IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 20

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Nort und der Geist in
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r Geist in
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Telelon: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Königsberger Hartungsche Zeitung
2 Sep.
O'portunismus, Stolz und Ueberheblichkeit, Verantwortungsgefühl
Geistige Typen
und Leichtfertigkeit und andere mehr.“ Selbstverständlich neigen weder
der positive noch der negative Typ zu allen für ihr Gebiet charakteristi¬
Bei S. Fischer erschien eine kleine Schrift von Arthur
schen ethischen Begriffen. Zahlenmäßig überwiegen unter den Geistes¬
Schnitzler Der Geist in Wort und der Geist
menschen die Repräsentanten des negativen Typus in einem Verhält¬
Tak, vortansisse Bemerkungen zu zwei Diagrammen“, die insofern er¬
nis, das nach Schnitzler möglicherweise einem biologischen Gesetz ent#
wähnenswert ist, als sie in graphischer Form je zwei Gruppen ein¬
spricht. Der Repräsentant des positiven Typus erlebt tragische Kon
ander gegensätzlicher und doch scheinbar innigst verwandter geistiger
flikte umsomehr, in je vollendeterem Maß er den Urtypus repräsen
Typen darstellt und in kürzester Form erläutert. Schnitzler weiß wohl,
tiert. Allgemein charakteristisch für alle positiven Typen ist das Inter
daß seine Gruppierung nur insofern richtig sein kann, als sie Grenz¬
esse für Zusammenhänge, der wache Sinn für Kontinuität, wie er den
werte auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Wenn er Priester,
Historiker im Gegensatz zum Typus des Journalisten (also nicht zum
Staatsmann, Philosoph sagt, denkt er nicht an bestimmte Berufs¬
Berufsjournalisten) auszeichnet. Den „großen Journalisten“ rückt
arten oder spezifische Begabungen, sondern an Geistesverfassungen,
Schnitzler als geistigen Typ näher zum Historiker, Staatsmann und
zu denen die entsprechenden spezisischen Begabungen eine größere oder
Dichter, als zum Urtyp des Journalisten.
geringere Affinität besitzen und deren Vorhandensein die Repräsen¬
Der Dichter nimmt die ganze Welt als Material für sein Werk.
tanten der betreffenden Typen zu den entsprechenden Berufen zu dispo¬
Der Literat ist auf Stoffe aus. Seine Erlebnisse sind ihm Mittel
nieren pflegt.
zum Zweck, er ist der unmenschlichste, der satanische Typus. „Beim
Jedes der beiden Diagramme besteht aus zwei Dreiecken, die durch
Dichter ist die Linie des Lebens und des Schaffens ein und dieselbe.
eine ideell unüberschreitbare Grenze voneinander getrennt sind und
Beim Literaten sind es zwei Linien, die in gewissen serhöhten) Mo¬
auf gemeinsamer Basis stehen. Das obere Dreieck enthält die positiven,
menten nahe zusammenfließen, ja, sich so völlig decken können, daß der
das untere die negativen Typen. Wer als Reprasentant des Typus
Eindruck einer einheitlichen Linie hervorgerufen (und der Literat für
Pfasse (negativ) geboren ist, kann niemals zum Priester (positiv) wer¬
einen Dichter gehalten) wird.“
den und Schnitzler betont die trügerische, nicht selten tragische Ver¬
wandtschaft zwischen Typ und Gegentyp, die so häufig zu Fehldiagnosen
Ein Zwischenkapitel über Begabungen und Seelenzustände ent¬
Anlaß gibt.
hält die wichtige Feststellung, daß jede Art von Begabung sich ber
Die Bedeutung und der Umfang der Persönlichkeit steht keines¬
jedem Typus des positiven und des negativen Gebietes finden kann
wegs in einem direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zum
und ferner, daß die Seelenzustände veränderlich sind, bil)weilen sogar
positiven oder negativen Gebiet, denn die Persönlichkeit des Geistes¬
fließen. Immerhin gibt es Affinitäten zwischen gewissen Geistesver¬
menschen wird nicht allein durch die Geistesverfassung, sondern auch
fassungen und gewissen Charakteranlagen, so findet sich z. B. der
durch die Begabungen und Seelenzustände bestimmt, weiter durch die
Seelenzustand des Kritizismus unter den Repräsentanten der negati¬
den Typen besonders häufig.
äußere Erscheinung und körperliche Eigenschaft. Die allgemeine
Geistes- und Kulturatmosphäre wird gleichermaßen durch den positiven
Illustriert das erste Diagramm den Geist im Wort, so zeigt das
wie durch den negativen Typ bedingt. Erregend, belebend, beun¬
zweite den Geist in der Tat. Im positiven Dreieck steigt die Linie
ruhigend wirkt der negative, alles im eigentlichen Sinn Dauernde
vom Seefahrer (Entdecker) über den Feldherrn (Führer, Organisator)
schafft der positive Typ, der einsam, aber eingeordnet ist, während der
zum Helden und auf der anderen Seite vom Brückenbauer (Mathe¬
negative gesellig, aber isoliert (ohne innere Bindung) auftritt. Sehr
matiker) über den Naturforscher (Heilkünstler) zum Helden. Im negä¬
hübsch charakterisiert Schnitzler im sechsten Abschnitt eine Gegensatz¬
tiven Dreieck kommt man vom Abenteurer über den Diktator und vom
frage: „Der Priester will Andacht, der Pfaffe Unterwerfung, der
Spekulanten über den Quacksalber zum Schwindler. Die Bezeichnun¬
Staatsmann Entwickelung, der Politiker Parteisieg (gleichgültig im
gen sind hier nicht immer glücklich, so daß Schnitzler sich selbst be¬
Einzelfalle, ob es „Fortschritt“ oder „Rückschritt“ sei). Der Philosoph
müht, den Rahmen für die einzelnen Begriffe möglichst weit zu ziehen.
sucht höhere Ordnung, der Sophist Gedankenspiel; der Historiker Ein¬
Am besten gelang dem seelenkundigen Dramatiker und Arzt be¬
sicht und Zusammenhang, der Journalist Tempo und Verwirrung, der
greiflicherweise die Charakterisierung des Geistes im Wort, wie
Dichter Gestalt und Form, der Literat Figur und Ornament.“ Vom
er sich positiv im Priester, Staatsmann, Philosoph, Historiker und
Dichter, also von der Spitze des oberen Dreiecks, führt eine imaginäre
Dichter und negativ im Pfaffen, Politiker, Sophisten, Journalisten
Linie über den Propheten zu Gott, vom Literaten, also von der Spitze
und Literaten ausspricht. Der Wert der Diagramme besteht in der
des unteren Dreiecks eine Linie über den Tückebold zum Teufel. Im
Möglichkeit einer synoptischen Betrachtung beider Figuren, die nicht
positiven Dreieck sieht Schnitzler das Reich der Wahrheit, im negativen
nur Beziehungen von jeder positiven zu jeder negativen Figuren¬
das Reich der Lüge. „In gleicher Weise stehen einander gegenüber
hälfte, sondern auch zwischen den Typen der positiven Teile zeigt:
die Begriffe Dämonie und Satanie, Altruismus und Egoismus,
dem Dichter entspricht der Held, dem Literaten der Schwindler (!),
Opferwilligkeit und Herzensträgheit, Erlebnis und Sensation, Weg dem Philosoph der Brückenbauer, dem Sophisten der Spekulant.
und Karriere, Folge und Erfolg, Humor und Witz, Sachlichkeit und
Es gibt sehr viel umfassendere und vollkommenere Typologien
(von Spranger über Jaspers zu Jung), die Schnitzlersche hat den
Vorzug eindeutiger und volkstümlicher Formulierung und Klärung
1.1
der Haupttypen durch antithetische Betrachtung.