V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 38

Nund
und Ander box 35/8
Mas
K
5. Lbaken 1

fehlbar genannt werden kann, durch Anmut, Witz
Höhepunkt seines Schaffens erreicht. Die Schwere
und eine wählerische Phantasie gelingt es ihm
einer erzwungenen, nicht frei erstrebten Resig¬
auch einen scheinbar weniger ergiebigen Stoff
nation, wie sie noch über dem Roman „Gertrud“
künstlerisch auszugestalten. Damit soll ihm nicht
lastete, ist geschwunden und die volle Sonne
Armut an Ideen vorgeworfen, sondern auf eine
eines ausgeglichenen, reifen Künstler= und
bestimmte Art des Schaffens dieses vielseitigen
Menschentums ruht in warmem, stillen Leuchten
und geschmeidigen Dichters hingewiesen werden,
über diesen schönen Novellen. Eine jede
der mit goldschmiedehafter Fertigkeit und erlesenen
ist ganz durchdrungen von des Dichters starker
Mitteln auch geringer bewerteten Steinen durch
aber nicht aufdringlicher Persönlichkeit, alle ent¬
klugerdachte und angemessene Fassung Glanz und
stammen sie dem gleichen Heimatsboden, über
Ansehen gibt. In dieser Sammlung gibt es eine
allen liegt eine geklärte, vornehme Abgeschlossenheit.
oder die andere Novelle, die für diese Art von
Nichts ist schattenhaft verschwommen in diesem
Schnitzlers Schaffen charakteristisch ist. In die
Buch, nichts verhüllt und vieldeutig. Alles wird
„Hirtenflöte“ entquillt einem schrullenhaften
zu lebensvoller Vorstellung, und knapp und
doch
zugleich tiefsinnigen Einfall
eine
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sicher sind die Wege gezeichnet und diejenigen, die
Fülle bunter und
düsterer Ereignisse und
darauf wandern. — Bild und Sinn des Wortes
Bilder. — In einer Nacht, am Bette seiner
„Umweg“ scheinen so mächtig in dem Dichter ge¬
jungen Frau, kommt dem Manne die Einsicht,
worden zu sein, daß er es in fünffacher Wand¬
das Geheimnis ihrer Seele ruhe noch unerweckt
lung zum Ausgangspunkt eines Menschenlebens
in ihr. Zugleich fühlt er, ihm würde keine Ruhe
macht. Ohne das geringste Erzwungene und Er¬
gegeben werden, ehe ihr wahres Wesen ans Licht
künstelte fügen sich die Fünf unter die ver¬
träte. Wie sie erwacht, teilt er ihr seine Er¬
einigende Idee, die der Gesamttitel ausspricht,
kenntnis mit und zwingt die sich Sträubende
und der sie wie ein Ring umspannt. Alles
auszuziehen, um ihr Schicksal zu erfüllen. „Folge
bildet sich überaus natürlich und folgerichtig.
jeder Lockung, Dionysia,“ bestimmt er, „und
Nicht durch unerwartete Vorfälle, durch nichts
wann immer Du wiederkehrst, Du sollst wohl
Geräuschvolles und Aeußerliches werden seine
empfangen werden und keine Frage, kein Vorwurf
Menschen zu ihrem Ziel geführt. In den Ver¬
wird Dich kränken.“ Und Dionysia wandert aus,
hältnissen, unter denen sie leben, in der Ver¬
ihr wahres Gesicht gegen die Maske einzutauschen.
anlagung ihrer Charaktere sieht Hesse das
Sie geht durch Schäferidyll und Drama über
Gesetz, dem sie folgen müssen. Da ist Schlotter¬
Gipfel und Abgründe eines wildbewegten, gro߬
*
beck, der in die Fremde zieht, das Glück zu
zügigen Lebens, das vielleicht ebenso wenig ihr
& Seidel
suchen und der, wie er als alternder Mann #
eigenes ist, wie das, aus dem der Gatte sie ver¬
zurückkehrt, die kleine Vaterstadt, das enge
Keitungsausschnitte. —
trieben. Denn alles trägt mehr den Stempel des
Nest wiederzusehen, dort die Frau findet,
eorgenkirchplatz 211.
Abenteuers als den des Erlebnisses. Nach langen
die er liebt. Wieder baut er sich ein warmes
Jahren betritt sie fremd und ungeklärt das Haus
Nest, wenn auch nicht am Orte, wo er jung ge¬
des Gatten wieder. „Im Grenzenlosen, wo alles
n Zeitungen und ist das

wesen, so doch in der Heimat. Dann sind da
Bureau Deutschlands.)
Lockung war, mußte ich mich verlieren,“ wirft sie
„Ladidel“, der sich zum Notariatsgehilfen berufen
ihm verachtend und verzweifelt vor und verläßt
dünkt, vom Schicksal aber und seinen Fähigke iten
sein Haus für immer.
Zeitung
nach zum Friseur bestimmt ist und „Emil Kolb“,
In „Der Tod des Junggesellen", „Der Mörder“
der zum Diebe werden muß. Bei Ladidel wie bei
und besonders „Der tote Gabriel“ zeigt sich
Kolb steht ein Diebstahl gleichsam als Weiche auf
dem Lebenswege. Beide bringt er — wenn auch
Schnitzlers zwangloses, liebenswürdiges Talent, in
der blitzenden Ironie seiner Rasse verbunden mit
nach verschiedenen Richtungen hin zu ihrem Ziel.
E.
der schmiegsamen Weichheit des Oesterreichers, der
Wie es auch kommen mag, man fühlt am Schlusse
einer jeden Erzählung, wie wohltuend gerade diese
leichten Wehmut und der Eleganz, die auch in
grotesken Szenen nicht versagt. — In diese und
Lösung war und wie notwendig, wenn auch das
irrtümliche Ziel oft höher lag als das, das erreicht
bald leiser ein Ton vom Sterben und Tod hinein.
angene Bücher.
werden mußte. Es ist das Bewußtsein einer
Vielleicht nur zufällig, ebenso gut aber auch ein
tiefen Gerechtigkeit, das immer versöhnend wirkt.
und Wunder. Novellen
Hinweis darauf, welchem Gebiet die Gedanken
Selbst in dem Fall des klugen, weltfreudigen
chnitzler. S. Fischer,
dieses feinen und tiefsinnigen Dichters zustreben,
„Pater Matthias“, der ein nicht einwandfreies
n 1912. Es genügt Schnitzler
der bereits vor sieben Jahren eine Meisternovelle
Doppelleben führt und für sein Vergehen hart
ung, eine Anekdote, eine Im¬
bestraft, aber auch vom Mönchsleben befreit wird,
wie „Sterben“ geschaffen hat.
itzwort, um eine Novelle oder
scheint doch das halbzufriedene Damals keines¬
füllten Einakter darum aufzu¬
Umwege. Erzählung von Hermann
wegs besser und wünschenswerter als das
präzise, untadelig durchge¬
sse. S. Fischer, Verlag, Berlin.
—er.
einen Geschmack, der fast un= Mit diesen Erzählungen hat Hermann Hesse einen hoffnungsvolle Heute.“