III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 28

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in des Vortrages, aber noch immer von dem großen, wirklichen
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Schmerz unterschieden. Neben ihm diese begehrenswerte,
Abendblutt
katzenhaft=gefährliche Leokadie des Frls. Ries, die Kum¬
panin der mittelmäßigen Mimen, unter denen Herr
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Strauß durch die echte Unechtheit seiner Pathetik auf¬
fiel, ihm gegenüber die weltmännische Eleganz des Her¬
Theater und Kunst.
zogs von Cardignan, des Herrn Neufeld, die graziöse
Herzogin des Frls. Dürr, die ihre Nervensensationen mit
Dr. St. Brünner Stadttheater. Mit drei Einaktern
solcher Unbekümmertheit erlebte. Drei prächtige Charakter¬
hat gestern auch unsere Bühne Schnitzlers 50. Geburtstag
gestalten bleiben noch im Gedächtnis, der wilde Revolu¬
gefeiert. Mit einem seiner stürksten mit einem seiner
tionsphilosoph des Herrn Moser, dieser Volksredner, der
lustigsten und mit einem seiner unbedeutendsten. Jeder
immer auf dem Tisch stehen muß, der verbissene Spelun¬
aber em echter Schnitzler und jeder, auch der „Puppen¬
kenwirt des Herrn Teller und der rührselige Strolch
spieler“ ein, Musterstück seiner Art. Schnitzlers ganzes
des Herrn Lenhart, dessen stummes Spiel eine Reihe
Schaffen hat ein einziges großes Thema: wir Menschen
gelungener Einfälle war. Auch als Puppenspieler Merklin
wissen voneinander nichts, wir gehen nebeneinander her,
schuf er eine beachtenswerte Gestalt, hart an der Grenze
innerlich fremd und selbst die Vertrautesten zeigen einander
von Genialität und Wahnsinn, in wohlabgetöntem Zusam¬
nun Masken, wir sind Akteure und Aktricen einer Tragi¬
menspiel mit Herrn Recke als Eduard Yagisch und Frl.
komödic und selbst die, welche sich Puppenspieler zu sein
Ries. Nicht ganz erschörft wurde der komisch=satirische Ge¬
dünken, sind nur Puppen in den Händen ungekannter
halt des Einakters „Literatur". Herr Strauß und Frl.
Mächte, Wir wissen niemals, wo der Schein aufhört und die
Dürr trafen den Ton der Literaturzigeungk immerhin
Wirklichkeit anfängt, wissen nicht, ob wir im Parterre sitzen
noch mit einigem Humor, aber Herr Rehperger ließ
oder auf der Bühne stehen; oder, wenn wir etwas zu wissen
alle feineren Pointen fallen und trat den Gilbert nicht
glaichen, so sind wir zumeist eben das Gegenteil davon.
mit der leichten, nachlässigen überlegenheit' des Kavaliers,
#ee ist die Weltanschauung eines Mediziners und eines
sondern mit einem ganz charakterwidrigen Drohton gegen¬
Phlosophen, eines, der tief in die Leiber und tief in die
Seelen geschaut hat, der weiß, daß die Masken nicht bloß über.
saußen, sondern auch nach innen getragen werden. Schnitzler
sist nicht der Entdecker, aber der bedeutendste Bekenner der
Symbolik der Marionette. Daher seine auffallende Liebe
für dieses romantische Spiel belebter Puppen. Am unmittel¬
barsten und genialften spricht er sein philosophisches Be¬
kenntnis in dem „Grünen Kakadu“ aus. Und hier
sschlägt zugleich ein heißer Atem der Leidenschaftlichkeit
entgegen, hier herrscht ein dramatischer Föhn, dessen Heftig¬
keit Schnitzler nur in einzelnen Szenen des jungen Me¬
soardus wieder erreicht hat. Und an einheitlicher und ge¬
schlossener Wirkung, an sinnfälliger Gegensätzlichkeit ise
dem Thema hier wohl das Außerste abgerungen. Wie viel¬
fältig und mannigfach verworren die Fäden hier durch
einanderschießen, wie dieser Wechsel der Bilder vorüber¬
schwirrt, wie dieses blitzartige Umspringen aus Schein in
Realität und umgekehrt vor sich geht — das ist geradezu die
Erfüllung des alten Ideales der romantischen Ironie. An¬
unmittelbarsten wirkt Schnitzler hier, weil hier gewiß nich
die These das erste war, sondern der Vorgang. Nicht von
Gedanken ging der Dichter aus sondern von der Vorstellung
Es handelte sich ihm hier nicht um ein psychologisch=mathe¬
matisches Experiment, wie leider sonst bisweilen, sondern
um Bild und starkes Erleben. Drei Elemente sind hier ge¬
mischt: die Schauspieler, die wissen, daß sie Verbrecher zu¬
mimen haben, die Aristokraten, die Publikum zu sein glau¬
ben, und die Volksmassen, die eben Weltgeschichte machen.
Und nun geht das alles ineinander über. Am deutlichsten
in dem Schauspieler Henry, der die Ermordung des Her¬
zogs von Cadignan mimt, um sie nachher wirklich zu voll¬
ziehen. Da ist aber auch eine Herzogin, deren Dirnenhaftig¬
keit in dieser Atmosphäre die Maske des Anstandes abwirft,
um sich in ganzer Schamlosigkeit emporzurecken. Da ist ein
Wirt, der seinen aristokratischen Gästen seinen ganzen In¬
grimm unverhüllt an die Köpfe wirft und der für einen
vortrefflichen Darsteller des Stils der Verbrecherkneipen
gilt. Da ist auch ein Philosoph, der revolutionäre Reden
hält — im Grunde auch nur ein sehr guter Schauspieler.
Eine drollige Wendung fehlt nicht, der einzige echte Strolch
und Mörder der Gesellschaft, der für einen schlechten Komö¬
dianten gehalten wird. Und dann diese Volksmassen, diese
Sansculotten und Hallenweiber, im Grunde nichts anderes
als famose Statisten eines sehr blutigen und sehr aufregen¬
den Stückes auf dem Welttheater, genannt „die französische
Revolution“. Bastillensturm und perverse Lust einer bla¬
sierten Gesellschaft, echteste Leidenschaft und wollüstiger
Gen des Nornenkikols sind ununterscheibbar ineinander