IV, Gedichte und Sprüche 7, Spaziergang, Seite 1

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Spaziergang
„ Wünscheeprechung dieser hochwichtigen Auge
Der Minister erhielt auf seine
Zimen und habe
derselben freundlichst ent#
De jegige Ministerprasident, welcher einst sein
1ou. —
stehenden Aufklärungen: Das vor
schließlich zugesagt, sein Mö# für die Inter¬
Abgeordnetenmandat niederlegte, weil er mit der Ausweisung
Stabeisen=Cartell sei eine Organ
essen der einschlägigen Ind De zu thun, worauf
der Prätendenten aus Frankreich nicht einverstanden war.
Zwecke, um etwa die Preise auf e
die Deputation ebenso huldvoll entlassen wurde — diese
Vielleicht findet man in dieser politischen Vergangenheit
hergebrachten Redensarten reichen für die Besprechung nicht in den Productionsverhältnissen ni
Casimir=Périer's die Erklärung für die Unterstützung, welche
gestern ein Theil der Rechten in der Kammer dem Cabinet aus, die heute zwischen dem Chef unseres Handelsamtes und vornehmlich zu dem Zwecke, um
dorben worden. Es ist mir gescheh
Merkwürdig!“ sagte Hans. „Als ich vor zwei oder
bauer saß und sich bei dem kö
drei Jahren ein paar Monate im Auslande verbrachte, habe
Wiener Spiegel.*)
Drahrer“ nichts in mir regte. Ich
ich mich wohl nach der Ringstraße, nach unseren Theatern,
„echten Weana“ preisen gehört u
nach dem Rathhause nach einigen schönen Wiener Mädeln
Spaziergang.
ich selbst eins habe! Der Reim von
und ein bischen nach euch gesehnt, aber das wahre Heim¬
Junisonne, die langsam verglomm. Es war draußen,
hat mich ungerührt gelassen —
weh, das, bei dem Einem die Thränen kommen, das habe
weit vor der Linie, und in langer Reihe dehnten sich hohe
darüber zu höhnen, daß der al
ich doch eigentlich nur empfunden, wenn mir die Erinnerung
einförmige Häuser, in häßlicher, weiß=gelber Farbe schimmernd.
Vater Radetzky mit Interesse auf u
an Orte kam — wie der da einer ist. Hier ist für mich die
Viele Fenster waren offen, Männer in Hemdärmeln schauten
wieder anders werden. Ich muß
Seele Wiens. Hier, wo es anfängt, so still . . . so einsam
heraus und verfolgten die klingelnde Tramway mit gedanken¬
kommen. Mein heiteres Wien will
zu werden. “
losen Augen; Frauen in nachlässigen, schlotternden Blousen
das, wofür ihr Alle nicht die rich
Aber entschuldige,“ sagte Max, „gerade hier hört ja
blickten ins Blaue. Kinder spielten auf den Straßen,
hinschaust, Hans, da siehst du
das Charakteristische auf. Das ist vielleicht eine halb un¬
schmutzig und lärmend; und auf den matt grünenden Wiesen,
der Dinge und die unbesorgte Be
bewußte Erinnerung, welche sich für dich mit dieser Stelle
die hier begannen, um sich weiter hinaus in schüchternes
Für dich, Max, ist überall die
verknüpft und gerade hier dieses Gefühl der Heimat so stark
Hügelland zu verlieren, waren ärmliche Menschen, die sich
und Nothwendigen. — Und gar
werden läßt. Möglicherweise liegt es auch daran, daß hier
nach freier Luft sehnten, ohne es zu wissen; Buben
sind überall Komödianten, die dir
die Stadt als ein Ganzes vor dir liegt, und daß du sie
und Mädel, die auf der Erde kugelten oder hin und her
müssen. Manchmal hast du die Gü
geordneter siehst, als wenn du durch ihre Straßen wandelst.
liefen; Soldaten mit blöden, fröhlichen Feierabendgesichtern,
aber bist du zerstreut oder nicht in
Oder auch die Eindrücke, die du aus der Stadt mitbringst,
schlechte Cigarren rauchend; Dirnen, die, meist zu zweien
Ich will anders sein, wie ihr
fangen erst hier, wenn es einsam und stille um dich wird,
oder dreien, laut lachend, über's Feld schritten; zuweilen
eigentlich Alle nicht könnt, mit i
zu wirken an.“
einsame Spaziergänger, die da heraus gewandert kamen, um
Aber es braucht durchaus nicht so zu sein,“ warf
„Mit einem Worte, du will
von der Stimmung dieses seltsamen Grenzgebietes zu kosten,
„denn man braucht ja nicht gerade das
Stefan ein,
Hans etwas verächtlich.
wo die Stadt allmälig aufhört und ihr dumpfes, langes,
Charakteristische seiner Heimat zu lieben. Ja, nicht einmal
„Nein, unter ihnen, als einer
#angstvolles Athmen in einem müden, tröstlichen Seufzen
irgend etwas, was thatsächlich vorhanden ist. Was mich
Ich will, wie die Jugend, der Zi
anlangt, so bin ich darauf gekommen, daß das, was ich
alshaucht.
führen, durch das ganze Leben Wi
So waren auch die vier Freunde heute da heraus
an Wien so lieb habe, längst nicht mehr da ist. Ich habe
„Wenn dir nicht die Naivetät
gelangt. Die Sonne verglomm, kühle Schatten schlichen an
die Häuser von 1760 gern, die längst niedergerissen sind,
Max ein.
den Mauern hinauf, langsam, bis sie sich auf den Dächern
und die Wiener Damen von 1820, die längst gestorben sind,
„Mir?“
verloren. Nur weit draußen noch auf den letzten Häusern
und die Wiener Walzer, die traurigen, vom alten Strauß,
„Gerade dir! Denn du bis
lag ein röthlicher, schmerzlicher Schimmer. Und sie spazierten
die man nimmer spielt. Und wenn ich einmal über den
Localpatriot. Du hast das kindisch
weiter bis zu den allerletzten Häusern. Die Straße war jäh
Ring bummle, im Frühjahre, und ich fühle mich behaglich,
für deine Nebenmenschen, und da
abgeschnitten, hier endete die Stadt. Sie wandten sich um
so merke ich gleich, daß ich eigentlich ein Herr von 1970
um die ganze Welt zu lieben, so
und schauten in den Dunstkreis zurück, aus dem die
bin, und ich sehe alle die Leute, wie ich sie auf Bildern nach
Herz mit dem kleinen Fleck Erde,
Straßen mühselig heranzuschleichen schienen. Sie blieben
vielen Jahren sehen würde.“
„Daß ich es liebe, gebe ich
„Das glaubst du nur!“ rief Fritz. „Es ist nur ein
stehen.
Und ich möchte es kennen! We
Raffinement mehr, um sich am Lebendigen zu freuen.
—*) Der „Wiener Spiege!“ soll in losen Stizzen die
davon? Ich kenne die Straßen,
Gelegentlich überzeugt man sich aber auf die angenehmste
Wiener Welt, oben und unten, Gesellschaft und Volk, Salon
Mundart, die der Wiener sprich
Weise, daß man doch nicht mit Schatten oder Bildern zu
und Straße bringen. Das ganze Wiener Leben will er Stück für
schaftskreise, ich kenne den Corso
thun hat; nicht wahr? Und ich lasse mir von dir, Hans,
Stück allmälig erzählen. Beiträge haben Ferdinand v. Saar,
im Prater, die Burgmusik —
mein lustiges Wien nicht trauyig, und von dir, mein lieber
Emil Marriot, Ada Christen, C. Karlweis, Gustav!
Dinge macht, und wieso es eig
Schwarzkopf, Vincenz Chiavacci, Karl Rabis, Theodor
Stefan, mein lebendiges Wien nicht historisch machen. Ja,
in einem stillen Praterspaziergang
Taube, Hugo v. Hofmannsthal, Arthur Schnitzler,
verachtet mich nur. Ich bin ja auch wirklich von euch bei¬
Dr. Beer=Hofmann, Hermann Bahr und Andere ver¬
Anmerkung der Redaction. nahe schon in meinen heiligsten Wiener Empfindungen ver¬ vor der Minoritenkirche, oder aus
sprochen.
S