V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 30

box 35/8
5 Masken und Nunder
S W
Hand zu
kehrt und dann von dem erkenntnistheoretischen und experimen¬
tierlustigen Verstande des Mannes zurückgestoßen, in die Welt hin¬
Gestalten
ausflieht und verschwindet wie ein Stern im unendlichen Welten¬
em Aus¬
raum, das alles wundert uns ja garnicht. Das alles geschieht ja
den. Aber
nach den Gesetzen des Traumes, der zuweilen am hellen Tage aus
nach den
unserer Brust emporsteigt und plötzlich mehr vom Sinn der Dinge
ebewegt,
und Geschehnisse zu spüren vermeint, als die stumpfen Sinne sonst
wohl fassen können.
her Welt¬
Das aber ist der stärkste und feinste Reiz Schnitzlerscher Kunst:
will. Es
daß er die geheimsten, noch tief und unerweckt in unseren Herzen
en Lau¬
ruhenden, noch nicht getcaumten Träume zum Lichte einfacher
en, halb
oder seltsamer Begebenheiten emporlockt; darin vielleicht liegt das
ie Wege.
Geheimnis ihres rauschenden, zwischen den Zeilen dahinströmen¬
chen Er¬
den Lebens. Daß er es in einer so graziösen, kulturgesättigten
ergründ¬
Weise tut, macht nur einen weiteren und besonderen Reiz aus.
ald wie¬
Man lese daraufhin erva den „Tod des Junggesellen“ dieses
und ein¬
Mannes, der ein ganzes linges Leben sein geheimes Glück mit
den Frauen seiner Freunde verschweigen mußte und der nur den
ist selt¬
einen großen Triumph hat, diesen Freunden nach seinem Tode ein
itzler ein
Geständnis zu hinterlassen, das sie ruhig und schweigend mit nach
Er, der
Hause nehmen müssen. Sie sind ja alle alt, haben selbst Sünden
aben¬
begangen und es hat keinen Sinn mehr, die Frauen zur Rede zu
stellen und den „Frieden der Familie“ zu stören. Oder man lese
m Buche
die Novelle „Der Mörder“, übrigens eine der besten des Buches,
estreiten.
in der bei aller Gutmütigkeit, Aufmerksamkeit und Zartheit eines
iner Ar¬
jungen Mannes seiner Geliebten gegenüber schließlich doch geheime
Wünsche zur Tat werden. Der Mord und die Stimmung nach
tut es,
dem Mord sind übrigens diesmal bei Schnitzler, der sonst solche
en über¬
Dinge ein wenig spöttisch und weltmännisch behandelt, von einer
sie keine
Stärke und Kraft, die unbedingt in ihren Bann zwingt.
eit; ein
Am stärksten bewährt sich Schnitzlers Art, die komplizierten
Strömungen und Verschlungenheiten des Seelenlebens wieder¬
krasmus,
zugeben und sein merkwürdiges Talent, einfache und alltägliche
a sich die
Begebenheiten in das Gebiet des Seltsamen zu erheben, in der
rau steht,
Novelle „Der tote Gabriel“. Diese Novelle, in der garnichts, am
wie ein
wenigsten aber ein Wunder geschieht, ist in technischer Hinsicht eine
enraum,
Meisterleistung. Es ist da eine ganze Welt der merkwürdigsten
die Er¬
und absonderlichsten Gefühle, die hier zwischen den einfachen
ffortschickt
Worten eines Dialogs mitschwingt. Die Unterhaltung eines jun¬
u folgen,
gen Mannes und eines Mädchens über einen toten Freund, das
Intermezzo eines nächtlichen Besuches bei einer Schauspielerin,
rtenflöte
das alles ist mit einer solchen Intensität in die Sphäre des Un¬
mit dem
gewöhnlichen, ja selbst des Unheimlichen erhoben, daß der Leser
ettelarm
unter dem Druck irgendwelcher furchtbarer Ereignisse steht, ohne
wilderen
zu erfahren, was es war, das auf diese Menschen einen so starken
illernden
Eindruck gemacht hat.
dlich an¬
Einmal taucht auch wieder eine jener spiritualistischen Sonder¬
s zurück= 1 barkeiten auf, die Schnitzler auch früher schon gern bebandelt bat.
die er aber dieses Mal mit einer Knappheit und Schärfe anpackt,
die den Reiz des Unheimlichen noch sehr erhöht. Es handelt sich
da um einen jungen Mann, der vor kurzem im Duell gefallen ist,
der aber plötzlich dem Erzähler gegenübersitzt und ihm von seiner
eigentümlichen Seelenverwandtschaft zu einer schönen Frau be¬
richtet, der er häufig begegnet ist und die, obwohl er sie niemals
gesprochen hatte, dennoch in ihrem Tagebuch Geständnisse hinter¬
ließ, die sich ganz und gar mit den einsamen Träumen des jungen
Mannes deckten. Diese Aufzeichnungen waren indessen so kom¬
promittierend für ihn, daß der Gatte der schönen Frau ihn vor die
Pistole forderte und ihn mitten ins Herz schoß.
In dieser Geschichte kehrte jene Schnitzlersche Note wieder,
die man aus den „Dämmerseelen“ kennt, die grausame Lust des
Schicksals, das seinen blutigen Witz an den unschuldigen, vornehm
beiseite stehenden Naturen übt, während es die Brutalität unbe¬
helligt läßt. Es ist gut, daß sie sich auch in diesem Buche findet, das
Schnitzler seinen Verehrern zu seinem fünfzigsten Geburtstag
spendet, denn dieses heimliche Kichern gehört nun mal zu seiner
künstlerischen Persönlichkeit und das Bild von ihr wäre nicht
vollständig, wenn das Kichern fehlte.