V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 1

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5 Masken und Nunder
rotes, von den meisten mi
zweiten Brettergerüst, das sich aufs erste türmt, an den
August Strindberg.
immer unruhvoll flackernde
Akteuren, die sich noch gegen die Akteure hin verstellen,
berg mit dramatischer I
so liebt der Erzähler Schnitzler die Novelle in der Novelle,
(1849 bis 1912.)
Jugend der Zweifel und
den Schein im Schein, den Schleier hinter dem Schleier,
Von Paul Wertheimer.
milderen und müderen, getl
daß es ein Auf= und Niederwogen gibt, ein Schillern
Heimat, Jonas Lie und
und Funkeln. Etwas Traumhaftes liegt auch in der Er¬
Sucht man die verwirrend widerspruchsreiche Fülle
Ibsen. ... Mit dramatisch
zählung von dem jungen Mann, der vor seiner Tat in
der Gesichte, die August Strindbergs ungeheures, jetzt
formel birgt wohl das I
ferne Länder flieht und sie doch vollbringt, bei dem, wie
geschlossenes Lebenswerk erweckt, in ein knappes Bild zu
farbigen und vielgestaltig
bei Dionysia, der Wunsch unversehens in ein Handeln
spannen, so springt dieses von selbst hervor: ein wilder,
rungen zerklüfteten Geistes
hinüberströmt, in Mord und Verrat, und doch ein Un¬
jäher Nordlichtschein, am Horizont der europäischen
hassers, der früher, in eine
wirkliches bleibt, ein nur Gedachtes, das freilich ihn ver¬
Dichtung flammend. Ein Mann von übergroßem, fast
navische Jugend trotzig ern
nichtet. Balladenhaft, gespenstig tritt der Schatten des toten
titanischem Wuchs, mit tiefen, schmerzlichen Zügen in dem
Ende der Siebzigerjahre d
Gabriel zwischen Ferdinand und Irene, führt sie zu¬
herrischen Antlitz, steht vor dem oft bewundernd mit¬
schienenen Roman „Das ro
sammen und reißt sie auseinander, liebend, hassend; ge¬
gerissenen, zuweilen skeptisch kühl kritischen Betrachter. Ein
Frauen so tatkräftig das
sellt sich zu dem Schatten des Doktors Wehwalt, der
Mann in dieser leisen, allzu frauenhaft gedämpften, der
Rationalisten und Gottesleu
nächtens leise über die weißen Kieswege des Stadtparks
leidenschaftlichen Aeußerung überall abholden Zeit, und
atheistischen Gesinnung un
mehr als dies: ein mit nächtigen Geistern prometheisch
hinhuscht, des Doktors Wehwalt, der von einem Rittmeister
und im „Inferno“ und de
an demselben Tage erschossen worden ist, an dem die
und faustisch Ringender. Ein Viel= und Allseitiger im
Svedenborgs und Sar
Sinn des Uomo universale der Renaissance, Natur¬
kapriziöse Frau Redegonda mit einem jungen Lieutenant
wie Huysmans die mystisch
forscher und Historiker, Lehrer, Arzt, Propagator, Geo¬
des Regiments spurlos verschwand. Und vollends zur
hingegebener Leidenschaft su
loge, Staatswissenschaftler, Bildner und Dichter des
Parabel gewandelt ist die letzte Erzählung des Bandes,
einst, der später eine „Repub
weitesten Lebenskreises zugleich und in all diesen
die von rückwärts her alle übrigen beleuchtet: von dem
beherrschern“ erträumte. D
dämonisch heftigen Eruptionen und Explosionen eines
Jüngling, der den winkenden Bergen zuwandert und sein
der episch breiten Entwicklu
gewaltigen und gewaltsamen Naturells immer in gleich
frohes Herz, in allen Pulsen, der Welt entgegenschlagen
neuem Ueberraschende seines
erregender Weise beherrscht von glühendem Eifer,
fühlt. Aber schon harrt seiner das Verhängiis, dreifach
ursprünglich dramatischen F#
schwärmerischem Hoffen und infernalem Haß. Eine
gesteigert, in dreifach erhöhten Schrecknissen, und dreifach
Temperaments begründet.
Naturgewalt schien in ihm diesen übermächtigen Reichtum
tönt ihm eine mahnende Stimme entgegen, warnend und
immer neue, verinnerlicht di
starker und zwingender, krauser und kranker Gedanken,
doch verräterisch zugleich, schicksalverkündend. Sie kann
Wendungen. Er gleitet
Gestalten und Schicksale, diese Flut von Romanen, Trauer¬
nicht helfen, nicht retten, sondern beflügelt nur die Schritte
einen Rolle in die nächste.
spielen und Komödien, Historien und streitbaren Traktaten
des Jünglings, die zum Abgrund führen.
morgen Student der Medizin
an das Licht zu sprengen. Verwundert und oft verneinend,
Dies also ist die neue Art der Schnitzlerschen Er¬
der seine persönlichste Eigeng
doch immer betroffen von der phantastischen Größe dieses
zählungen, liebend und hassend offenbart sich in ihnen das
dilettantischen Versuchen lock
geistigen Schauspiels, sah man diesem Phänomen Strind¬
Leben, um jedes Einzelwesen besorgt und zugleich voll
ungebändigt in sich, vom(
berg, diesem manchmal bacchanalisch aufjauchzenden und
heimlicher Tücke, schicksalsschwer. Unser Tun ist genau vor¬
enthusiastischer Freund der
öster die gesamte, herkömmlich ethische Welt grausam zer¬
herbestimmt, von Wünschen und Begierden getragen, steigt
Ein
n
Faust
Dann erkennt Strindberg se
580
fleischenden Ideengetümmel zu.
es aus unserem Herzen empor, läßt keine Möglichkeit des
dem Rhetor, dem Akteur
seiner chemischen und alchymistischen Hexenküche erschien er
Entrinnens. Und dann dünkt uns doch alles wieder nur
wandten literarischen Beruf.
diesem, jenem im Kampf wider den Feminismus ein
ein Spiel, zufällig und willkürlich, launenhaft, als ein
heftiger Schüler Schopenhauers und Nietzsches, mit dem
Welches Werk hat sein
buntgewirktes Märchen. In einer neuen, starken, erstaun¬
Strindberg, beiläufig bemerkt, sehr wesentliche Briefe
zuerst entzündet ?4 Ein dra
lich kunstvollen Sprache sind die Erzählungen Schnitzlers
gewechselt.
der fulminantesten, dem eig
vorgetragen, sinnlich und gegenständlich und doch in eine
dieser Jugendlichkeit gähr
Dem einen galt er als genialer, nicht unbedenklich
reine, unirdische Sphäre erhoben. Gedämpft klingt die
Theaterstück: die „Räuber“
verirrier Halbwisser, dem nächsten als ein nicht zu be¬
Leidenschaft, und eine stille Weisheit liegt über die Worte
wie man vernimmt, noch in
streitender Genius vom finsteren Stamm des Terribile, wie
gebreitet, wie sanftes Frühlicht auf spiegelndem Wasser;
wogen. Und womit debütig
man einst Michel Angelo nannte. Ein Dritter proklamierte
leicht und weich strömt alles dahin, Welle schließt sich an
zwanzigjährige Strindberg ?
den „grimmen Schweden“ nur als letzten, in unsere
Welle. „Wunder und Masken“ ist das neue Buch Artur
überraschend mächtig geführte
Schnitzlers benannt, und ein wunderbares Land ist es
stilleren Tage seltsam hineingewirbelten Stürmer und
Diese mit Schwung hinaufg
in der Tat, das Schnitzler vor uns aufschließt, Unwirk¬
Dränger oder als einen der Nachfahren Grabbes und
streng geschlossener Bogen,
liches erscheint als Wirklichkeit, und das Wirkliche hat
Büchners. Doch niemand vermochte sich dem Anhauch und
resormators. Hat ihr Dichten
bunte, spielerische Masken umgebunden. So führt uns
Ansturm einer außerordentlichen, mit keinem modesten
Reformer des schwedischen T
Schnitzler wieder einmal, wohin zu führen eigentlich Auf¬
Maß zu messenden, über jede handliche Alltäglichkeit des
Unwahrheit der Schaubühne
gabe jedes wirklichen Dichters wäre: in das bunte Land
Schrifttums weit hinauswachsenden Erscheinung zu ent¬
Zweifel mit mehr als refor
ziehen. In der Tat, kein freundlich behagliches, gütig
der Phantasie.
erbellendes und erbeiterndes Licht, vielmehr ein blutia Wirkung geworden. In den