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9. Patur
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Theater.
Pfauentheater: „Der grüne Kakadu“ von
Arthur Schnitzler.
T. Der Einakter=Publikation „Lebendige Stunden“
die uns durch die Aufführung im Stadttheater bekannt
geworden ist, hat Arthur Schnitzler 1899 eine andere
vorausgehen lassen, die aus drei Einaktern sich zu¬
sammensetzt, „Paracelsus“, „Die Gesährtin“ und „Der
grüne Kakadu“; nach diesem, dem umfangreichsten,
wird das Büchlein zitiert; er ist auch bei weitem der
bedeutendste, literarisch und dramatisch wertvollste. Wie
wir hören, soll er im nächsten Winter in französischer
Uebersetzung auch in Paris zur Aufführung gelangen.
Das begreift sich. Es ist das Paris der beginnenden
Revolution, das den Schauplatz abgibt: draußen vor
der Spelunke „zum grünen Kakadu“, in der sich, wie
etwa in unserer Zeit in einem der Montmartre¬
Cabarets, die sog. feinste Gesellschaft recht kanaillen¬
haft amüsiert und amüsieren läßt — draußen vor dem
Lokal des ehemaligen Theaterdirektors und jetzigen
Wirts Prospère brüllt und tobt die Menge vorbei, der
der Bastillensturm vom 14. Juli den Kopf heiß und
begehrlich gemacht hat, und eine Woge des Revolutions¬
meers flutet auch in die Kneipwirtschaft hinein und
bereitet einem der Adeligen, dem Herzog von Cadignan,
dem Lebemann mit dem trotzigen Mut und kühlen
Lächeln Don Juans, ein jähes Grab: einer der
Schauspieler, die beim Vater Prospère den Hofleuten
zu ungenehmem Kitzel die Verbrecherwelt voragieren,
steckt dem Herzog den Dolch in die Brust — aus
brutaler Eifersucht.
Mit erstaunlicher Sicherheit hat Schnitzler diese
reiche Aktion in einen Einakter zusammengedrängt,
ohne ihr die Klarheit der Entwicklung zu rauben.
Psychologisch fein ausgebeutet ist das Motiv des
Schauspiels im Schauspiel, wodurch die Grenze
zwischen Wirklichkit und bloßer Fiktion stellenweise
in beinahe beängstigender Weise in der Schwebe ge¬
halten wird. Zu einem wahrhaft packenden drama¬
tichen Effekt steigert sich das dann am Schluß: alle
Welt glaubt, der eifersüchtige Schauspieler Henri habe
den Anbeter seiner ungetreuen Frau, den Herzog, er¬
mordet; aber das ist nur ein brillanter Schauspieler¬
coup; der Herzog erscheint in vollem Wohlbefinden;
allein die Tatsache, daß alle an der Wirklichkeit und
an der Berechtigung seiner Tat nicht zweifelten, hat
dem Schauspieler die Augen über den wahren Tat¬
bestand geöffnet, und so tut er jetzt, was er vorher nur
fingierte: er tötet den Herzog. Das gräßliche Spiel
ist furchtbarer Ernst geworden.
Der Einakter errang sich eine starke Wirkung und
vorbereitet, die Hauptrollen wurden wacker gespielt,
Herr Rameau als tüchtiger Henri durch einen Kranz
ausgezeichnet. Die Inszenierung, die auf der kleinen
Bühne nicht eben leicht war, durfte vollauf befriedigen.
Eingeleitet hatte man den Theaterabend mit dem
geistreich=lustigen Einakter „Literatur“ aus dem
„Lebendigen Stunden“=Zyklus und abgeschlossen mit
dem aus Schwankhafte grenzenden „Abschiedssouper“.
Wer den Eindruck des „Grünen Kakadu“ sich nicht
gerne beeinträchtigen läßt, mag sich dieses „Abschieds¬
souper“ ruhig schenken; er verliert herzlich wenig.
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Theater.
Pfauentheater: „Der grüne Kakadu“ von
Arthur Schnitzler.
T. Der Einakter=Publikation „Lebendige Stunden“
die uns durch die Aufführung im Stadttheater bekannt
geworden ist, hat Arthur Schnitzler 1899 eine andere
vorausgehen lassen, die aus drei Einaktern sich zu¬
sammensetzt, „Paracelsus“, „Die Gesährtin“ und „Der
grüne Kakadu“; nach diesem, dem umfangreichsten,
wird das Büchlein zitiert; er ist auch bei weitem der
bedeutendste, literarisch und dramatisch wertvollste. Wie
wir hören, soll er im nächsten Winter in französischer
Uebersetzung auch in Paris zur Aufführung gelangen.
Das begreift sich. Es ist das Paris der beginnenden
Revolution, das den Schauplatz abgibt: draußen vor
der Spelunke „zum grünen Kakadu“, in der sich, wie
etwa in unserer Zeit in einem der Montmartre¬
Cabarets, die sog. feinste Gesellschaft recht kanaillen¬
haft amüsiert und amüsieren läßt — draußen vor dem
Lokal des ehemaligen Theaterdirektors und jetzigen
Wirts Prospère brüllt und tobt die Menge vorbei, der
der Bastillensturm vom 14. Juli den Kopf heiß und
begehrlich gemacht hat, und eine Woge des Revolutions¬
meers flutet auch in die Kneipwirtschaft hinein und
bereitet einem der Adeligen, dem Herzog von Cadignan,
dem Lebemann mit dem trotzigen Mut und kühlen
Lächeln Don Juans, ein jähes Grab: einer der
Schauspieler, die beim Vater Prospère den Hofleuten
zu ungenehmem Kitzel die Verbrecherwelt voragieren,
steckt dem Herzog den Dolch in die Brust — aus
brutaler Eifersucht.
Mit erstaunlicher Sicherheit hat Schnitzler diese
reiche Aktion in einen Einakter zusammengedrängt,
ohne ihr die Klarheit der Entwicklung zu rauben.
Psychologisch fein ausgebeutet ist das Motiv des
Schauspiels im Schauspiel, wodurch die Grenze
zwischen Wirklichkit und bloßer Fiktion stellenweise
in beinahe beängstigender Weise in der Schwebe ge¬
halten wird. Zu einem wahrhaft packenden drama¬
tichen Effekt steigert sich das dann am Schluß: alle
Welt glaubt, der eifersüchtige Schauspieler Henri habe
den Anbeter seiner ungetreuen Frau, den Herzog, er¬
mordet; aber das ist nur ein brillanter Schauspieler¬
coup; der Herzog erscheint in vollem Wohlbefinden;
allein die Tatsache, daß alle an der Wirklichkeit und
an der Berechtigung seiner Tat nicht zweifelten, hat
dem Schauspieler die Augen über den wahren Tat¬
bestand geöffnet, und so tut er jetzt, was er vorher nur
fingierte: er tötet den Herzog. Das gräßliche Spiel
ist furchtbarer Ernst geworden.
Der Einakter errang sich eine starke Wirkung und
vorbereitet, die Hauptrollen wurden wacker gespielt,
Herr Rameau als tüchtiger Henri durch einen Kranz
ausgezeichnet. Die Inszenierung, die auf der kleinen
Bühne nicht eben leicht war, durfte vollauf befriedigen.
Eingeleitet hatte man den Theaterabend mit dem
geistreich=lustigen Einakter „Literatur“ aus dem
„Lebendigen Stunden“=Zyklus und abgeschlossen mit
dem aus Schwankhafte grenzenden „Abschiedssouper“.
Wer den Eindruck des „Grünen Kakadu“ sich nicht
gerne beeinträchtigen läßt, mag sich dieses „Abschieds¬
souper“ ruhig schenken; er verliert herzlich wenig.