V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 50

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1. Die Frau des Neisen
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„OBSERVER“ Nr. 47
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—Eine gewisse Maupassant=Aehnlichkeit weisen die beiden
Novellenbände: „Der kleine Herr Friedmann“ von
Thomas Mann und „Die Fraudes Weisen“ von
Arthur Schnitzlerauf=(S. Fischer, Berlin). Aparte
Slosfe, Knappheit und Klarheit der Darsteilung und
jener bittere Zug der Müdigkeit und des Ekels, der
besonders bei Thomas Mann zugleich anzieht und abstößt.
Der kleine Herr Friedmann ist ein Buckeliger, der Sohn
wohlhabender Eltern, der in einer kleinen Stadt, in
einem alten Hause unter freundlicher Fürsorge und zart¬
sinnigem Schutz ein beinahe glückliches Leben geführt hat,
bis ihn sein Schicksal mit einer schönen und vornehmen
Frau zusammenführt. Mit dem untrüglichen Instinkt des
Weibes erkennt diese den Eindruck, den sie auf den armen
Krüppel gemacht hat, und ihre seine, kühle, mitleidige
Koketterie schürt die Flamme, bis sie sich in einem leiden¬
schaftlichen Geständnis Luft schafft. Das Mitleid versagt,
und der natürliche Abschen der Schönheit, der Jugend, der
Gesundheit gegen das Kranke, Verkrüppelte, Häßliche kommt
zu Worte. Die Frau schleudert den kleinen Herrn Fried¬
mann von sich wie ein Reptil, und dieser, plötzlich auf¬
Für 50 Zeit
geweckt, plötzlich klar sehend sucht das Ende seiner Qual ielnsive
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und seines Lebens im Wasser. Eine fast noch subtilere P'orto.
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Seelenmalerei zeichnet die weiteren Novellen dieses Bandes #ahlbar
aus. Zweimal wird der Tod vom starken Willen eine¬ V##
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Todgeweihten gezwungen, hier ein Kind zu nehmen, daste ist das
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der Kranke liebt und auf der Welt nicht allein zurücklassellteht es den
Abonnement
will, dort die Stunde des Scheidens hinauszuschieben bis rn.
Abonnenten
nach dem Momente der Vereinigung mit einer heiß er¬
sehnten, vom Schicksal durch Jahre vorenthaltenenz—
Frau. „Entsagung“ stellt einen jener Phantasiemenschen!
vor unsre Augen, dessen Illusionen der Wirklichkeit immer!
vorauseilen und der, während er erlebt und leidet, nur
kritisiert und stets zu dem Resultate kommt: also nur das?!
Nichts weiter? „Der Bajazzo“ ist ein junger Mann mit
hundert Talenten und Interessen, der sich von der Welt,
der Arbeit zu bescheidenem Genießen zurückzieht, dessen
Bajazzonatur aber den Beifall, das Klatschen der Menge;
nicht entbehren kann, und der diesen Beifall doch niemals
genießt, weil er sich nicht über sich selbst täuscht und des¬
halb auch die andern nicht zu täuschen versteht. In „Die
Frau des Weisen“ führt „la semme“ die ausschließliche
Stimme. Ehebruch, verlorene, zu spät erkannte Liebe, schwül,
schwermütig, entnüchternd und immer Treibhausatmosphäre.
Mann und Schnitzler haben beide den gleichen kranken Zug“
in ihrem unbestreitbaren Talense. Thomas Mann ist von
ehnen der Bedeutendere, Tiefere, aber auch wohl der Kränkere.