2. Benerkungen
box 35/2
der hellblaue Abendhimmel. Die Mondsichel stand weiß darin. Darunter zitterte ein Stern,
als wäre er eine Spinne, die sich vom Mond herabgelassen hätte. Der Wind war halblaut
in den Kronen der Bäume, er ging unruhig herum, als fröre ihn im herannahenden
herbst. Etwas klang wie ein Schluchzen. Eine rundliche Wolke im Westen klebte am
himmel wie eine Assel an einem Stein, wenn man ihn aufhebt. Amenold ermannte sich
und ging weiter. Der Wald nahm ihn wieder auf; aber er konnte nicht mehr gut gehen.
Es fiel ihm ein, daß es ungeschickt war, am Abend aufzubrechen. Am frühen Morgen
war die Zeit dafür, alle Ritter sind das gewohnt. Er kehrte um und wollte noch einmal
zu hause schlafen. Ilsmut wollte er nicht anrühren. Swar: morgen früh wäre er um so
viel weiter, wenn er nicht umkehrte. Er stand wieder auf dem hügel. Der Himmel war
um einen Schatten dunkler, der Mond trat stärker hervor, der Stern schien im Winde zu
schaukeln. Im Westen ware. langgezogene Wolken von einer widrigen Färbung, als ob
sie verfaulten. Es würgte ihn etwas in seiner Kehle. Er spürte die Schatten fallen. Der
Wald sank zusammen wie ein Kschenhaufen, die große Föhre hob sich wie abgebrannt
in den himmel, kläglich mit ihren wenigen Zweigen. Amenold eilte zur hütte.
Ilsmut hatte, ohne sich zu rühren, das Fläschchen an den Mund gesetzt. „Ich
traue dir nicht weniger als dem Liebestrank,“ sagte sie und trank: sonderbar, beide Säfte
hatten ja den gleichen Geschmack. Eine plötzliche Scham hinderte sie, das Fläschchen zu
leeren. Amenold sah sie in der Dämmerung liegen; es kam ihm vor, als vergehe und
zerfiele sie schon; alles an ihr schien so dünn und zerbrechlich. Ein Nachwogel mit schlep¬
penden gerollten Schwanzfedern hatte sich auf unbegreifliche Weise in die hütte verirrt
und stieß klagende Rufe aus Dies erschreckte Amenold so, daß er nach ihren Händen griff
und das Fläschchen fand: er erriet, eine dumpfe Verzweiflung verdunkelte ihm die Sinne
und er trank den Rest aus. Er schmeckte bitter. „Du glaubst ja auch an diesen Trank
nicht,“ sagte sie, und da überfiel ihn wahnsinnige Reue, daß er es getan hatte. Bis jetzt
hatte er gelebt u.d jetzt sollte es aus sein. Niemand kann das fassen. Kalter Schweiß
brach aus seiner Stirne. „Doch, ich glaube an ihn,“ stammelte er. „Dann lege das
Schwert“, sagte sie sterbend, „dein Schwert zwischen uns.“ Er gehorchte. Und dann wurde
kein Wort mehr gesprochen in diesem Walde.
Bemerkungen.
Don Arthur Schnitzler.
Es gibt nur wenige Menschen, die dem wahren Egoisten antipathisch sind: diejenigen,
die er beinahe lieben könnte.
Solidarität der Bestrebungen knüpft euch mit Bindfäden, Solidarität der Schicksale
schnürt euch mit Stricken, Solidarität der Verantwortungen schmiedet euch mit Ketten
aneinander.
Es als Tugend auszurufen, daß sich Menschen zusammengehörig fühlen — das war
der geniale Einfall eines Mächtigen, der eine Garde brauchte.
27
österr. Rundschau V, 60, 61.
S
845
1555
box 35/2
der hellblaue Abendhimmel. Die Mondsichel stand weiß darin. Darunter zitterte ein Stern,
als wäre er eine Spinne, die sich vom Mond herabgelassen hätte. Der Wind war halblaut
in den Kronen der Bäume, er ging unruhig herum, als fröre ihn im herannahenden
herbst. Etwas klang wie ein Schluchzen. Eine rundliche Wolke im Westen klebte am
himmel wie eine Assel an einem Stein, wenn man ihn aufhebt. Amenold ermannte sich
und ging weiter. Der Wald nahm ihn wieder auf; aber er konnte nicht mehr gut gehen.
Es fiel ihm ein, daß es ungeschickt war, am Abend aufzubrechen. Am frühen Morgen
war die Zeit dafür, alle Ritter sind das gewohnt. Er kehrte um und wollte noch einmal
zu hause schlafen. Ilsmut wollte er nicht anrühren. Swar: morgen früh wäre er um so
viel weiter, wenn er nicht umkehrte. Er stand wieder auf dem hügel. Der Himmel war
um einen Schatten dunkler, der Mond trat stärker hervor, der Stern schien im Winde zu
schaukeln. Im Westen ware. langgezogene Wolken von einer widrigen Färbung, als ob
sie verfaulten. Es würgte ihn etwas in seiner Kehle. Er spürte die Schatten fallen. Der
Wald sank zusammen wie ein Kschenhaufen, die große Föhre hob sich wie abgebrannt
in den himmel, kläglich mit ihren wenigen Zweigen. Amenold eilte zur hütte.
Ilsmut hatte, ohne sich zu rühren, das Fläschchen an den Mund gesetzt. „Ich
traue dir nicht weniger als dem Liebestrank,“ sagte sie und trank: sonderbar, beide Säfte
hatten ja den gleichen Geschmack. Eine plötzliche Scham hinderte sie, das Fläschchen zu
leeren. Amenold sah sie in der Dämmerung liegen; es kam ihm vor, als vergehe und
zerfiele sie schon; alles an ihr schien so dünn und zerbrechlich. Ein Nachwogel mit schlep¬
penden gerollten Schwanzfedern hatte sich auf unbegreifliche Weise in die hütte verirrt
und stieß klagende Rufe aus Dies erschreckte Amenold so, daß er nach ihren Händen griff
und das Fläschchen fand: er erriet, eine dumpfe Verzweiflung verdunkelte ihm die Sinne
und er trank den Rest aus. Er schmeckte bitter. „Du glaubst ja auch an diesen Trank
nicht,“ sagte sie, und da überfiel ihn wahnsinnige Reue, daß er es getan hatte. Bis jetzt
hatte er gelebt u.d jetzt sollte es aus sein. Niemand kann das fassen. Kalter Schweiß
brach aus seiner Stirne. „Doch, ich glaube an ihn,“ stammelte er. „Dann lege das
Schwert“, sagte sie sterbend, „dein Schwert zwischen uns.“ Er gehorchte. Und dann wurde
kein Wort mehr gesprochen in diesem Walde.
Bemerkungen.
Don Arthur Schnitzler.
Es gibt nur wenige Menschen, die dem wahren Egoisten antipathisch sind: diejenigen,
die er beinahe lieben könnte.
Solidarität der Bestrebungen knüpft euch mit Bindfäden, Solidarität der Schicksale
schnürt euch mit Stricken, Solidarität der Verantwortungen schmiedet euch mit Ketten
aneinander.
Es als Tugend auszurufen, daß sich Menschen zusammengehörig fühlen — das war
der geniale Einfall eines Mächtigen, der eine Garde brauchte.
27
österr. Rundschau V, 60, 61.
S
845
1555