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Carl Busse: Neues vom Büchertisch. 88 471
Gebieten der Poesie haben wir Kräfte, die ihre Kindheit, während die unsere vom Glanz
denen des Menschenalters von 1850 bis 1880 unerhörter Siege umstrahlt war. Der
gleichwertig oder überlegen sind. Lilieneron selbstsichere Stolz, das unbändige Kraftge¬
fühl, das der reichsdeutschen Jugend auf
ist mehr als Storm, Gerhart Hauptmann ist
natürliche Weise zufloß, konnte der öster¬
mehr als Anzengruber; eine Fülle anderer
reichischen durch nichts ersetzt werden. So
Talente hält jeden Vergleich aus. Und das
blieb sie mattherzig, kraftlos immer ein
ist nicht einmal das Wichtige! Wichtiger ist,
wenig mißtrauisch gegen sich selbst, etwas
daß das ganze Niveau der Literatur
skeptisch, etwas ironisch, etwas melancholisch.
sich so erstaunlich gehoben hat. Man
Unter den literarischen Revolutionären war
nehme den Durchschnitt der heutigen Lyrik,
auch bezeichnenderweise kein Österreicher.
der heutigen Erzählungskunst und halte ihn
Erst später schlossen sie sich an bekundeten
gegen den Durchschnitt der früheren — der
von vornherein fast ausschließlich literarisch¬
Abstand ist gewaltig. Man darf ohne Über¬
ästhetische Neigungen und gelangten erst mit
treibung behaupten, daß ein Talent, welches
der beginnenden neuromantischen Reaktion
mit seinen Gaben zwischen 1850 und 1880 noch
durch Hofmannsthal zu einer führenden
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eine gewisse Rolle gespielt hätte, heut über¬
Stellung. Das ist das alte Schicksal Öster¬
haupt nicht mehr in Betracht kommt.
reichs. Es steht niemals an der Spitze,
Und Hand in Hand mit dieser erstaun¬
wenn es vorwärts, sondern immer nur, wenn
lichen Erhöhung der Durchschnittsleistung, mit
es rückwärts geht. Es war nicht das Land
der Revolutionierung der Literatur ging doch
der Reformation, wohl aber das der Gegen¬
die ebenso bedeutende Revolutionierung des
reformation. Nicht das Land der Revolution,
Publikums. Dadurch, daß die Dichtung wieder
wohl aber das der Metternichschen Restau¬
Zeitausdruck ward, vor große Probleme gestellt
ration. Und genau so ist es auch litera¬
wurde und einen neuen Aufschwung nahm,
risch ..
eroberte sie das fast abgestorbene Interesse
Man braucht danach kaum zu sagen, daß
des ganzen Volkes wieder zurück. Es gab
Arthur Schnitzler kein Stürmer war. Nach
Kampf, es gab Leben — die Poesie ward
seinem eignen Wort hat er „nicht den Mut,
wieder eine nationale Angelegenheit, in allen
nicht das Temperament, nicht die Einfalt“
Städten bildeten sich literarische Vereini¬
um gläubig Partei zu ergreifen. Er ist im
gungen, und auch das Ausland begann auf¬
Grunde ein melancholischer Skeptiker, der
zuhorchen. Das alles aber ist einzig und
ohne Illusionen die wechselnden Bilder des
allein der Jugend zu danken, die damals
früher mit einem
Lebens betrachtet
Sturm lief — der Jugend, an der sich nicht
mehr ironischen, später mit einem mehr stillen
nur einzelne Alte wie Theodor Fontane er¬
und müden Lächeln: ein kluger, feiner, witzi¬
frischten und verjüngten, sondern die durch
ger Weltmann, ein geistreicher, geschmack¬
die Neubelebung des gesamten literarischen
voller, graziöser Schriftsteller. Er sieht dem
Interesses auch den bedeutenderen Dichtern
bunten Reigen des Lebens, wie er sich einem
der vorhergehenden Generation einen grö¬
bestimmten engen Kreise darstellt, mit Inter¬
ßeren Resonanzboden verschaffte.
esse zu, er tanzt wohl auch vorsichtig mit,
Nein — Hut ab vor der stürmenden
aber er ist in jedem Augenblick bei Verstand,
Jugend von dazumal! Respekt vor den acht
er bleibt immer reserviert, er überwindet nie
literarischen Revolutionsjahren von 1884 bis
eine letzte Skepsis. Aber weil er sich nie
1892! Erzesse, bei denen Schlamm aufge¬
restlos hinzugeben vermag, rührt er auch
wühlt wurde, gab es natürlich reichlich: eine
niemals an die Wurzeln des Lebens. Er ist
Revolution ist keine Quadrille à la cour!
ein feiner Künstler, aber ein kleiner Dichter.
Aber der Ehrenschild deutscher Dichtung, der
Er kann geistreich amüsieren und anregen,
Greisenhänden zu entsinken drohte, den kein
er kann uns nachdenklich stimmen und rühren,
einziger unter der Mannesgeneration zu
aber er kann uns niemals hinreißen, im
er ist damals von den
halten wußte —
Innersten packen und uns nachhaltig be¬
„Jungen“ kühn gepackt und gerettet worden!
wegen. Wir setzen ihm die gleiche Reserviert¬
Das wollen wir nicht vergessen, und des¬
heit entgegen, über die er selbst nie ganz
halb ist es ein richtiger und guter Gedanke
hinauskommt. Er ist auch viel zu klug, um
gewesen, das Trüpplein der Stürmer, dem
diese enge Schranke seiner Natur nicht zu
1912 der 50. Geburtstag blüht, schon bei
kennen. Er weiß offenbar ganz genau, daß
dieser Gelegenheit zu feiern. Zu den einzelnen
ihm Temperament und Herzensleidenschaft
Sprößlingen des Jahrgangs 1862 kann man
fehlen, um eine der dichterischen Formen
sich darum doch so kritisch stellen, wie man
groß und voll zu erfüllen. Die Lyrik ist ihm
will, und wenn man Gerhart Hauptmann mit
verschlossen; ein Romanversuch mißlang;
aller Wärme preisen wird, so wird man
das Drama großen Stils ist nicht seine
anderen gegenüber seine Begeisterung etwas
Sache. Aber meisterhaft sind seine geistreich¬
zähmen.
graziösen Dialoge, die sich hier zum Einakter,
Gleich für den ersten der Fünfziger
dort zur kurzen Novelle zusammenschließen.
Arthur Schnitzler — will mir der Wirbel
Zu seinem 50. Geburtstage wartete er mit
nicht unterm Schlafek vor. Die österreichische
einer neuen Novellensammlung auf: „Mas¬
Jugend ist ja unter ganz anderen und viel
ken und Wunder“ (Berlin, S. Fischer).
trüberen Eindrücken groß geworden, als die
Das Hauptstück der Sammlung, „Die Hirten¬
reichsdeutsche. Verlorene Kriege begleiteten
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Carl Busse: Neues vom Büchertisch. 88 471
Gebieten der Poesie haben wir Kräfte, die ihre Kindheit, während die unsere vom Glanz
denen des Menschenalters von 1850 bis 1880 unerhörter Siege umstrahlt war. Der
gleichwertig oder überlegen sind. Lilieneron selbstsichere Stolz, das unbändige Kraftge¬
fühl, das der reichsdeutschen Jugend auf
ist mehr als Storm, Gerhart Hauptmann ist
natürliche Weise zufloß, konnte der öster¬
mehr als Anzengruber; eine Fülle anderer
reichischen durch nichts ersetzt werden. So
Talente hält jeden Vergleich aus. Und das
blieb sie mattherzig, kraftlos immer ein
ist nicht einmal das Wichtige! Wichtiger ist,
wenig mißtrauisch gegen sich selbst, etwas
daß das ganze Niveau der Literatur
skeptisch, etwas ironisch, etwas melancholisch.
sich so erstaunlich gehoben hat. Man
Unter den literarischen Revolutionären war
nehme den Durchschnitt der heutigen Lyrik,
auch bezeichnenderweise kein Österreicher.
der heutigen Erzählungskunst und halte ihn
Erst später schlossen sie sich an bekundeten
gegen den Durchschnitt der früheren — der
von vornherein fast ausschließlich literarisch¬
Abstand ist gewaltig. Man darf ohne Über¬
ästhetische Neigungen und gelangten erst mit
treibung behaupten, daß ein Talent, welches
der beginnenden neuromantischen Reaktion
mit seinen Gaben zwischen 1850 und 1880 noch
durch Hofmannsthal zu einer führenden
1
eine gewisse Rolle gespielt hätte, heut über¬
Stellung. Das ist das alte Schicksal Öster¬
haupt nicht mehr in Betracht kommt.
reichs. Es steht niemals an der Spitze,
Und Hand in Hand mit dieser erstaun¬
wenn es vorwärts, sondern immer nur, wenn
lichen Erhöhung der Durchschnittsleistung, mit
es rückwärts geht. Es war nicht das Land
der Revolutionierung der Literatur ging doch
der Reformation, wohl aber das der Gegen¬
die ebenso bedeutende Revolutionierung des
reformation. Nicht das Land der Revolution,
Publikums. Dadurch, daß die Dichtung wieder
wohl aber das der Metternichschen Restau¬
Zeitausdruck ward, vor große Probleme gestellt
ration. Und genau so ist es auch litera¬
wurde und einen neuen Aufschwung nahm,
risch ..
eroberte sie das fast abgestorbene Interesse
Man braucht danach kaum zu sagen, daß
des ganzen Volkes wieder zurück. Es gab
Arthur Schnitzler kein Stürmer war. Nach
Kampf, es gab Leben — die Poesie ward
seinem eignen Wort hat er „nicht den Mut,
wieder eine nationale Angelegenheit, in allen
nicht das Temperament, nicht die Einfalt“
Städten bildeten sich literarische Vereini¬
um gläubig Partei zu ergreifen. Er ist im
gungen, und auch das Ausland begann auf¬
Grunde ein melancholischer Skeptiker, der
zuhorchen. Das alles aber ist einzig und
ohne Illusionen die wechselnden Bilder des
allein der Jugend zu danken, die damals
früher mit einem
Lebens betrachtet
Sturm lief — der Jugend, an der sich nicht
mehr ironischen, später mit einem mehr stillen
nur einzelne Alte wie Theodor Fontane er¬
und müden Lächeln: ein kluger, feiner, witzi¬
frischten und verjüngten, sondern die durch
ger Weltmann, ein geistreicher, geschmack¬
die Neubelebung des gesamten literarischen
voller, graziöser Schriftsteller. Er sieht dem
Interesses auch den bedeutenderen Dichtern
bunten Reigen des Lebens, wie er sich einem
der vorhergehenden Generation einen grö¬
bestimmten engen Kreise darstellt, mit Inter¬
ßeren Resonanzboden verschaffte.
esse zu, er tanzt wohl auch vorsichtig mit,
Nein — Hut ab vor der stürmenden
aber er ist in jedem Augenblick bei Verstand,
Jugend von dazumal! Respekt vor den acht
er bleibt immer reserviert, er überwindet nie
literarischen Revolutionsjahren von 1884 bis
eine letzte Skepsis. Aber weil er sich nie
1892! Erzesse, bei denen Schlamm aufge¬
restlos hinzugeben vermag, rührt er auch
wühlt wurde, gab es natürlich reichlich: eine
niemals an die Wurzeln des Lebens. Er ist
Revolution ist keine Quadrille à la cour!
ein feiner Künstler, aber ein kleiner Dichter.
Aber der Ehrenschild deutscher Dichtung, der
Er kann geistreich amüsieren und anregen,
Greisenhänden zu entsinken drohte, den kein
er kann uns nachdenklich stimmen und rühren,
einziger unter der Mannesgeneration zu
aber er kann uns niemals hinreißen, im
er ist damals von den
halten wußte —
Innersten packen und uns nachhaltig be¬
„Jungen“ kühn gepackt und gerettet worden!
wegen. Wir setzen ihm die gleiche Reserviert¬
Das wollen wir nicht vergessen, und des¬
heit entgegen, über die er selbst nie ganz
halb ist es ein richtiger und guter Gedanke
hinauskommt. Er ist auch viel zu klug, um
gewesen, das Trüpplein der Stürmer, dem
diese enge Schranke seiner Natur nicht zu
1912 der 50. Geburtstag blüht, schon bei
kennen. Er weiß offenbar ganz genau, daß
dieser Gelegenheit zu feiern. Zu den einzelnen
ihm Temperament und Herzensleidenschaft
Sprößlingen des Jahrgangs 1862 kann man
fehlen, um eine der dichterischen Formen
sich darum doch so kritisch stellen, wie man
groß und voll zu erfüllen. Die Lyrik ist ihm
will, und wenn man Gerhart Hauptmann mit
verschlossen; ein Romanversuch mißlang;
aller Wärme preisen wird, so wird man
das Drama großen Stils ist nicht seine
anderen gegenüber seine Begeisterung etwas
Sache. Aber meisterhaft sind seine geistreich¬
zähmen.
graziösen Dialoge, die sich hier zum Einakter,
Gleich für den ersten der Fünfziger
dort zur kurzen Novelle zusammenschließen.
Arthur Schnitzler — will mir der Wirbel
Zu seinem 50. Geburtstage wartete er mit
nicht unterm Schlafek vor. Die österreichische
einer neuen Novellensammlung auf: „Mas¬
Jugend ist ja unter ganz anderen und viel
ken und Wunder“ (Berlin, S. Fischer).
trüberen Eindrücken groß geworden, als die
Das Hauptstück der Sammlung, „Die Hirten¬
reichsdeutsche. Verlorene Kriege begleiteten
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