten Ferdinand Onno
als Henri selbstverständlich im Vordergrunde, hin¬
reißend in seiner Leidenschaft und meisterhaft in der
Steigerung. Auch der junge Schildkraut als
Herzog durchaus fesselnd vom ersten Augenblick an,
da er die Szene betritt. Die größte Freude bereitete
dem Publikum der letzte Einakter, „Komtesse Mizzi“
die sozusagen gemütvollste Satire, die jemals auf den
11
Abel des alten Oesterreich geschrieben worden ist.
b
Man lachte wie aus Kindermund, als die so spröde
sich gebende, aber sonst so liebe, herzige Komtesse als 9
Mama des hübschen siebzehnjährigen Maturantenig
Philipp sich erwies. Lina Woiwode spielte die 1#
Titelrolle mit der ganzen Ungezwungenheit ihres u
scharmanten Frauentums. Hans Homma machte aus
dem gräflichen Vater Mizzis eine tragikomische
Figur in herzerfreuendem Sinne, und die Herren
Iwald (Fürst) und Dietz (der Maturant) vervoll¬
ständigten das Bild des adeligen Familientages durch¬
aus sympathisch. Ueberflüssig zu sagen, daß eigentlich
der Einakter „Komiesse Mizzi“ den Preis des Abends
*
danantrita
box 34/9
Deutsches Volkstheatereh Frei alte Einakter Artur
Schuitzlerserschienen gestern wäder, neu einstudiert und
neu inszeniert, im Spielplatz. Es sind „Der Puppen¬
spieler“, ein Akt, den derAutor als „Studie“ be¬
zeichnet und in dem er das Schicksal eines Meuschen
zeichnet, der andere dem Glück zuführt, an dem er selbst
achtlos vorübergegaugen ist, die Groteske „Der grüne
Kakadn“, ein Bild aus der großen französischen
Revolution, und die kleine Komödie „Komtesse Mizzi“.
in der sich der Autor über Kavalierssitten und =Unsitten
bedenkenlos lustig macht. Das wertvollste der drei
Stückchen ist wohl „Der Puppenspieler“, weil es von
einer gewissen Ethik erfüllt und von der Melancholie
wahrer Menschlichkeit beschattet ist. Herr Onno, von seiner
Rolle zur Natürlichkeit gezwungen, war der ausgezeichnete
Begründer eines Eheglücks, das von Martha Trebitsch
und Herrn Nowotny in herzlichster Weise demonstriert
wurde. Im „Grünen Kakadu“ konnte Onno als Heuri
seinem im ersten Akt gezügelten Temperament freien Lauf
lassen. Da die Bezeichnung „Groteske“ jede Uebertreibung
deckt, ließen auch die anderen Mitwirkenden die Gelegenheit
nicht vorübergehen, einmal nach Herzenslust Komödie zu
spielen. Lina Woiwode verkörperte den Leichtsinn der
Schanspielerin Leocadie in liebenswürdigster Weise und
Cornelie Gebühr die leichtfertige Aristokratin,
die sich in den Strudel der Revolution stürzt,
deren Ernst sie erst erkennt, als sie von ihr erfaßt wird,
mit einem Schuß naiver Beschränktheit, die sie erheiternd
zum Ausdruck brachte. Die Damen Pelzer, Reimann
und Hochwald und die Herren Schildkraut,
Henke, Dietz, Homma, Ranzenhofer, Askonas,
Teubler und Amon taten verdienstlich mit. In der
Komödie „Komtesse Mizzi“, die den heiteren Abschluß
des Abends bildete, zeichnete sich in erster Linie Herr
Iwald aus, der eine österreichische Hocharistokratenfigur
mit Eleganz und diskretem Humor darstellte. Dieser Schau¬
spieler ist ein wirklicher Gewinn für das Deutsche Volks¬
theater. Lina Woiwode spielte die Komtesse in einem
zwischen Hochdeutsch und Wienerisch schwankenden Aristo¬
kratenton und mit einer Selbstbeherrschung, die jede
wärniere Gefühlsregung ausschloß. Herr Homma als
ungarischer „Grof“ Else Föry als die sich nach einem
soliden Ebeleben sehnende Aristokratenmaitresse und Rudolf
*
—
Neuigkeits-Welt-Blatt
Dietz als legitimierte Frucht eines komteßlichen Fehltrittes
bemühten sich, den in dem Slückchen enthaltenen Humor
voll auszuschöpfen. Das Publikum lachte denn auch, aber
doch nicht so herzlich, daß man daraus erkenuen könnte,
man habe vergessen, daß diese Komödie, wie ja auch die
andern beiden Stücke, doch schon ziemlich alt seien. treu—. 1