V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 52

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Masken und lunder
recht, der moralische Respekt vor dem fröhlichen Mut des Mädchens, das seinen
Schritt wagt, ohne den Mann durch das „NRicht doch“ und die Tränen ab¬
zukühlen. Je besser der Mann geartet, um so mehr wird ihn die Freiwillig¬
keit ohne falsche Scham entzücken, und das schnelle Ergeben wird ihm nicht
niedrig dünken.
Flake spricht diese Männergedanken aus, er versetzt sich aber auch einsich¬
#tig in die Verfassung der Mädchen, in ihre Schwierigkeiten und Hemmun¬
gen. Seine Charakteristik der Ilse, die durch die Aufregungen der Phan¬
tasie gegangen, nach der schon manche Begehrlichkeit. gelangt, und die doch
immer vor dem letzten zurückschreckte, bis sich mit Ralph ihr Maß erfüllt,
ist sehr aufschlußreich. Und die Moral davon ist, daß wohl niemals ein
Mann eine Virginität allein bezwingt, daß dazu immer Schrittmacher ge¬
hören, Vorläufer, die den Boden bereiten; und eines Tages, wenn sie reif,
fällt sie dem in den Schoß, der vorübergeht, und der ist meist sehr stolz,
und ahnt nicht, daß er nur den Schlußpunkt zu einem schon lange wallen¬
den Rhythmus setzt.
(Oiese Geschichte der Erregungen hat in ihrem Betrachten und Darstellen
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ein intellektuelles Klima, eine kühle Distanz. Das Stendhalsche
Chaudfroid, von heißen Dingen temperiert zu reden, steckt darin.
Ein anderes Buch des Genießens ist schmeichlerischer, voll weiblicher
knisternder Nervenvibrationen; mehr Frissons schwingen darin als daß
formulierte Beobachtungsgedanken über das Auf und Ab der Liebeskurven
verzeichnet werden und doch gibt es indirekt durch die flirrende Spiegelung
eines sensibeln erotischen Temperamentes eine Education sentimentale.
Das ist der für mich so außerordemtlich lockende Roman Bernards
Versuchung von dem Schweizer Dichter Alexander Castell (München,
Albert Langen), dessen künstlerische Fingerspitzen in der Behandlung der
Bijoux indiscrets sich kennerhaft und verführerisch schon in einigen feinen
Novellen erwiesen.
Aus Schnitzlers „Weitem Land“ kann man das Motto für den hier be¬
handelten Bezirk des Daseins nehmen und es heißt: „Ihr, Ihr“ ...
Ein junger Mensch — er hat keinen anderen Beruf als sich zu erleben
und der Ort der Tat ist Paris — sieht die Frauen an, ihrer zu begehren,
und er ist dabei kein Verführungsprofessional, kein Sportsmann mit dem
Ehrgeiz der möglichst großen Strecke, sondern ein Zärtlicher, von jeder
Frauenatmosphäre leicht Umstrickter und in jeder Situation Neuer. Einer
von denen, die bei aller Virtuosität das Knabenhafte behalten, und zu dem
die Frauen so gern my boy sagen.
Freilich untreu und wechselnden Launen des Notre Coeur folgend, in
vielseitiger gleichzeitiger Reigung, aber ohne Trug und ohne kalte Schau¬
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