III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 48

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. Literatur


WZinisabe Zeitung.
18 MAI2.
Theater und Musik
Drei Einakter von Artur Schnitzler.
Köln. Von Artur Schnitzlek, der dfeser Tage sechzig Jahre
alt geworden ist, brachte das Schauspielhaus neu einstudiert die
Lustspiele: Lyteratur und Abschiedssouper und die Grotegke:
Der grüge Kakadu. In den beiden Lustspielen glänzen der
ironische Witzgund der anmutig leichte Plauderton des Wiener Dichters,
während eine bezeichnende Seite seines Wesens, die Zweifelsucht und
müde Melancholie eines überfeinerten Genießertums, weniger
wurden
hewortvitt. Unter der Spielleitung von Walter Korth
die niedlichen Stückchen sehr zum Dank des Publikums gegeben.
Höhere Ansprüche an ein der Dichtung an Feinheit gleich¬
kominendes Spiel wurden nicht erfüllt; die Aufführung wer gerade
für Schnitzler etwas grobdrähtig. In dem Lustspiel Literatur sprachen
Karl Weinlein als Klemens und Friedl Münzer als Margarete
trefflich die Wiener Mundart; die liebenswürdige, hochanständige
Schwachköpfigkeit des jungen Aristokraten kam indessen nicht genügend
zum Ausdruck, und an schmiegsamer Eleganz ließ er viel zu wünschen
übrig. Sich derartig ungraziös auf dem Sofa zu rekeln oder zu einer
Dame mit der Zigarre im Mund zu sprechen, zeigt nicht weltmännische
Lässigkeit a, sondern einfach mangelnde Kinderstube. Friedl Münzer
entwickelte trefflichen Humor, winkte aber nach dem Publikum hin
zuweilen stark mit dem Zaunpfahl. Walter Korth als Gilbert kam
es offenbar weniger auf Charakterzeichnung als auf Erschütterung des
Zwerchfells der Zuschauer an; in diesem Literaten steckte doch gar zu viel
vomz harmlosen Bierphilister. In dem zweiten Lustspiel gab Walter
Korth den Freund Anatols ebenfalls ein wenig spießig=lustig; Friedl
Münzer spielte ziemlich derb die Annie, und für den Anatol paßt
Richard Aßmann nicht recht; Anatols Wesen muß jugendlicher,
weicher, murkloser, anmutiger sein. Aßmanns Anatol hätte prevzischer
Reserveoffizier sein können. Die moderne, zur Stilisierung neigende
Entwicklung der Schauspielerkunst ist freilich für Stücke, die wie die
Schnitzlerschen Einakter einen sehr fein abgetönten Naturalismus ver¬
langen, #aicht eben förderlich. Der grüne Kakadu ist trotz mancher
Längen mit seinem bunten Geschehen, seiner romantisch abenteuerlichen
Verwechslung von Sein und Schein, von Schauspielerei und blutiger Wirk¬
lichkeit ein spannendes, technisch sehr geistreich gefingertes Theaterstück;
der Hintergrund der großen französischen Revolution bleibt freilich nur
Hintergrund. Unter Spiekleitung von Dr. Otto Liebscher gelangen die
stürmischen Massenszenen vortrefflich; aus der langen Reihe der Darsteller
leien hervorgehoben Helmut Pfund in der tragischen Figur des Schau¬
spfelers Henri, den er mit packender Wucht verkörperte, Walter Korth
als ehemaliger Theaterdwektor und Spelunkenwirt, Otto Eggerth
As wüster Demagoge, Hans Portz als echter unter allen den nach¬
nemachten Strolchen, Adele Schönfeld als Henris ungetreue Frau,
Friedl Münzer, Paul Senden Richard Aßmann als aristo¬
kratische Besucher der künstlichen Verbrecherkneipe.
Dr. Walter Schmits.—
Stadlanzeiger, Köln
T8 MAIUE
Theater und Alufir
Arthur Schnitzler: Drei Einakter
Von Göttfrled Kellers Muse hat irgendwer einmal
gesagt, sie sei ein hübsches und dralles Bauernmädchen
gewesen, das der Dichter gern zuweilen auf den Schoß
genommen und in die Backen gekniffen habe: und von
der Muse-Wilhelm Raabes dürfte man mit Fug sagen,
etz sei ein genz lichtblondes Wesen, dem der Dichter zu¬
weilen gagz dief in die blauen Augen geschaut habe. Solche
Verbildlichungen und Verleibungen rein geistiger Vor¬
gänge mögen manchem ein wenig geschmacklos vor¬
kommen; aber es ist ganz reizvoll, nach der Regeldetri
Arthur Schnitztlers Muse zu errechnen, dessen 60. Ge¬
burtstag das Schauspielhaus gestern mit der Auf¬
führung dreier Einakter beging. Auf den ersten Blick
scheint diese Muse ein zieres Wiener Madel zu sein,
wie man sichs aus der Ferne wohl vorstellt; schaut
man näher zu, hat sie einen Stich ins Kesse und
Parfümierte; und tritt man ganz nahe heran, ist's
ihr eigner Schatten, ein Großstadtkind mit verlebten
Zügen. „Literatur": ein reizenter und seinge¬
wobener Scherz, wenn man sich elamal auf den
Standpunkt stellt, solcherlei Dinge seien des Ver¬
dichtens wert; „Abschiedssouper“: ein hübsch
dargestellter Vorgang, weln man schon einmal
lebensernste Dinge in fe##rnden Gesprächen erledigen
will. Die einzige tiefere Berechtigung wärfs, wenn
diese Stücke als Satiren erkenntlich wären; aber das
sind sie nicht ausschließlich genug, um nicht davon zu
überzeugen, daß Schnitzler selbst von dieser müden
Lebenshaltung angefressen sei, kein Weltverdichter, ein
Halbweltdichter.
Wie sehr er das ist, bewiist seine „Groteske“ Der
grüne Kakadu, ein Stück aus der französischen
Revolution. Wie Schnitzler da in dem Gasthaus des
ehemaligen Theaterdirektors Prospère sein Schauspieler¬
truppe allabendlich auftreten läßt mit mimischen Vor¬
führungen von Verbrechen und Gruseltaten, die in
Wahrheit ihm ermöglichen, in seinem Haus die Treiber
der Revolution z. versammeln; wie in demselben Raum
die Aristokraten zusammenkommen und sich dieser
Ernsthaftigkeiten freuen, weil sie sie als Spähe, als
Nervenreiz, ansehen; wie der Schauspieler Henri in
den Saal stürzt und gesteht, daß er seine ihm eben
angetraute Frau Léocadie in den Armen des Herzogs
von Cadigman angetroffer. und ihn ermordet habe; wie
da keiner weiß, ob das Verstellung oder Wirklichkeit
ist, bis Cadigman in den „grünen Kakadu“ tritt un
min von Henri, der erfährt, daß er nur zu gut er¬
funden hat, wirklich erschlagen wird; wie dann die
Bürger nach dem Fall der Bastille ihre große Rache
beginnen, auch an den Aristokraten im „grünen Kakadu“;
wie das alles geschieht, erkennen wir die unsehlbar
sicher bauende Hand des Theatermannes Schnitzler mit
besenderer Unmittelbarkeit. Aber auch das Ethos des
Dichters? Er soll ebensowenig, wie Büchner im
Danton, auf einer Seite stehen, aber er soll überall
mit drängendem, leidendem Herzen dabei sein.
wäre falsch, zu sagen, Schnitzler hätte kein Ethos, keine
„Sitte“ in Schillers Sinn, doch ist es kritisch rück¬
blickend gerichtet, nicht aber nach vorn. Daran liegt
es, daß Schnitzler im heranwachsenden Geschlecht keine
Freunde hat, während das deutsche Geschlecht auf und
nach der Mittagshöhe aufmerksamer auf diesen Bespötter
der eignen Zeitläufte zu horchen pflegt. Es wird sich
wohl in Kürze entscheiden, ob dieser Dichter, dem wir
übrigens ja eine kleine Anzahl besonders seingesetzter
Novellen verdanken, ein Vaumeister am deutschen Wesen
und Schrifttum gewesen ist; er wird eine Abkehr er¬
leben, denn es ist die Zeit der Wiederkehr der Ideale
heraufgekommen. Und hier beginnt Schnitzlers per¬
sönliche Tragik; sein Lebenswerk ist in sich einheitlich
und geschlossen erbaut, Zeuge einer großen Begabung,
und doch muß und wird derlei Kunst unbarmherzig fallen
müssen, wenn es aufwärts gehen soll in Deutschland.
Es müssen verschiedene sehr günstige Umstände zu¬
sammengetroffen sein, daß die Aufführung im Schau¬
spielhaus, zumal die der Einakter, so ausgezeichnet ver¬
lief. Warum gelangen gerabe diese gekünstelten Stücke
so gut? In „Literatur“ gab Friedl Münzer das
Weibchen Schriftstellerin, im „Abschiedssouper“ die
Annie außerordentlich; Grazie, Wehmut. Gier, Reiz¬
samkeit in einer Mischung, die ihr auch in ihrer Rolle
im letzten Stück besondern Glanz gab. Korth, in
den ersten Einaktern Spielleiter, setzte erst den Literaten
Gilbert, dann den glatten Max und endlich den Wirt
m „grünen Kakadu“ rund hin. Hätte Korth seine
Sprache besser gepflegt, er wäre heute vielleicht ein
großer Schauspieler. Weinlein gab den adligen
Freund der Margarethe im ersten Stück sehr hübsch;
Aßmann im zweiten als Anatol wußte aber doch
die Unwiderstehlichkeit des Kavaliers besser zu treffen;
es ist das seine Domäne. Nitzgen gab den Kellner.
Aus der Aufführung des „grünen Kakadu“ ragte die
Gestalt des Schausvielers Henri über alle andern hervor;