V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 53

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Wu
5. Masken und nder
spielerei stets situationsecht. Und er hat die sicher verbürgten Instinkte, daß
er durch viele Verwandlungen und gelegentlich auch durch die Niederungen
des „Schlammpfades“ gehend, keinen Schaben an seiner Seele nimmt und
sein Zartgefühl behält und seine leise weiche Hand. Und er, den der weib¬
liche Spießer vielleicht einen „Schuft“ nennen darf, bringt als Vertrauter
der Frau eine empfänglichere verstehendere Resonanz entgegen als der mono¬
game Bonhomme.
Musikalisch klingt dies Buch und mit Worten weiß es die unendliche
Melodie sehnsüchtiger Spannungen, die erlösenden Harmonien starker Er¬
füllungen und die dunklen wie schwere Tropfen fallenden Tristitien — il
pluie dans mon coeur — trostloser Stunden der Unwiderbringlichkeit in
unser Gefühl zu bringen.
Es weiß um den leifesten Hauch der Erotik wie um die derbste Umarmung
mit klammernden Organen, wenn es gilt die Seele durch die Sinne zu
heilen oder wenigstens zu betäuben und still zu machen.
Es weiß um die überrieselnden Schauer kaum merkbarer Annäherung
im Dunkel einer Loge, — und auf der Bühne spielt die unerbittliche
„Amoureuse“ des Porto=Riche — um die vibrierende Erwartung, die aus
zwei nebeneinander liegenden Händen spricht, um die Nervenmagie der doigts
libertins, wenn das „Entzücken den Arm hinaufkriecht“ bis zu dem viel¬
geliebten dunklen Schatten der Achsel, den schwarzen Chrysanchemen; es
weiß um das stärkste Entzücken des Mannes, ein sonst kühl und spöttisch
überlegenes Frauenauge in flirrendem Glanze schwimmen und unsäglich
brechen zu sehen.
Vom Leidenmachen und vom Leiden handelt das Buch, von dem be¬
glückenden Aufschwung und von dem Absturz ins Leere. Der unbekümmerte
Genießer, der die Frauen feiert, wie sie fallen, erlebt seine wunderbarsten
Erschütterungen an einer Frau, die durch die ewige Unsicherheit des Besitzens
seine schmerzlichste Qual wird.
Oft Erlebtes oft Geschildertes bekommt hier eine solche Intensität der
Vergegenwärtigung, eine solch leidenschaftlich wehe Übertragungsfähigkeit,
daß Situation und Zustand, ebenso wie immer wieder im Leben, neu und
unerhört werden und dem Empfänglichen das Echo eigener Erinnerung
wecken, Furcht und Mitleid. Alles klingt hier wieder: das Tiefbedrängte,
Totmüde, Abgehärmte leerer Tage der Entfernung ohne Nachricht; das
peinigende Gefühl rettungsloser Fremdheit, wenn die Geliebte unter Men¬
schen, in der Gesellschaft plötzlich unerreichbar scheint und man an dem Be¬
sitz und der schrankenlosen Vertrautheit der Körper irre wird; das fast
Schmerzhafte des Genießens nach dem Entbehren, wenn die verquälten
Nerven sich nicht sogleich zur Freude aufschwingen können.
Und endlich der Ausgang, da alles unhaltbar den Händen entgleitet, da der
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