V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 26

box 35/8
2
5. Maskel, und Nunder
kung. Beriis
nichtenden Kälte herauszutreiben. Ein Duell mit dem halbbewußten
sie „ohne Frage und ohne Vorwurf“ empfangen und sie werde
Rächer der Ermordeten bringt ihm den willkommenen Tod.
„Gemach, Bett und Gewand“ wie vordem in ihrem Heim bereit
Wunder.“
Noch verwegener spielt „Der tote Gabriel“ mit den geheimen
finden. Diese kalte Problemstellung, diese Scheingüte voll Mi߬
Mächten, die jenseits von Berechnung und Vorsatz, verhängnisvoll
trauen, treibt die schöne junge Frau erst zur Verzweiflung
ar.
aus leidenschaftlichen Naturen hervorbrechen. Irene, ein phanta¬
und übt zuletzt doch eine Suggestion auf sie aus. In
stisches Geschöpf, das ganz in einem verborgenen Gefühl aufgeht,
hem fünfzigsten Geburtstage
halb traumhaftem Zustande, im Nachtgewande giebt sie der Heraus¬
glühte in der Stille für einen Dichter, der sich an der Leidenschaft
m neuen Novellenbuch, das
forderung zum Triebleben nach, folgt zuerst den Klängen einer
für eine Künstlerin, die ihm angehörte und ihm untreu wurde, ver¬
Wunder"*) führt und vom
Hirtenflöte und dem anfangs spröden, dann völlig an sie hin¬
blutete. Das Mädchen betrauert nicht nur den Mann, der ihr
Seite gefangen nimmt, ius
gegebenen Hirten durch die Abenteuer eines Zigennerlebens, bis sie,
immer fern stand; sie verharrt in ihrer Leidenschaft für ihn, nachdem
zur Kultur zurückstrebend, ein Kleid verlangt und der Hirt seine
er aus dem Leben geschieden ist — war ihr Begehren doch immer
r auch in dieser neuen selt¬
Flöte — der Künstler seine Kunst — opfert, um ihr zu willen zu
nur ein phantastisches Spiel mit dem Fernen, dem Unnahbaren.
sein. Als Geliebte eines Fabrikherrn gerät sie dann aus der
st, wie wir ihn seit Jahren
Gelegentlich eines Balles gibt ihr ein Bekannter Gelegenheit, gegen
Uppigkeit in die sozialistische Bewegung hinein, die sie in ihrer Hilfs¬
die sichere Kontur und der
gerne
Mitternacht jene Künstlerin zu besuchen, der sie so
bereitschaft schürt und deren Kreise'ssie in ihren Wirbel ziehen. Sie
Absonderlichsten Realität zu
ihren Haß und ihre Verachtung bezeugen möchte, und,
möchte Genossin der revolutionierenden Arbeiter sein, und wird ihre
Schule weichlicher Wehmut
die schlaue konventionelle Haltung dieser Dame jede
da
Dirne, bis ein Aristokrat ihr wieder den Zauber des Maitressen¬
mit begründen half, immer
Eruption zurückdrängt, entlädt sich Irenes heißes Be¬
lebens bietet, aus dem sie, angeekelt, zu einem höheren Courtisanen¬
die Philistermoral, die bei
gehren in einer anderen Art. Sie hat rasch erkannt, daß der Be¬
tum emporsteigt, zur Geliebten eines Sonveräus, mit dem sie Land
sie in jene fein erfaßte
kannte, der ihren Wunsch erfüllte, der glückliche Rivale ist, dem ihr
und Leute regiert, um zuletzt nach so und so vielen Wandlungen
allen moralischen Be¬
Idol zum Opfer fiel. In einem Gemisch von Sinnlichkeit und
um ihrer höheren Wahrhaftigkeit willen von oben und unten
ihr ewiges Werk er¬
Nachsucht wirft sie sich auf der Rückfahrt zum Balle dem falschen
ie
verstoßen zu werden und nun als Bettlerin den Heimweg zu suchen.
im alten Musiker
Freunde des Verstorbenen an den Hals, entfacht seine Glut durch
Der Gatte ist bereit, sein Wort zu halten, sie aber verschmäht Ge¬
eben seiner Tochter beklagt,
leidenschaftliche Küsse, um ihn dann für immer von sich zu stoßen.
mach, Bett und Gewand. Sie flucht seiner Weisheit, vor der ihr
ist auch wieder der feine
Sie schwelgt in dem Gefühl, dem vermeintlichen Mörder eine
mehr schaudert als vor allen Masken und Wundern der Welt: die
chen „Falken“ der Novelle,
Todeswunde beigebracht zu haben.
es verkannte, daß jedem menschlichen Dasein nur „ein schmaler
schichte mitteilenswert macht,
Die beiden letzten Geschichten des Buches streifen das Novellen¬
Strich“ gegönnt ist, „sein Wesen zu verstehen und zu erfüllen“ und
vor schützt, in seiner Nach¬
gewand ab und zeigen als Traum und Parabel die mystische und
enteilt ihm für immer ins Unbekannte. Er aber gibt einem neuen
(wie es z. B. seinem be¬
philosophische Seite der Verneinung aller Herrschaft über das
Stern, den er am Firmament aufblitzen sieht, ihren Namen:
„Faustina“ widerfuhr) in
Leben ohne Hülle. Im „Tagebuch der Redegonda“, handelt es sich
geraten.
Dionysia.
um erträumte Mitteilungen eines Verstorbenen. Das Schicksal,
Dieses Halbmärchen, aus dem die Anschauung hervorleuchtet, daß
der bisherigen Produktion
das aus dem Jenseits berichtet wird, ist das eines Mannes, der
wir uns ethisch nur im Schwebezustande erhalten, daß die schein¬
r der Beatrice“ vorbereitet
ein ihm fremdes Weib lediglich in Gedanken verführt hat. Die
bare Harmonie der Kräfte nur ein labiles, kein stabiles Gleich¬
roßer Virtuosität zur Wirk¬
Geliebte seiner Phantasie aber macht im Bereiche ihrer Ein¬
gewicht bedeutet, gibt den Ton für den ganzen Zyklus der Novellen
Vortrags den Eindruck der
bildungskraft genau dieselben Vorgänge durch wie er und
an. Auf ein leichtes satirisches Zwischenspiel „Der Tod des Jung¬
Vergnügen, durch Märchen
vertraut sie wie Tatsachen ihrem Tagebuch an. Das führt
ausgeschliffene Anek¬
die fein aber überscharf
ienthalten, das Mysterium
gesellen“
zu einem Duell, das dem Gedankensünder den Tod bringt. Die
Freunden als eine
seinen
dote von einem Roné, der
#eit psychologisch und physio¬
Parabel „Die dreifache Warnung“ ist eine geistreiche Darstellung des
daß er
darüber zurückläßt,
Art Testament eine Urkunde
kentarische des Unterbewußt¬
Determinismus. Jeder Schritt des dreifach Gewarnten bedeutet
ihre Frauen verführt habe, reihen sich die balladesken
kaus allen Geschichten zuletzt
eine Katastrophe, die er nicht vorhersehen, nicht einmal ahnen
Stücke „Der Mörder“ und „Der tote Gabriel“, die mit großem
herauszutönen scheint: „die
konnte; auf die Klage über das ungerechte Schicksal, die der Ge¬
Raffinement alle Schauer der Mystik in die Realität des modernen
che Verachtung alles dessen,
warnte, den gewissen Tod vor Augen, anstimmt, antwortet ihm der
Lebens hineinbannen. Der Held der einen Erzählung wird durch
ert“.
Hohn der Elemente. Dieser Hohn geht durch all die neuen Halb¬
Gewohnheit und Schwäche an eine treue Geliebte gefesselt, während
e“ hat dafür etwas Pro¬
märchen Schnitzlers hindurch. Die Parabel offenbart uns als der Weis¬
ihn erst die Berechnung, dann die Leidenschaft zu einem Mädchen
ner, der sein junges, an¬
heit letzter Schluß die Grundstimmung des Ganzen. Würde Schnitzler
aus der Gesellschaft treibt. Der Vater der Braut verlangt ein Jahr
irne studiert, fühlt das un¬
in diesen Tagen als ein Achtziger und nicht als ein Fünfziger gefeiert,
Probezeit, in dem die Liebenden in keiner Weise verkehren sollen.
Letzte in der Seele seiner
so müßte man annehmen, daß er in diesen meisterhaft geschriebenen
Der Schwächling nützt dieses Jahr, mit der alten Geliebten eine Welt¬
cht ihren Schlaf und wähnt
Masken und Wundern das salomonische „Alles ist eitel“ als sein
reise zu machen, wird immer nervöser und leidenschaftlicher, je näher
es tritt er mit dem Vor¬
letztes Glaubensbekenntnis niederlegen wollte. Da er aber mitten
der Termin der Erfüllung heranrückt und tötet auf der letzten Seefahrt
en; sie möge aus der Enge
im Leben und Schaffen steht, handelt es sich um eine interessante
das anhängliche Weib, das ihm im Wege steht, indem er ihr eine
n, jedem Triebe unbedingt
Phase der Entwicklung, um die künstlerischen Eingebungen einer
Morphiumlösung zu trinken gibt. Die Leiche und das Geheimnis
vie es ihr beliebe; ob als
fanstisch=phantastischen Stimmung, die die Augen ins Unergründliche,
des Mordes werden ins Meer versenkt. Reuelos stürmt der Bewerber
oder als Dirne, er werde
ins Mystische richtet und gegen die doch die bewährte Kraft reagiert,
zu seiner Braut, um zu erfahren, daß er ihr gleichgültig geworden
die dem schaffenden Menschen zuruft: er stehe fest und sehe hier sich
und sie sich mit einem anderen verlobt hat. Er kann es nicht fassen,
on Athur Schnitzler, Berlin,
1 gesteht ihr, was er um ihretwillen getau, ohne sie aus ihrer ver=] um, dem Tätigen ist die Welt nicht stumm,