V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 39

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in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
O. oegr. —

„Masken und Wunder.“ Novellen von Arthur Schnil“
ler. S. Fischer, Verlag, Berlin 1912.
Zu seinem 50. Geburtstage (am 15.
Mai) hat uns
Arthur Schnitzler ein neues Buch geschenkt, mit dem er die
an ihn geknüpften Erwartungen noch weit übertrifft. „Mas¬
ken und Wunder“, nennt er seine Novelle und stellt sie damit
in ein Grenzgebiet menschlicher Erkenntnis, in dem ja alle
seine Dichtungen wurzeln. Wenn aber die früheren Novel¬
len noch einen naturalistischen Einschlag hatten, so ist hier
alles unendlich gehoben und ins rein Menschliche geläu¬
tert. Wer die Bücher Schnitzlers ihrer Entstehung nach
gelesen hat, fühlt es, wie hoch der Dichter hier über sich
selbst hinausgewachsen ist, wie leidenschaftslos seine Er¬
zählung geworden ist, und wie rein er seine Motive gestaltet.
Diese Motive stellen den Zusammenhang mit den früheren
Werken Schnitzlers her: wieder treten Tod und Leben einan¬
der gegenüber, aber nicht mehr im schauerlichen Gegensatz,
sie reichen sich die Hände; die Auffassung des Lebens ist
vertieft und das große Problem, das es gerade für Schnitzler
bildet, vielfach in neue Wege geführt. Dafür ist gleich
Die Hirtenflöte“ ein Beweis. Ein Gelehrter schickt seine
Frau ins Leben hinaus, da er zur Einsicht gekommen ist,
daß ihr scheinbar glückliches Leben an seiner Seite nicht
ihr ganzes Wesen durchdringt. Er heißt sie, allen Lockungen
und Versuchungen des Lebens folgen, und wenn sie — nach
kurzer oder langer Zeit —
zurückkehrt, soll sie alles finden
wie vorher. Mit meisterhafter Gestaltungskraft ist nun
das abenteuerliche Dasein dieser Frau geschildert, die durch
ihre Liebe bis zur höchsten Macht emporsteigt. Nach Jah¬
ren kommt sie wieder zurück, und der Gatte empfängt sie
ohne Vorwurf, mit einer Selbstverständlichkeit, daß ihr
vor seiner Nähe graut, und sie verläßt ihn mit den Worten:
„Tiefer als vor allen Masken und Wundern der Welt
graut mir vor der steinernen Fratze deiner Weisheit.“ Eine
Perle Schnitzlerscher Erzählungskunst bildet „Der Tod des
Junggesellen.“ Ein Junggeselle, der einsam gestorben ist,
hinterläßt seinen drei Freunden die Nachricht, daß er
alle ihre Frauen gehabt hat. Wie die drei Männer, ein
Kaufmann, ein Arzt und ein Dichter, zusammen den Brief
des Toten lesen, und wie jeder mit tiefer Beichte innerlich
fertig wird, so daß der Tote durch seine Mitteilung gar
nichts erreicht, ist mit wunderbar objektiver Ruhe erzählt.
Die Charaktere sind mit eindringlicher Plastik herausgearbeitet.
Die Novelle „Der Mörder“ verdient höchstes Interesse, denn
sie behandelt ein ungemein schwieriges psychologisches Pro¬
blem überaus geschickt und gibt eine wertvolle Bereiche¬
rung der Seelenstudien Schnitzlers. In diese Gattung, in der
der Dichter mit feinstem Verständnis für die wunderreiche
Welt der menschlichen Seele mit zarter Hand die unsicht¬
baren Fäden bloßzulegen sucht, gehören auch die Novellen
„Der tote Gabriel“ und „Das Tagebuch der Rede¬
gonda.“ Das vorliegende Buch wird Schnitzler, dem
im vorigen Jahrgang ein eigenes Heft der „Quelle“
galt, und dessen Kunst ich in einer eingehenden Studie wei¬
teren Kreisen nahe zu bringen versuchte, viele neue Verehrer
verschaffen, wie auch die Ausgabe seiner gesammelten Werke,
deren erste drei Bände (enthaltend die erzählenden Schriften)“
bereits erschienen sind, allen Literaturfreunden willkompeen
J. K. Rytisdv.
sein wird.