V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 32

P
box 35/6
Neis
d
1.Die Fraun
DEUTSCHE BUCHER.
Schönred¬
Das Verlebungsmahl fand im kleinen Esszimmerstatt, und nur Lord und
nicht ent
Lady Minton und das Brautpaar nahmen daran teil. Es wurde unge¬
zwungen vom Wetter, von der neuen Oper, neuen Rennen und dem nahe
nische
bevorstehenden Ericket-Maich auf Lond’s Ground gesprochen— von dem
lturen,
Ereignis des Tages, der Verlobung, kein Wort. Gegen Ende des Mahles
gt.
wandte sich Lord Minion mit einem gefüllten Glas Champagner zu Mand,
seiner Nachbarin zur Rechten, sodann zu Nikusi, der an seiner linken
anz
Seite sass, zuletzt an sein Gegenüber, Lady Minton, nickte einem jeden
ms
mit einem kleinen Lächeln zu, und nachdem dies allscitig und gegenseitig
mit stummer leichter Kopfbewegung beantwortet worden war, nippten
die vier an ihren Gläsern. Das zar die Verlobungsfeier in Mayair — etwas
anderes, als die Feier zur Verlobung Midfords mit Hypatia im Fanar.
So niedlich die Genrebilder der beiden Braut-Essen aus¬
geführt sind — mir werden sie durch das absichtliche Unter¬
streichen der Nutzanwendung verdorben. Ein solches Fabula
docet überlässt Mérimée getrost dem Leser. Seine Schöpfun¬
gen bedürfen weder im Ganzen noch in Einzelnheiten irgend¬
welcher nachhelfender Erläuterung, weil sie — nach einem von
Taine mit Recht zu ihren Ehren wiederholten Wort Gocthes
— den Krystalluhren gleichen, in denen wir nicht nur Zeiger
und Zifferblatt, sondern dank dem durchsichtigen Gehäuse
zugleich das Räderwerk im vollen Gange erblicken. Achnliche
Redewendungen werden auch dem Wolwollenden nicht in den
Sinn kommen zu Gunsten Rudolf Lindaus und seines jüngsten
Romans. So lebendig seine türkischen und englischen Ve¬
duten sind, so leblos sind seine Charaktere. je sorgfältiger
Lindau das Beiwerk behandelt, desto sorgloser vernachlässigt
er die Hauptsache. Sauber und sicher schildert er, unbeirrt
durch zehntausend launige und ceremoniöse Vorgänger, das
aller Welt bekannte Londoner High-life. Ebenso sauber und
sicher schildert er das nicht weniger bekannte, fast pflanzenhaft
gemutende Familienleben im Fanar. Geistliche Grosswürden¬
träger und griechische Kleinbürger sehen wir daheim und auf
virtuos beschriebenen Kaik-Fahrten an den in allen Beleuch¬
tungen nicht minder virtuos gemalten Gestaden des Bosporus.
Wir werden Zeugen modernster englischer Parforce-Jagden
und halbverschollener byzantinischer Hochzeitsbräuche, bei
denen auch dem britischen Bräntigam ein Myrtenkranz auf das
Haupt gedrückt wird. Aber ach — inmitten dieser bunten,
reichen, rasch wechseinden Scenerie bewegt sich kein einziger
neuer oder auch nur individuell gefasster Mensch. In den
Londoner Salons und Waldschlösschen treffen wir nur Dutzend¬
M




G I eune encheneritintahen





450
AR

eeee
420
2

900
1030