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11
Wien, I..
Telefon R-2 J
Prager Presse, Prag
90 193
Aufzeichnungen Arthur Schnitzlers aus der
Kriegszeit, die sich — bereite in
ahre-4915 — Heil¬
sichtig gegen den Glauben wenden, daß die Mensch¬
heit nach dem Weltkrieg irgendwie gereinigt und ge¬
läutert sein würde, veröffentlicht „Die neue
Rundschau“ (S. Fischer, Verlag. Berlin) im
Maiheft. Ferner: drei Erzählungen Schnitzlers aus dem
Nachlaß. Wilhelm Hausensteins Wiener Tagebuch“.
den Schluß des Romans „Der Widersacher“ von Jba¬
chim Maaß, eine eingehende Würdigung von Hermann —
Hesses „Morgenlandfahrt“ mit einem Gedicht von Hes¬
se, sowie die Essays: „Nationalistische Jugend“ von
Friedrich Franz v. Unruh. „Söhne ohne Väter und
Lehrer“ von Peter Suhrkamp. „Die Größe Haydns“
von H. E. Jacob, S. Saengers politische Befrachtung
„Erziehung Widerwillen“ und Anmerkungen von Ru¬
dolf Kayser.
„OBSERVER'
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Neue Freie Flesst, Hlien
vom:
8 O. APR. 1332
(Arthur Schnitzler über den Krieg.) Am 15. Mai wäre
„ArthurSchu##er siebzig Jahre alt geworden. Aus diesem
Anlaß veröffentlicht die „Neue Rundschau“ (Berlin und Leipzig)
(in ihrem Maiheft aus dem Nachlaß des Dichters aphoristische
Betrachtungen über den Krieg. Wir entnehmen diesen aus dem
Jahre 1915 stammenden Aufzeichnungen die nachstehenden Be¬
merkungen: „Man muß auch Zeit haben, seine großen Eigen¬
schaften vorzubereiten. Wer werden die Geläuterten sein? Die ein
Bein verloren haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein
Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren haben? Oder die
Leute, die zugrunde gingen? Oder die Leute, die durch Armee¬
lieferungen Millionen verdient haben? Oder die Diplomaten, die
den Krieg angezettelt haben? Oder die Monarchen, die siegreichen
oder die geschlagenen? Diejenigen, die geläutert sein werden —
ich wage es, zu vermuten — sind es schon vorher gewesen. —
Wodurch werden Kriege möglich? 1. Durch die Schurkerei der
Mächtigen, 2. die Dummheit der Diplomatie und 3. die Phantasic¬
losigkeit der Völker. Diese letztere wird unterstützt durch die in
Geschichte und Politik übliche Flucht ins Abstrakte. Schon die
Mehrzahl an sich hat die geheimnisvolle Kraft, das Konkrete ins
Abstrakte umzuzaubern. Tausend Verwundete stellen sich für die
Phantasie keineswegs so schlimm dar wie ein Verwundeter. Sie
bedeuten nicht tausendmal eins, auch nicht eins, auch nicht einen
Bruchteil von eins, sondern sogar etwas qualitativ Anderes. —
Große Zeit, das ist diejenige, in der die Entdeckungen und Er¬
findungen, die in der kleinen Zeit gemacht worden sind, zur
Tötung und Verstümmelung von Menschen sowie zur Vernichtung
der in der kleinen Zeit entstandenen Werte und Werke ausgenützt¬
werden.“
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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
vom:
Frager Tagblate Nr. 101.
8.
Arthun-Schalaler— Krieg
Die letzte Nummer der „Neuen Rundschau“ ver¬
öffentlicht drei Geschichten und die nachfolgenden
Aufzeichnungen aus der Nachkriegszeit (1915 ge¬
schrieben) aus dem Nachlaß von Arthur
Schnitzler. Der Dichter wäre am 15. Mai
siebzig Jahre alt geworden.
Viele Feuilletonisten finden, daß die Mensch¬
heit nach diesem Krieg gereinigt und geläutert
sein werde. Die Gründe für diese Annahme
sind unklar: Keiner der Kriege, die bisher in der
Welt geführt worden sind, hat diese Folge ge¬
zeitigt. Die Folge der siegreichen Kriege ist bei¬
nahe regelmäßig politische Reaktion; die Folge
sind
der verlornen Revolution. Beide Folge
gewissermaßen Erschöpfungzustände. Jedes Er¬
eignis hat natürlich die Macht, in gewissen,
dazu veranlagten Menschen große, edle Eigen¬
schaften zur Erscheinung zu bringen, die sonst
keine Entwicklungsmöglichkeit gefunden hätten.
Gleiches gilt aber auch für schlechte Eigenschaf¬
ten. Außerdem müßte man sich über die Be¬
trachtungweise einigen. Manches sieht wie
Heroismus aus, aber man darf nicht vergessen,
sdaß gerade im Krieg häufig Situationen ein¬
streten, in denen Tapferkeit das sicherste Mittel
list, der Gefahr zu entgehen. Es ist sehr wohl zu
denken, daß derselbe junge Mann, der z. B. bei
seinem Brandunglück wehrlose Kinder und
Frauen zertritt, um ins Freie zu gelangen, als
Offizier seine Truppe mit Todesverachtung zum
Sturm führt. Man muß auch Zeit haben, seine
großen Eigenschaften vorzubereiten. Wer wer¬
den die Geläuterten sein? Die ein Bein verloren
haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein
Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren
haben? Oder die Leute, die zugvunde gingen?
Oder die Leute, die durch Armeelieferungen Mil¬
lionen verdient haben? Oder die Diplomaten,
die den Krieg angezettelt haben? Oder die
Monarchen, die siegreichen oder die geschla¬
genen? Oder die Feuilletonisten, die daheim ge¬
blieben sind? Diejenigen, die geläutert sein wer¬
den — ich wage es zu vermuten — sind es schon
vorher gewesen.
Gewisse Epochen lassen ihre ganze Grauen¬
haftigkeit besonders darin erkennen, daß inner¬
halb ihrer zum größten Unrecht werden kann,
was sonst das erste Gebot aller Sittlichkeit
scheint, nämlich: die Wahrheit aussprechen.
Evochen, in denen die Wahrheit nicht nur ge¬
fährlich werden kann für diejenigen, die sie aus¬
sprechen, sondern auch für diejenigen, die sie
hören, sind im Innersten ungesund.
Wodurch werden Kriege möglich? 1. Durch
die Schurkerei der Mächtigen, 2. die Dumm¬
heit der Diplomatie und 3. die Phantasielosig¬
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Aufzeichnungen Arthur Schnitzlers aus der
Kriegszeit, die sich — bereite in
ahre-4915 — Heil¬
sichtig gegen den Glauben wenden, daß die Mensch¬
heit nach dem Weltkrieg irgendwie gereinigt und ge¬
läutert sein würde, veröffentlicht „Die neue
Rundschau“ (S. Fischer, Verlag. Berlin) im
Maiheft. Ferner: drei Erzählungen Schnitzlers aus dem
Nachlaß. Wilhelm Hausensteins Wiener Tagebuch“.
den Schluß des Romans „Der Widersacher“ von Jba¬
chim Maaß, eine eingehende Würdigung von Hermann —
Hesses „Morgenlandfahrt“ mit einem Gedicht von Hes¬
se, sowie die Essays: „Nationalistische Jugend“ von
Friedrich Franz v. Unruh. „Söhne ohne Väter und
Lehrer“ von Peter Suhrkamp. „Die Größe Haydns“
von H. E. Jacob, S. Saengers politische Befrachtung
„Erziehung Widerwillen“ und Anmerkungen von Ru¬
dolf Kayser.
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Neue Freie Flesst, Hlien
vom:
8 O. APR. 1332
(Arthur Schnitzler über den Krieg.) Am 15. Mai wäre
„ArthurSchu##er siebzig Jahre alt geworden. Aus diesem
Anlaß veröffentlicht die „Neue Rundschau“ (Berlin und Leipzig)
(in ihrem Maiheft aus dem Nachlaß des Dichters aphoristische
Betrachtungen über den Krieg. Wir entnehmen diesen aus dem
Jahre 1915 stammenden Aufzeichnungen die nachstehenden Be¬
merkungen: „Man muß auch Zeit haben, seine großen Eigen¬
schaften vorzubereiten. Wer werden die Geläuterten sein? Die ein
Bein verloren haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein
Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren haben? Oder die
Leute, die zugrunde gingen? Oder die Leute, die durch Armee¬
lieferungen Millionen verdient haben? Oder die Diplomaten, die
den Krieg angezettelt haben? Oder die Monarchen, die siegreichen
oder die geschlagenen? Diejenigen, die geläutert sein werden —
ich wage es, zu vermuten — sind es schon vorher gewesen. —
Wodurch werden Kriege möglich? 1. Durch die Schurkerei der
Mächtigen, 2. die Dummheit der Diplomatie und 3. die Phantasic¬
losigkeit der Völker. Diese letztere wird unterstützt durch die in
Geschichte und Politik übliche Flucht ins Abstrakte. Schon die
Mehrzahl an sich hat die geheimnisvolle Kraft, das Konkrete ins
Abstrakte umzuzaubern. Tausend Verwundete stellen sich für die
Phantasie keineswegs so schlimm dar wie ein Verwundeter. Sie
bedeuten nicht tausendmal eins, auch nicht eins, auch nicht einen
Bruchteil von eins, sondern sogar etwas qualitativ Anderes. —
Große Zeit, das ist diejenige, in der die Entdeckungen und Er¬
findungen, die in der kleinen Zeit gemacht worden sind, zur
Tötung und Verstümmelung von Menschen sowie zur Vernichtung
der in der kleinen Zeit entstandenen Werte und Werke ausgenützt¬
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vom:
Frager Tagblate Nr. 101.
8.
Arthun-Schalaler— Krieg
Die letzte Nummer der „Neuen Rundschau“ ver¬
öffentlicht drei Geschichten und die nachfolgenden
Aufzeichnungen aus der Nachkriegszeit (1915 ge¬
schrieben) aus dem Nachlaß von Arthur
Schnitzler. Der Dichter wäre am 15. Mai
siebzig Jahre alt geworden.
Viele Feuilletonisten finden, daß die Mensch¬
heit nach diesem Krieg gereinigt und geläutert
sein werde. Die Gründe für diese Annahme
sind unklar: Keiner der Kriege, die bisher in der
Welt geführt worden sind, hat diese Folge ge¬
zeitigt. Die Folge der siegreichen Kriege ist bei¬
nahe regelmäßig politische Reaktion; die Folge
sind
der verlornen Revolution. Beide Folge
gewissermaßen Erschöpfungzustände. Jedes Er¬
eignis hat natürlich die Macht, in gewissen,
dazu veranlagten Menschen große, edle Eigen¬
schaften zur Erscheinung zu bringen, die sonst
keine Entwicklungsmöglichkeit gefunden hätten.
Gleiches gilt aber auch für schlechte Eigenschaf¬
ten. Außerdem müßte man sich über die Be¬
trachtungweise einigen. Manches sieht wie
Heroismus aus, aber man darf nicht vergessen,
sdaß gerade im Krieg häufig Situationen ein¬
streten, in denen Tapferkeit das sicherste Mittel
list, der Gefahr zu entgehen. Es ist sehr wohl zu
denken, daß derselbe junge Mann, der z. B. bei
seinem Brandunglück wehrlose Kinder und
Frauen zertritt, um ins Freie zu gelangen, als
Offizier seine Truppe mit Todesverachtung zum
Sturm führt. Man muß auch Zeit haben, seine
großen Eigenschaften vorzubereiten. Wer wer¬
den die Geläuterten sein? Die ein Bein verloren
haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein
Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren
haben? Oder die Leute, die zugvunde gingen?
Oder die Leute, die durch Armeelieferungen Mil¬
lionen verdient haben? Oder die Diplomaten,
die den Krieg angezettelt haben? Oder die
Monarchen, die siegreichen oder die geschla¬
genen? Oder die Feuilletonisten, die daheim ge¬
blieben sind? Diejenigen, die geläutert sein wer¬
den — ich wage es zu vermuten — sind es schon
vorher gewesen.
Gewisse Epochen lassen ihre ganze Grauen¬
haftigkeit besonders darin erkennen, daß inner¬
halb ihrer zum größten Unrecht werden kann,
was sonst das erste Gebot aller Sittlichkeit
scheint, nämlich: die Wahrheit aussprechen.
Evochen, in denen die Wahrheit nicht nur ge¬
fährlich werden kann für diejenigen, die sie aus¬
sprechen, sondern auch für diejenigen, die sie
hören, sind im Innersten ungesund.
Wodurch werden Kriege möglich? 1. Durch
die Schurkerei der Mächtigen, 2. die Dumm¬
heit der Diplomatie und 3. die Phantasielosig¬
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