IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 17

box 55/4
Der Geist in Nort und der Geist in der Tat
K (627
Jnba
„Der Präsident stirbt und zahlt nicht. Du aber
„Sie hatte die völlig grade Nase mit breiter Wurzel,
bleibst, was du nun bist. Geh in dein Kämmer¬
die einzige, die ihn in seiner Lage nicht einschüchtern
lein, armes Inakind, und kannst du, weine!“
konnte.“ (S. 47.)
(S. 239.)
„Baronin Hartmann sagte: Es ist der größte
„Von Stufe zu Stufe,“ dachte sie traurig — wenn
Rubin, dem ich begegnet bin, — und als begegnete
auch mit letzter Befriedigung, dem Leben, das es
sie ihm erst jetzt, hielt sie große, stumme Tieraugen
nicht anders wollte, doch wenigstens genügt zu
starr auf ihn gerichtet ...“ (S. 58.)
haben durch ihren Abstieg ...“ (S. 239.)
„ Valentin betrat schnell den Flur, hier fiel
der Professor ihm entgegen von der Treppe bis
Genug des Abstiegs! Das ist der heutige Stil des
vor seine Füße ..“ (S. 240.)
Schöpfers der phantastisch glühenden „Herzogin
„ Wild warf der Präsident den Rumpf nach
von Assy“, der großartigen Karikatur „Professor
allen Seiten. „Mir ist alles gleich, ich gehe über
Unrat“ und der von hundert wahren Einzelleben
Leichen.“ Ihm war anzusehen: auch über seine
wimmelnden „Kleinen Stadt!“ Warum uns diese
eigene. (S. 231.)
unmögliche „Mutter Marie“ mit ihrer aufge¬
„ Seehase, Sie gelangen nicht hinauf,“ sagte sie
klebten Katholizität? Warum mußte aus dem
kalt entschlossen. Zu sich selbst: „Mut! Ich bin keine
Meister romantischer Wirklichkeitsgestaltung ein —
Schollendorff mehr.“ Laut, aber nicht zu laut wegen
Romanschreiber werden?
des Generals: „Oder Sie bezahlen mich.“ (S. 237.)
Arthur Schnitzler als Charakterologe
Von Emil Lucka (Wien)
fremdem Leid; lebt er doch in geheimnisvoller
Es ist ein Zeichen stärkster Bewährung für den
Kommunion mit vielen, eigene Seele in fremde
Menschengestalter, wenn er über die interne
Seelen strömend, fremde Seelen nährend in der
Tragik der von ihm geschauten, geformten, be¬
eigenen bis zur letzten Ekstase oder Verzweiflung.
seelten Menschen hinauf zu persönlicher Tragik
Für Goethe ist dieser Prozeß so überaus schmerz¬
ansteigt, wenn er nicht nur als ein überlegener
haft gewesen, daß er Scheu trug, sich an Gestalten
Bildner fremder Schicksale wirkt, sondern einmal
dramatischer Dichtung hinzugeben, und Shake¬
unerwartet hinter aller Vielheit seiner Welten
speare hat sich am Ende seines Lebens wieder
hervortritt und ein tragisches Antlitz enthüllt.
zurückgenommen aus aller Vielheit, hat seine
Solches scheint mir aber aus der neuen Schrift
Seele nicht mehr ausgeteilt. Der weise Prospero
Schnitzlers: „Der Geist im Wort und der Geist
spricht:
So brech ich meinen Stab,
in der Tat, vorläufige Bemerkungen zu zwei
Begrab ihn manchen Klafter in die Erde,
Diagrammen“ (Verlag S. Fischer, Berlin, 60 S.)
Und tiefer als ein Senkblei je gereicht,
Will ich mein Buch versenken.
hervorzutreten.
Allgemein und abgesehen von der ins Auge ge¬
Es scheint mir, daß in dieser theoretischen Schrift
faßten Arbeit: Der Dichter, der sich immer wieder
des Dramendichters Schnitzler Verwandtes ge¬
begierig in fremde Seelen einsenkt, der über
schieht. Seine Menschen sind vielfach schillernd,
fremden Gedanken brütet und in fremder Leiden¬
überreich nuanciert gewesen, sie gehören in ihrer
schaft verbrennt — er muß einmal, wenn er ein
seelischen Mannigfaltigkeit zu den reichsten, die
wahrhaft lebendiger Mensch ist, im Innersten er¬
die moderne deutsche Dichtung geschaffen hat,
zittern: Wer bin ich? Ich selbst? — Unwiderstehlich
und sie sind so völlig auf psychologische Abschattung
ist ja der Drang, der ihn immer neu ins Chaos
gestellt, daß sie von Gut und Böse, von Wahr und
der Menschenseele hineinjagt, er schlürft von
Falsch, von allen geraden Linien im Aufbau der
fremdem Blut, berauscht sich an fremder Lust —
Seele nichts mehr wissen. Ihr Schöpfer ist in
eigene Lust, stirbt zerschnittenen Herzens an
X 455 *