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asken
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472 Carl Busse: 13333333 3232135342835280
flöte“, schweift halb ins Märchenhafte. Da die bekannte und bedenkliche Neigung des
gibt ein Sternseher sein junges Weib frei, Wieners zum Geistreich=Ertüftelten. Alles
damit sie in unbeschränkter Hingabe an jede bei ihm ist seines Phantasiespiel. „Wir
Neugier und jeden Trieb das noch
spielen immer; wer es weiß, ist klug,“ hat
weckte Geheimnis ihrer Seele aus Licht
er als Motto vor eins seiner Werke gestellt.
bringe. Sie wehrt sich erst instinktiv gegen
Wenn wir zurückdenken, bleibt uns auch
das Experiment, dem der Mann sie aus¬
von ihm nicht eine einzige Gestalt im Ge¬
setzen will, aber da er darauf besteht, geht
dächtnis, sondern allenfalls nur ein geistreiches
sie von dannen. Sie folgt dem Klang einer
Wort oder eine feine Verknüpfung. Im
Hirtenflöte, sie wird in Abenteuer und Schick¬
Tiefsten ist er doch nicht lebendiger Schöpfer,
sale allerart gerissen, sie kehrt nach Jahren
sondern nur feiner Betrachter. Und das
zu dem Gatten nur zurück, um seine Weis¬
künstlerische Spiel, das er treibt — vorneh¬
heit anzuklagen und zu verhöhnen. „In der
mer, geistreicher und geschmackvoller, als es)
Beschränkung, die du mir zuerst bereitet, und
sonst geschieht — hat doch einen leeren und
wo alles Pflicht wurde, war mir versagt,
gespenstischen Grund. Das darf man sselhst
mich zu finden. Im Grenzenlosen, wohin
im Jubiläumsjahr nicht verschlucken.
du mich sandtest, und wo alles Lockung war,
Hermann Hesse hat nicht diese Fin¬
mußte ich mich verlieren. Ich weiß nicht,
heit des Geistes, aber eine größere Junig¬
wer ich bin.“ Und sie geht auf Nimmer¬
keit des Herzens. Er geht nicht von einem
wiedersehn. Lose Fäden führen von hier zu
interessanten Einfall, einer reizvollen Ver¬
dem Einakter „Paracelsus“ hinüber, den
knüpfung, einer merkwürdigen Situation aus,
Schnitzler vor Jahr und Tag einst schrieb.
sondern von einem Menschen, den er liebt,
In der Hypnose sieht der Waffenschmied,
einer Stimmung, der er sich hingibt. Er
was sein Weib Justina, die er so sicher zu
ist lyrischer, wärmer, germanischer Und
besitzen glaubt, alles begehen könnte. Was
sind Schnitzlers Helden Gesellschaftsmenschen,
dort Traum ist, wird hier in der Novelle
Typen der eleganten Wiener Lebewelt, die
Wirklichkeit, ohne dadurch zu gewinnen.
vor ehelichen Bindungen zurückschenen und
Denn wir fühlen nun doppelt, daß das
ihre nicht allzu starken Gefühle irgendwel¬
Ganze etwas erklügelt ist. Für ein Märchen
chen wechselnden „kleinen Mädchen“ oder
ist es nicht leicht, luftig und symbolisch ge¬
den Frauen ihrer Freunde zuwenden, so ent¬
nug. Für eine Novelle hat es nicht genug
stammen Hesses Helden dem soliden Klein¬
ehrliche Realität. So bleibt uns ein schwan¬
bürgertum, müssen sich früh ihr Brot erwer¬
kender Eindruck. Wir wollen das warme
ben, sind viel zu schüchtern, um der holden
Weiblichkeit gefährlich zu werden, und denken
Leben fühlen und stoßen doch nur auf eine
kalte Maske, hinter der es sich verbergen
bei jeder Liebe gleich ehrbar an die kirch¬
liche Trauung. Ja, sie haben sogar eine
soll. Wir gehen angeregt, aber nicht über¬
manchmal beklemmende Neigung, sich in
zeugt von dannen, und etwas Ahnliches
kleinen Berufen zufrieden zu geben, und un¬
wiederholt sich bei den letzten Stücken des
willkürlich zuckt man zusammen, wenn Peter
Bandes. Dazwischen wird die Geschichte
eines Mörders erzählt, der eine alte Geliebte
Camenzind etwa in der Gastwirtschaft enden
„mitleidig=tückisch“ vergiftet, um sich die
soll, oder andre als Schneider, Tischler, Haar¬
Bahn zu einem vergötterten Mädchen frei
künstler unterkriechen. Aber das Menschliche
adelt schließlich jeden Stand und schimmert
zu machen. Aber wer Schnitzler kennt, der
als Licht auch durch den ärmsten Kittel. Un¬
weiß, daß dieser starke Stoff ihm nicht liegt.
Ihn selbst vermochte niemals eine Leidenschaft
angenehm wird die Sache erst, wenn solche
reine Menschlichkeit fehlt. Und nur mit ge¬
aus seiner Bahn zu reißen: so kann er auch
solche sich bis zum Verbrechen erhebende
mischten Gefühlen wird man deshalb Her¬
Leidenschaft nicht so gestalten, daß wir un¬
mann Hesses neues Erzählungsbuch, die
bedingt glauben. Die leise, tatenlos ver¬
„Umwege“ (Berlin, S. Fischer), genießen.
puffende Betrachtung und Stimmung ist seine
In der ersten und größten Geschichte wird
der Lebenslauf eines jungen Mannes ver¬
Domäne; die elegante Gesellschaft, in der
folgt, der Notar oder etwas Ahnliches wer¬
sich alles unter festen und sichern Formen
den soll, der aber schließlich seinen wahren
verbirgt, sein Jagdrevier. Deshalb halte
ich den „toten Gabriel“ doch wohl für die
Beruf darin entdeckt, eine Barbierstube auf¬
beste der sechs Erzählungen, obwohl die
zumachen. Nun will ich ausgesprochene
Coiffeurtalente durchaus nicht unterschätzen
psychologische Feinheit sich hier schon der
und würde Herrn Ladidel gegebenenfalls
überreiztheit und Spitzfindigkeit nähert.
mit Vergnügen mein Haupt anvertrauen,
Daneben verdient „Der Tod des Jung¬
aber warum in aller Welt macht man dieses
gesellen“ den Preis: eine Viertelstunde nach
im übeigen ziemlich jämmerliche Jüngelchen
seinem Hinscheiden erfahren die versammelten
zum Helden einer großen Geschichte? War¬
und ertra berufenen Bekannten, daß der
um mißbraucht in Dichter seine guten Gaben
eben Verstorbene — alle ihre Frauen be¬
dazu, in aller Ausführlichkeit einen Men¬
fessen hat. Wie sich jeder damit abfindet,
schen zu entwickeln, dessen höchstes Ziel im
das ist sehr fein gegeben. Hier spielt die
Schnitzlersche Satire mit, die zwar im Ein= Bartkratzen und Zöpfeflechten besteht? Mit
fall, aber niemals in der Form grotesk ist, welchem Rechte schleppt er uns über alle
Immerhin zeigt auch dieser Stoff schon möglichen Umwege an die Endstation eines
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472 Carl Busse: 13333333 3232135342835280
flöte“, schweift halb ins Märchenhafte. Da die bekannte und bedenkliche Neigung des
gibt ein Sternseher sein junges Weib frei, Wieners zum Geistreich=Ertüftelten. Alles
damit sie in unbeschränkter Hingabe an jede bei ihm ist seines Phantasiespiel. „Wir
Neugier und jeden Trieb das noch
spielen immer; wer es weiß, ist klug,“ hat
weckte Geheimnis ihrer Seele aus Licht
er als Motto vor eins seiner Werke gestellt.
bringe. Sie wehrt sich erst instinktiv gegen
Wenn wir zurückdenken, bleibt uns auch
das Experiment, dem der Mann sie aus¬
von ihm nicht eine einzige Gestalt im Ge¬
setzen will, aber da er darauf besteht, geht
dächtnis, sondern allenfalls nur ein geistreiches
sie von dannen. Sie folgt dem Klang einer
Wort oder eine feine Verknüpfung. Im
Hirtenflöte, sie wird in Abenteuer und Schick¬
Tiefsten ist er doch nicht lebendiger Schöpfer,
sale allerart gerissen, sie kehrt nach Jahren
sondern nur feiner Betrachter. Und das
zu dem Gatten nur zurück, um seine Weis¬
künstlerische Spiel, das er treibt — vorneh¬
heit anzuklagen und zu verhöhnen. „In der
mer, geistreicher und geschmackvoller, als es)
Beschränkung, die du mir zuerst bereitet, und
sonst geschieht — hat doch einen leeren und
wo alles Pflicht wurde, war mir versagt,
gespenstischen Grund. Das darf man sselhst
mich zu finden. Im Grenzenlosen, wohin
im Jubiläumsjahr nicht verschlucken.
du mich sandtest, und wo alles Lockung war,
Hermann Hesse hat nicht diese Fin¬
mußte ich mich verlieren. Ich weiß nicht,
heit des Geistes, aber eine größere Junig¬
wer ich bin.“ Und sie geht auf Nimmer¬
keit des Herzens. Er geht nicht von einem
wiedersehn. Lose Fäden führen von hier zu
interessanten Einfall, einer reizvollen Ver¬
dem Einakter „Paracelsus“ hinüber, den
knüpfung, einer merkwürdigen Situation aus,
Schnitzler vor Jahr und Tag einst schrieb.
sondern von einem Menschen, den er liebt,
In der Hypnose sieht der Waffenschmied,
einer Stimmung, der er sich hingibt. Er
was sein Weib Justina, die er so sicher zu
ist lyrischer, wärmer, germanischer Und
besitzen glaubt, alles begehen könnte. Was
sind Schnitzlers Helden Gesellschaftsmenschen,
dort Traum ist, wird hier in der Novelle
Typen der eleganten Wiener Lebewelt, die
Wirklichkeit, ohne dadurch zu gewinnen.
vor ehelichen Bindungen zurückschenen und
Denn wir fühlen nun doppelt, daß das
ihre nicht allzu starken Gefühle irgendwel¬
Ganze etwas erklügelt ist. Für ein Märchen
chen wechselnden „kleinen Mädchen“ oder
ist es nicht leicht, luftig und symbolisch ge¬
den Frauen ihrer Freunde zuwenden, so ent¬
nug. Für eine Novelle hat es nicht genug
stammen Hesses Helden dem soliden Klein¬
ehrliche Realität. So bleibt uns ein schwan¬
bürgertum, müssen sich früh ihr Brot erwer¬
kender Eindruck. Wir wollen das warme
ben, sind viel zu schüchtern, um der holden
Weiblichkeit gefährlich zu werden, und denken
Leben fühlen und stoßen doch nur auf eine
kalte Maske, hinter der es sich verbergen
bei jeder Liebe gleich ehrbar an die kirch¬
liche Trauung. Ja, sie haben sogar eine
soll. Wir gehen angeregt, aber nicht über¬
manchmal beklemmende Neigung, sich in
zeugt von dannen, und etwas Ahnliches
kleinen Berufen zufrieden zu geben, und un¬
wiederholt sich bei den letzten Stücken des
willkürlich zuckt man zusammen, wenn Peter
Bandes. Dazwischen wird die Geschichte
eines Mörders erzählt, der eine alte Geliebte
Camenzind etwa in der Gastwirtschaft enden
„mitleidig=tückisch“ vergiftet, um sich die
soll, oder andre als Schneider, Tischler, Haar¬
Bahn zu einem vergötterten Mädchen frei
künstler unterkriechen. Aber das Menschliche
adelt schließlich jeden Stand und schimmert
zu machen. Aber wer Schnitzler kennt, der
als Licht auch durch den ärmsten Kittel. Un¬
weiß, daß dieser starke Stoff ihm nicht liegt.
Ihn selbst vermochte niemals eine Leidenschaft
angenehm wird die Sache erst, wenn solche
reine Menschlichkeit fehlt. Und nur mit ge¬
aus seiner Bahn zu reißen: so kann er auch
solche sich bis zum Verbrechen erhebende
mischten Gefühlen wird man deshalb Her¬
Leidenschaft nicht so gestalten, daß wir un¬
mann Hesses neues Erzählungsbuch, die
bedingt glauben. Die leise, tatenlos ver¬
„Umwege“ (Berlin, S. Fischer), genießen.
puffende Betrachtung und Stimmung ist seine
In der ersten und größten Geschichte wird
der Lebenslauf eines jungen Mannes ver¬
Domäne; die elegante Gesellschaft, in der
folgt, der Notar oder etwas Ahnliches wer¬
sich alles unter festen und sichern Formen
den soll, der aber schließlich seinen wahren
verbirgt, sein Jagdrevier. Deshalb halte
ich den „toten Gabriel“ doch wohl für die
Beruf darin entdeckt, eine Barbierstube auf¬
beste der sechs Erzählungen, obwohl die
zumachen. Nun will ich ausgesprochene
Coiffeurtalente durchaus nicht unterschätzen
psychologische Feinheit sich hier schon der
und würde Herrn Ladidel gegebenenfalls
überreiztheit und Spitzfindigkeit nähert.
mit Vergnügen mein Haupt anvertrauen,
Daneben verdient „Der Tod des Jung¬
aber warum in aller Welt macht man dieses
gesellen“ den Preis: eine Viertelstunde nach
im übeigen ziemlich jämmerliche Jüngelchen
seinem Hinscheiden erfahren die versammelten
zum Helden einer großen Geschichte? War¬
und ertra berufenen Bekannten, daß der
um mißbraucht in Dichter seine guten Gaben
eben Verstorbene — alle ihre Frauen be¬
dazu, in aller Ausführlichkeit einen Men¬
fessen hat. Wie sich jeder damit abfindet,
schen zu entwickeln, dessen höchstes Ziel im
das ist sehr fein gegeben. Hier spielt die
Schnitzlersche Satire mit, die zwar im Ein= Bartkratzen und Zöpfeflechten besteht? Mit
fall, aber niemals in der Form grotesk ist, welchem Rechte schleppt er uns über alle
Immerhin zeigt auch dieser Stoff schon möglichen Umwege an die Endstation eines