IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 16


Der Geist in Nort und der Geist in der rat
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MENORAH
die Novelle „Der Mörder“ gelesen hat, dem tiven Kräfte, der Gegenpol mit Teufel, Tücke¬
bold und Literat die negativen. Auf dem
bleibt das sellsame Geschehen lief eingehäm¬
oberen Dreieck finden wir an den Schenkeln
mert, aber noch unvergeßlicher wirkt die
den Staatsmann, Hisloriker, Priester und
Technik, die Art des Vortrages. Sie ähnell
Philosophen. Im unteren Teil, dem negativen,
Zisclierungen großer italienischer oder fran¬
als Gegensätze den Politiker, Journalisten,
zösischer Meister, die ihren Slichel auf dem
Pfaffen und Sophisten. So wird der Geist im
Helm einer Rüslung ansetzen, und in einer
Wort kalegorisiert.
Linie, die nicht abreißt, das gesamte Metall¬
Das Diagramm, der Geist in der Tal.
kleid mit kösllichen Ornamenten zieren:
beginnt auch mit Golt, darunter Prophet und
Große Meister der Kleinkunst.
Held, an der linken Linie Feldherr und See¬
Nur einige Male verbreilert sich die mo¬
fahrer, rechts Naturforscher und Brücken¬
livische Grundlage seines Schaffens, unter an¬
bauer. Als Gegensatz Abenteurer, Spekulanl,
derem im Roman „Der Weg ins Freie“ und
Diktator, Quacksalber, und abfallend, als Ge¬
im Drama „Professor Bernhardi“. Es gehört
gengewicht zur Gotleslinie, Schwindler, Tücke¬
zu dem Gesamtbilde Schnitzlers, daß sein ein¬
bold, Teufel.
ziger Roman mit jüdischen Motiven durch¬
Diese Kalegorien haben nichts mit den
selzt ist. Der Roman soll im Gegensatz zur
zufälligen Berufen zu tun. Der Autor erläutert
Novelle ein Gesamtlebensbild bieten. Im
den Feldherrn als Führer und Organisator,
„Professor Bernhardi“ schürzt das Judesein
den Historiker oder Geschichtsschreiber als
den Knoten zum Konflikt. Aus dem Wieneri¬
Kontinualisten, den Journalisten als Aktuali¬
schen Wesen dringt seelisches Judenelend
sten. Dabei weiß er sehr wohl, daß der Arzt
und geisliges Judenleid: Nebenpfade des
ein Priester sein kann, der Journalist ein
großen Leidenweges.
Und nun plötzlich reckt sich hinter dem
Um dieses Gerippe eines Systems wird
Meister der sehmalen Form der weilaus¬
jeder Leser Fleisch von seinem Fleisch, Geist
greifende Denker und bietet in einer Syn¬
von seinem Geist zufügen, bis eines Tages
ihese deutscher Form und Kunstfertigkeit mit
Arthur Schnitzler alles sagen wird, was noch
urtümlicher Spekulation jüdischer Art ein
zwischen den Zeilen zu lesen ist, Denn er
seltsames Werk, befruchtet von heimlichen
nennt das Werk: Vorläulige Bemerkungen zu
Quellen jahrlausende alten Denkens und
zwei Diagrammen.
Deutens.
Wie der Aufor zu dieser Arbeit kam?
Schnitzler unternimmt die Kalegorisie¬
Wie sagen unsere Weisen? Alles ist in Gottes
rung des menschlichen Geisles in Wort und
Hand, nur nicht der Glaube an ihn. Alles
Tat. Das Problem ist zu gewallig, um in
lernen wir Menschen verstehen und viel wis¬
einer Dichlung Gestall und Lösung zu finden,
sen wir, nur nicht wieso wir wissen und
die Sprache zu weilmaschig, das Wort zu
versiehen. Aber kalegorisieren dürfen auch
vieldeutig für die Schärfe des Gedankens, Die
wir. Nun denn: In Schnitzler sind geheime
graphische Linie muß die Geislesarbeit ver¬
Blutströme lebendig geworden, den Wiener
sinnbildlichen. Der Gedanke soll sich an zwei
Novellisten und Dramatiker haben uralle Ge¬
Dingrammen aufranken und die Erläuterung
dankenfolgen überwälligt. Aus der Aggada,
der vorangehenden 58 Druckseiten erleichtern.
aus den Midraschim, den Sagen und Legen¬
Zweimal siehen zwei spilze Winkel mit
den der Tannaim und Amoräer. Aus den
ihren Schenkeln aufeinander, je ein Rhom¬
schöngeistigen Einschaltungen der Mischna
boid bildend, ein langgezogenes Viereck auf
und des Talmud strebte die Kabbala empor,
dlie Spilze gestelll. Von der oberen Spilze
aus den schöngeistigen Werken des Wiener
strebt eine Linie hoch, auf der die Gottheit
Aufors sprießt die Deutung des Geistes in Wort
Ihront. Goll, darunter der Prophet, und dann
Heinrich Vork-Steiner.
der Dichter. Das obere Dreieck faßt die posi- und Tal.
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