III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 29

tenntns in dem „Grunen Kakadu aus. Und hier
schlägt zugleich ein heißer Atem der Leidenschaftlichkeit
entgegen, hier herrscht ein dramatischer Föhn, dessen Heftig¬
keit Schnitzler nur in einzelnen Szenen des jungen Me¬
dardus wieder erreicht hat. Und an einheitlicher und ge¬
schlossener Wirkung, an sinnfälliger Gegensätzlichkeit is
dem Thema hier wohl das Außerste abgerungen. Wie viel
fältig und mannigfach verworren die Fäden hier durch
einanderschießen, wie dieser Wechsel der Bilder vorüber
schwirrt, wie dieses blitzartige Umspringen aus Schein in
Realität und umgekehrt vor sich geht — das ist geradezu die
Erfüllung des alten Ideales der romantischen Ironie. An
unmittelbarsten wirkt Schnitzler hier, weil hier gewiß nich
die These das erste war, sondern der Vorgang. Nicht von
Gedanken ging der Dichter aus sondern von der Vorstellung
Es handelte sich ihm hier nicht um ein psychologisch=mathe.
matisches Experiment, wie leider sonst bisweilen, sonderr
um Bild und starkes Erleben. Drei Elemente sind hier ge¬
mischt: die Schauspieler, die wissen, daß sie Verbrecher zu
mimen haben, die Aristokraten, die Publikum zu sein glau¬
ben, und die Volksmassen, die eben Weltgeschichte machen.
Und nun geht das alles ineinander über. Am deutlichsten
in dem Schauspieler Henry, der die Ermordung des Her¬
zogs von Cadignan mimt, um sie nachher wirklich zu voll¬
ziehen. Da ist aber auch eine Herzogin, deren Dirnenhaftig¬
keit in dieser Atmosphäre die Maske des Anstandes abwirft,
um sich in ganzer Schamlosigkeit emporzurecken. Da ist ein
Wirt, der seinen aristokratischen Gästen seinen ganzen In¬
grimm unverhüllt an die Köpfe wirft und der für einen
vortrefflichen Darsteller des Stils der Verbrecherkneipen
gilt. Da ist auch ein Philosoph, der revolutionäre Reden
hält — im Grunde auch nur ein sehr guter Schauspieler.
Eine drollige Wendung fehlt nicht, der einzige echte Strolch
und Mörder der Gesellschaft, der für einen schlechten Komö¬
dianten gehalten wird. Und dann diese Volksmassen, diese
Sansculotten und Hallenweiber, im Grunde nichts anderes
als famose Statisten eines sehr blutigen und sehr aufregen¬
den Stückes auf dem Welttheater, genannt „die französische
Revolution". Bastillensturm und perverse Lust einer bla¬
sierten Gesellschaft, echteste Leidenschaft und wollüstiger
Genuß des Nervenkitzels sind ununterscheidbar ineinander
gewirkt, ein groteskes, grandioses, genialisches Chaos von
Masben und entsetzlichen Wahrheiten. — Im „Puppen¬
spieler“ ist dasselbe Thema zwischen bloß drei Menschen
ausgesponnen. Dieses „Du glaubst zu schieben und du wirst
geschoben“. Neben den gewaltigen Explosionen des „grünen
Kakadu“ wirkt dieses Stück nur wie ein harmloses Feuer¬
werk. Dieser Merklin ein wenig gedankenblaß und schemen¬
haft, allzusehr literarischer Homunkulus. Jenes Elementa¬
rische und Ursprünglichliche fehlt und der Einakter ist von
Schnitzlers oft verhängnisvoller Neigung zum „Reden“ be¬
schwert. Man hat den Eindruck: ein Novellenstoff, der aus
Versehen dramatisiert wurde. — „Literatur" bringt
dann die satirische Umkehrung des Gedankens. Das „Mas¬
kenspiel“ seiner Ernsthaftigkeit entkleidet, als Komödie. Die
Literatur ist hier die Maske, hinter der sich sehr unzuläng¬
liche Menschlichkeiten verbergen. Aber auch hier legt
Schnitzler dem ergötzlichen Clown Gilbert einige ernst¬
gemeinte Worte in den Mund, ein paar Kernworte über die
Kunst gegen die Kunstbanausen, so daß auch hier die roman¬
tische Mischung nicht fehlt. — Mit der Aufführung dieser
drei Stücke hat sich unsere Bühne ein Verdienst erworben,
das ganz vollkommen wäre, wenn die vortreffliche Insze¬
mierung auch in den Spielplan des nächsten Jahres hinüber¬
genommen würde. Besonders der „grüne Kakadu“ stellte
sich in einer meisterlichen Weise dar.
Die Regie des Herrn Teller (wohl auch des Herrn
Direktors Herzka) hat ein unvergeßliches Bühnenbild
zu geben vermocht. Diese malerische Kellerspelunke, dieses
Hin und Her auf der Gasse, von dem man nur die Beine
sah, dieser serne Lärm einer aufgeregten Stadt, diese scharfe
Charakteristik der Einzelheiten, diese Zusammenfassung der
Volksmassen gab eine Fülle machtvoller Eindrücke. Die
kragische Hauptgestalt des Schauspielers Henry durch Herrn
Mamelok stand fest und sicher in diesem Gewühle der
Stimmungen. Sehr sein gelang ihm der Unterschied zwischen
dem bloß gespielten und dem echten Leid des Liebenden.
Aus dem unaufhörlichen Denken an den gefährlichen Besitz
Leokadies wächst sein Spiel, so echt, daß es von allen für
Wirklichkeit genommen wird, mit sehr feinen Nüancen
Anschmit aussfishlach, Kiltölätrig
vom:
Gormaspendent, Srine

Lottoziehung gam 15. Maiz1912
Brünfn #8 59 69 22,

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T#heater, Richist und Titeratur.
(Brünner Skadttheater.) Die gestrige Schnitzler¬
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Feier in unserem Schauspielhause versammelte ein
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überaus zahlreiches Publikum, welches alle Räume
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bis auf den letzten Platz besetzt hielt. Von den zur
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Aufführung gelangten Einaktern: „Literatur“
„Der grüne Kakadu“ und „Der Puppen=““
spieler“ sprach der erstgenannte am meisten an;
er behandelt den Kampf um einen erlebten Roman,
den die Verlobte geschrieben hat, der Verlobte ein¬
stampfen lassen will. Der Schreibzigeuner, Frau Mar¬
garetens Geliebter von anno dazumal, bringt sie zum
Verzicht auf ihre ehrgeizigen Pläne und feine Weiber¬
liit lullt das Mißtrauen des Bräutigams wieder ein
Es ist viel ergötzlicher Literaturulk in dem Werke, und
die Zuschauer amüsierten sich köstlich bei der lustigen
Plauderei, die voll satirischer Anspielungen ist. Die
Carstellung war eine gerundete, alle Mitwirkender in
diesem Stücke waren trefflich. Fräulein Dürrh als
Margarete“ brillierte durch die prächtige Auszselie¬
rung ihrer Rolle. Herr Rehberger als „Klemens“
straf glücklich den Ton des literaturfeindlichen Aristo¬
traten, während Herr Strauß den literarischin Bo
hemien in Maske, Haltung, Geste und Sprache wir¬
kungsvoll verkö perte. Das Publikum rief de Dar¬
steller nach Aktschluß wiederholt hervor. Auch die
Groreske „Der grüne Kakadu“ interessierte. Es
ist dies bekanntlich der Name einer Pariser Spe¬
lunke, in der in den Tagen des Ausbruches der fran¬
zösischen Revolution Komödianten und Aristokraten
verkehrten. Der Wirt Prospére, ein ehemaliger Direk¬
tor einer herumziehenden Truppe, veranstaltet hier
eigentümliche Komödien, die den Geschmack der Ueber¬
sättigten und Blasierten reizen. Seine Schauspielen
ch als Verbrecher, erzählen die furchtbarsten
gehärden
Schandtaten und bereiten dadurch den aristokratischen
Zuhörern ein prickelndes Vergnügen. Hinter den über¬
reizten Scherzen lauert die Wahrheit, unter die Ko¬
mödianten, die Verbrecher darstellen, mischt sich ein
Verbrecher ... Es fehlt dem Zeitbilde nicht an
drastischen Zügen, doch wird der Zuschauer leicht
verwirrt, weil er die Grenze zwischen Spiel und Ernst
nicht deutlich genug sieht. Es geht auf der Bühneg
geräuschvoll zu, man hört den Bastillenturm in Paris.
Daß am Schlusse die Marseillaise gesungen wird, ists
ein Anachronismus; dieses Revolutionslied wurdes
1792, also drei Jahre später, von Rouget de Lisler
gedichtet. Im Grünen Kakadu“ hatte Herr Mamelock¬
als „Henri“ die erste Stimme; er löste die schweres
Aufgabe, ein Virtuosentum vom anderen abzuhebens
und das Spiel im Spiele kenntlich zu machen. Viel
Farbe hatten außerdem die Weltdame des Fräu¬
leins Dürr, der mit dem Feuer der Brutalität
spielende „Prospère“ des Herrn Teller und der
sentimentale „Strolch“ des Herrn „Lenhart“ das
Zusammenspiel unter der Leitung des Herrn Teller
ging in dem erforderlichen Tempo und mit der nötigen
Gliederung vonstatten. Zwifchen den beiden Ein¬
aktern wurde die Studie der „Der Puppenspieler“
zum erstenmale aufgeführt. Die dramatische Bagatelle.
obwohl die Züge des Schnitzlerischen Geistes tragend.
hatte bloß einen Achtungserfolg. Die Darsteller
namentlich die Herren Leuhart als „Marilin“ und
Recke als „Yagisch“, sowie Frl. Ries als „Anna“
hatten die „Studie“ gut einstudiert, das Publikun
gug aber nicht mit.
H.
„ IA Danwyrst.