V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 16

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5. Masken und Nunder
e
Dschungeln der Phantasie zu finden und mit anmutiger Hand zu
pflücken weiß.
Masken und Wunder! Masken, wohl; alle seine Gestalten
band.
sind ja Masken. Sind künstliche Geschöpfe von menschlichem Aus¬
sehen, mit menschlichen Worten und menschlichen Gebärden. Aber
sie reden und bewegen sich nach seltsamen Gesetzen, etwa nach den
len ist,
Gesetzen des Traumes. Man sieht die Maschinerie, die sie bewegt,
tstag
t bei
darin liegt übrigens einer ihrer Hauptreize.
Denn diese Maschinerie, oder doch ihr Geist, das ist der Welt¬
mt,
wille selbst, das Schicksal oder wie man's immer nennen will. Es
je,
ist ein Schicksal, das an diesen Gestalten seine eigenwilligen Lau¬
ge¬
nen demonstriert und das etwa mit einer halb mutwilligen, halb
als
höhnischen Bewegung sagt: sehi, so wunderbar sind meine Wege.
ahl¬
Sie sind ein Traumgebilde, Emanationen eines schöpferischen Er¬
daran
lebnisses, die um dieses Erlebnisses willen aus den unergründ¬
erische
lichen Tiefen des Möglichen zum Lichte emporsteigen, alsbald wie¬
der verschwinden und das Erlebnis um so deutlicher und ein¬
zerke ge¬
einste und
dringlicher zurücklassen.
Masken sind in diesem Buche. Aber Wunder? Es ist selt¬
iren Zauber
sam, daß Schnitzler, dieser kluge, feine, geistreiche Schnitzler ein
en will, muß
solches Wort gebraucht, seltsamer, daß ers im Titel tut. Er, der
einen so ausgeprägten Sinn für die innere Wahrheit aben¬
unterschätzen,
teuerlicher Begebnisse hat.
novellistischen
Wenn Schnitzler selber zugibt, daß Wunder in seinem Buche
it befreit, die
geschehen, so wollen wir es ihm nichtsdestoweniger bestreiten.
verlangen,
Gehört es denn nicht gerade zu den feinsten Reizen all seiner Ar¬
des Wortes
beiten, daß alle Geschehnisse, selbst die uneryörtesten und aben¬
zerrinnende
teuerlichsten, vollkommen gesetzmäßig vor sich gehen? V###tut es,
die
klösen
daß es die Gesetze des Traumes, die Gesetze einer fremden über¬
ehen, seltsame
irdischen Welt sind? In dieser Schnitzlerschen Welt sind sie keine
unbegreifliche
Wunder, sondern Ereignisse von innerster Wahrhaftigkeit; ein
der dichtende
dämonischer Zwang steckt in ihnen.
n wieder fort¬
Wir wundern uns ja nicht über den Sterndeuter Erasmus,
über diesen seltsamen Wissenschaftler, der eines Nachts, da sich die
hiemals befrie¬
Sterne vor ihm verhüllen, vor dem Bett seiner jungen Frau steht,
xuriöse Werte
die ihm, obgleich seit Jahren ehelich verbunden, plötzlich wie ein
hat seine Ge¬
fremdes Wesen erscheint, das ihm ferner ist als der Weltenraum,
aum ein außer
den er durchforscht. Wir wundern uns ja nicht, daß er die Er¬
högen, wie er,
wachende eine sich selbst Unbekannte nennt, daß er sie fortschickt
, noch weniger
in die Welt, daß er ihr gebietet, jeder ihrer Neigungen zu folgen,
e hinweg¬
damit sie sich selber kennen lerne.
fmuß man ihm,
Daß in diesem Moment die lockenden Weisen einer Hirtenflöte
mun mit einem
ertönen, daß die junge Frau dem Klange folgt, daß sie mit dem
und Wunder“
Hirten durchs Land zieht, ihn dann, nachdem sie ihn bettelarm,
fren Hunger zu
gemacht hat, grausam verläßt, daß sie nun zu immer wilderen
zener phantasti¬
Abenteuern emporsteigt, alle Möglichkeiten ihrer schillernden
nen, halbwelken
Weibnatur erschöpft, in grausamen Lüsten verdirbt, endlich an¬
pie nur er sie in
ggiftschwangeren I gewidert und sich selbst zum Eckel geworden zu Erasmus zurück¬
kehrt und dann von dem erkenntnistheoretischen und experimen¬
tierlustigen Verstande des Mannes zurückgestoßen, in die Welt hin¬
ausflieht und verschwindet wie ein Stern im unendlichen Welten¬
raum, das alles wundert uns ja garnicht. Das alles geschieht ja
nach den Gesetzen des Traumes, der zuweilen am hellen Tage aus
unserer Brust emporsteigt und plötzlich mehr vom Sinn der Dinge
und Geschehnisse zu spüren vermeint, als die stumpfen Sinne sonst
wohl fassen können.
Das aber ist der stärkste und feinste Reiz Schnitzlerscher Kunst:
daß er die geheimsten, noch tief und unerweckt in unseren Herzen
ruhenden, noch nicht getcaumten Träume zum Lichte einfacher
oder seltsamer Begebenheiten emporlockt; darin vielleicht liegt das
Geheimnis ihres rauschenden, zwischen den Zeilen dahinstromen¬
den Lebens. Daß er es in einer so graziösen, kulturgesättigten
Weise tut, macht nur einen weiteren und besonderen Reiz aus.
Man lese daraufhin etwa den „Tod des Junggesellen“, dieses
Mannes, der ein ganzes langes Leben sein geheimes Glück mit
den Frauen seiner Freunde verschweigen mußte und der nur den
einen großen Triumph hat, diesen Freunden nach seinem Tode ein
Geständnis zu hinterlassen, das sie ruhig und schweigend mit nach
Hause nehmen müssen. Sie sind ja alle alt, haben selbst Sünden
begangen und es hat keinen Sinn mehr, die Frauen zur Rede zu
stellen und den „Frieden der Familie“ zu stören. Oder man lese
die Novelle „Der Mörder“, übrigens eine der besten des Buches,
in der bei aller Gutmütigkeit, Aufmerksamkeit und Zartheit eines
jungen Mannes seiner Geliebten gegenüber schließlich doch geheime
Wünsche zur Tat werden. Der Mord und die Stimmung nach
dem Mord sind übrigens diesmal bei Schnitzler, der sonst solche
Dinge ein wenig spöttisch und weltmännisch behandelt, von einer
Stärke und Kraft, die unbedingt in ihren Bann zwingt.
Am stärksten bewährt sich Schnitzlers Art, die komplizierten
Strömungen und Verschlungenheiten des Seelenlehens wieder¬
zugeben und sein merkwürdiges Talent, einfache und alltägliche
Begebenheiten in das Gebiet des Seltsamen zu erheben, in der
Novelle „Der tote Gabriel“. Diese Novelle, in der garnichts, am
wenigsten aber ein Wunder geschieht, ist in technischer Hinsicht eine
Meisterleistung. Es ist da eine ganze Welt der merkwürdigsten
und absonderlichsten Gefühle, die hier zwischen den einfachen
Worten eines Dialogs mitschwingt. Die Unterhaltung eines jun¬
gen Mannes und eines Mädchens über einen toten Freund, das
Intermezzo eines nächtlichen Besuches bei einer Schauspielerin,
das alles ist mit einer solchen Intensität in die Sphäre des Un¬
gewöhnlichen, ja selbst des Unheimlichen erhoben, daß der Leser
unter dem Druck irgendwelcher furchtbarer Ereignisse steht, ohne
zu erfahren, was es war, das auf diese Menschen einen so starken
Eindruck gemacht hat.
Einmal taucht auch wieder eine jener spiritualistischen Sonder¬
I barkeiten auf, die Schnitzler auch früher schon gern behandet hat.
ientueseneimnen
ER
die er aber dieses Mal mit einer Knappheit und Schärfe anpackt,
die den Reiz des Unheimlichen noch sehr erhöht. Es handelt sich
da um einen jungen Mann, der vor kurzem im Duell gefallen ist,
der aber plötzlich dem Erzähler gegenübersitzt und ihm von seiner
eigentümlichen Seelenverwandtschaft zu einer schönen Frau be¬
richtet, der er häufig begegnet ist und die, obwohl er sie niemals
gesprochen hatte, dennoch in ihrem Tagebuch Geständnisse hinter¬
ließ, die sich ganz und gar mit den einsamen Träumen des jungen
Mannes deckten. Diese Aufzeichnungen waren indessen so kom¬
promittierend für ihn, daß der Gatte der schönen Frau ihn vor die
Pistole forderte und ihn mitten ins Herz schoß.
In dieser Geschichte kehrte jene Schnitzlersche Note wieder
die man aus den „Dämmerseelen“ kennt, die grausame Lust des
Schicksals, das seinen blutigen Witz an den unschuldigen, vornehm
beiseite stehenden Naturen übt, während es die Brutalität unbe¬
helligt läßt. Es ist gut, daß sie sich auch in diesem Buche findet, das
Schnitzler seinen Verehrern zu seinem fünfzigsten Geburtstag
spendet, denn dieses heimliche Kichern gehört nun mal zu seiner
künstlerischen Persönlichkeit und das Bild von ihr wäre nicht
vollständig, wenn das Kichern fehlte.