V, Textsammlungen 2, Die griechische Tänzerin. Novellen, Seite 11

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aenz
2. Die griechische Te#serin
(Schlögl, Pönl, Chiavacci u. a.) an, es sind harmlose,
Gabe verliehen, in der höchsten Wonne der Liebes¬
aber gut beobachtete Zustandsbilder aus dem Leben
umarmung einen Schrei auszustoßen, der das letzte
Wiens und seiner Bewohner; ki#ie bunte Ausschnitte
Geheimnis Hrer Seele enthüllt. Der Prinz dieser
aus der immer unterhaltenden Realität eines großen
Märcheninsti, der auf ein reiches Liebesleben zurückblickt,
Stadt= und Menschenwesens, ein Geure, das von altersher
freit eine fremde Königstochter, nach deren „Liebesschrei“
seine Liebhäber hatte; man denke nur an die „Mimen“.
er sich Zeit seines Lebens vergeblich sehnt, die ihm so
des Sophron unter dem Kopfkissen des göttlichen Plato.
nie ihr Tiefstes aufschließt und der eben deswegen seiner
Weniger harmlos, voll heftiger Angriffe auf unsere
Liebe treu bleibt. Wie in einer älteren saltenschen
Gesellschaft, deren Einrichtungen auf die lächerlichste
Geschichte („Die Gedenktafel der Prinzessin Anna“) ist
Weise sich selbst zu widersprechen scheinen, stellen sich
das gewagt erotische Motiv zu dünn, um den Rahmen
die unter dem Titel „Caritas“ versammelten Novellen
einer Novelle von 141 Seiten auszufüllen, und das
Karl Schönherrs?) dar. Die Gräte im Halse des
Interesse des Lesers erlahmt um so rascher, als er bald
zum Tode verurteilten Delinquenten, die den Gerichtshof
bemerken muß, wie das Wesen dieser Erfindung zwischen
und die Gerichtsärzte in helle Verzweiflung setzt; die
Spaß und Ernst, Märchenhaft=Voraussetzungslosem und
Mutter, die für ihre hungernden Kinder gestohlen hat
Modern=Psychologischem unbehaglich hin= und herschwankt.
und mit ihnen vor dem Polizisten zum Fenster hinaus¬
Während aber das saltensche Büchlein zumal in
gesprungen ist, dann aber, durch die aufopferndsten Be¬
seiner ersten Hälfte durch freundlich ansprechende Einzel¬
mühungen der Klinik geheilt, vor den Wahnbildern ihrer
heiten den Leser gewinnt, kommt er bei Siegfried
toten Kinder in der Denau Schutz sucht und durch
Trebitsch5) nirgends auf seine Kosten. Wie verzerrt
einen braven Schutzmann, der sich dabei den Tod holt,
im innersten Kern ist die große Titelnovelle „Das ver¬
abermals gerettet, in der Zwangsjacke ihren Retter ver¬
kaufte Lächeln"! Ein Mädchen, von ihrem Geliebten
flucht; das arme Fuhrmannskind im unheimlichen Heime
verlassen, sinkt zur Kurtisane und Dirne, aber nicht bis
der „Engelmacherin“, dem Tod entgegensiechend; die
zur Selbstverachtung hinab, da sie ihren letzten Schatz
Mutter, die nicht zum Sterbelager ihres Kindes (einer
aus unschuldigen Jugendzeiten, ihr wundervolles Lächeln,
Nonne in „streuger Klausur“) zugelassen wird — das
treu hütet und bewahrt (!). Erst als ein Zufall dieses
sind ein paar charakteristische Themen der zornigen An¬
Lächela einem Unbekannten schenkt und verrät, ist der
klagereden des Dichters der „Bildschnitzer", eines in
Untergang Amandas besiegelt (!). In demselben schwer¬
Wien lebenden Tirolers, und ihre mitreißende Kraft,
fälligen und unplastischen Juristendeutsch wie diese un¬
die aus einem starken und heißen Herzen stammt, ent¬
mögliche Geschichte voll innerer Unwahrscheinlichkeit und
schädigt für die mangelnde „Heiterkeit“ der Kunst.
gewaltsamer Symbolik sind zwei kürzere Novellen nieder¬
Um so sonniger scheinen uns die „Wahren Ge¬
geschrieben, die an ähnlichen Fehlern kranken. Nur
schichten“ Max Burckhards !%) ins Herz. Sie sind
gegen den interessanten leipziger Staatsanwalt muß
österreichisch bis zum grillparzerschen fehlenden i=Tüpferl
man „Das verkaufte Lächeln“ in Schutz nehmen; es ist
(es kommt ihm nicht darauf an, „ober“ statt „über“ zu
eine ernst und ehrlich gemeinte Studie, in der ein un¬
schreiben, Horaz unmetrisch zu zitieren und von Zeit zu
befangenes Auge auch nicht die leifeste Spur von
Zeit einen juristendeutschen Satz zu verbrechen), aber
Frivolität zu entdecken vermag.
auch ihr prachtvoller bajuvarischer Humor (die Abenteuer
Auch bei Raoul Auernheimers) ist es bemerkens¬
in den Albauerbergen!), die reine und sichere Gestaltung
wert, mit welchem Takt er bei mitunter sehr heiklen
naiven Lebens sind gures alt=österreichisches Erbteil. Die
Sujets die Grenze des guten Geschmacks einzuhalten
größere Novelle, die das Buch eröffnet und wohl aus
weiß. Ihm ist es geglückt, in „Renée“ den Typus der
oberösterreichischen Jugenderinnerungen des Verfassers
koketten und schlauen Frau, die über lauter Liebeleien
schöpft, schildert die ersten Liebesenttäuschungen und
die Liebe versäumt, und in den „Lebemännern“ den
ströstungen eines unverdorbenen Knaben mit einem
Typus des aus der Provinz zugereisten wiener „Lebe¬
solchen Respekt vor den wenigen echten Gütern des
manns“ (dessen Lebenskunst darin gipfelt, daß er seine
Lebens und einer solchen tüchtigen männlichen Heiterkeit,
Geliebte heiratet, die aber eigentlich die Geliebte seines
daß einem dabei wohl und wehe ums Herz wird. Und
Freundes ist) so auf zwei Beine zu stellen, daß sie, wenn
herein schimmert die unvergleichliche engere Heimat mit
nicht alles trügt, noch eine gute Zeitlang in unserer
Hier ist etwas, das die Linie
ihrem tiefen Reiz.
Literatur mitlaufen werden. Die zwei Typen sind ja
Grillparzer, Stifter, Saar, Anzengruber, Rosegger,
vielleicht nicht neu, sind auch nicht gestaltet, sondern nur
Ebner=Eschenbach fortsetzt, hier ist eine österreichische
skizziert, was sie aber neu und amüsant erscheinen läßt,
Novelle
ist der leise „frozzelnde“ (d. h. für Nichtösterreicher:
Und die „wiener Novele“? Ich glaube, mit
gutmütig ironisterende) Ton, in dem der Autor von
meiner Analyse (fast ein wenig wider Willen) gezeigt
ihnen erzählt. Und er erzählt leicht und klar und steckt
zu haben, daß es gute und schlechte Novellen von wiener
voll von übermürigen, guten Einfällen.
Autoren, aber eine „wiener Novelle“ ebensowenig als
Mit Auernheimer sind wir in das Bereich des
eine „berliner Novelle“ gibt.
novellistischen Feuilletons eingetreten, das seit langem
in Wien eine Heimstätte hat. Zwei Sammlungen von
9) „Caritas.“ Novellen von Karl Schönherr. Wien u.
Leipzig 1905, Wiener Verlag. 178 S
Felir Dörmann? und von Fritz Stüber=Gunthers)
„Wahre Geschichten." Von Mar Burckhard.
vereinigen kleine, für Tageszeitungen geschriebene Arbeiten
Wien 1905, Wiener Verlag. 110 S.
dieser Art, denen man aber immerhin ganz gerne noch
einmal begegnet. Dörmann erzählt leidlich gut im Tone
Bahrs und Schnitzlers kurze Geschichten, bald wienerisch
sentimental, bald wienerisch „frozzelnd“ (siehe oben),
aber ohne ihnen den beglückenden Anhauch mitgeben zu
können, der von allem wahrhaft Lebendigen ausgeht.
Das angeklagte Rußland
Gunthers wiener Skizzen knüpfen an ältere Traditionen
„Les grands empires ne vont que par des abus
5) „Das verkaufte Lächeln.“ Novellen. Von Siegfried
et se soutiennent par leurs vastes ressources et
Trebitsch. Wien 1905, Wiener Verlag. 141 S. M.
par la force intrinseque de leur masse.“
„Renée. Sieben Kapitel eines Frauenlebens." Von
Friedrich der Große, 1775
Raoul Auernheimer. 2. Aufl. Wien 1902, Wiener Verlag.
„Lebemänner.“ Novelle. Ebenda 1903.
Iu prophezeien, hat für einen ehrlichen Menschen
?) „Das Unverzeihliche." Novellen. Von Felir Dör¬
stets etwas Mißliches; und am wenigsten stehr
mann. Berlin 1904, Bard. Marquardt & Co. 111 S. M. 1.—.
) „Das Durchhaus.“ Wiener Skizzen von Fritz Stüber: 6D es einem Historiker an, die Zukunft vorherzusagen.
Gunther. Wien 1905, Robert Mohr. 153 S.



in diesem Buche sind an und für
sie
chatten, ohne eigene Eristenz
Sabine de Fontenays Auffassung und
Die Mischung von Hellseherei, gefühl¬
beleuchtung und zufälligem Stimmungs¬
sie die Welt sieht, ist als ein Stüch
ologie überaus interessant und in ihrer
keit viel lehrreicher, als die vielen lang¬
ogrammatischen Frauenbücher, die den
schwemmen. Wunderlich materiell und
miert wirken gegenüber dieser in ihrem
Zusammenhang und ihrer weiblichen
so lebendigen Gestalt aus Nerven und
sinnlicher Hingerissenheit und Ver
gewöhnlichen Weltdamen der Romanel
h aus den angesehensten Ateliers de
Konfektion stammen.
ist die Berührung, die diese Sabink
ien Töchtern Evas hat, die noch gleich
nutter Hand in Hand mit arbeitende
en Hagel auf ihrem Antlitz und di
ihren Füßen fühlen müssen. De
und die höchste geistige Verfeinerung
Isotierung-von den Mübenud #0
der Existenz, anderer und ihr eigend
lkult haben sie herangebildet, so wi
des Gärtners und die Atmosphäre de
eine seltene Orchidee hervorbringen
Frau in ihrer letzten Vollendung a
Geschlechtswesen, wie sie nur unter de
der höchsten Kultur erwachsen un
peziell männlichen Gesichtspunkt an
se Sabine als ein außerordemtl
findliches Instrument. Um auf eine
pielen, muß man Virtuose sein, u.
zu werden, darf man sich mit nich
assen, als mit dem Spielen, und au
noch ungewiß, ob man Erfolg habs
unberechenbare, aber allmächtige Hill
der Mann bei diesem Spiel wie
eren: das Glück, wenn es sich e
eruht. Denn daß in letzter Hand d
8 Glück diese bezaubernde Sabine
d, und daß ein Ungefähr, eine plötzli
Blick, eine kleine unbewußte lieben
mmheit, mit einem Worte ein Rich
doch schließlich den erotischen Aussch
ehrt diese Schilderung auf jeder Sei
wiß in, den mehr oder weniger sa
De zungen des erotischen Wal
skal###s, die wir besitzen, nichts neu
mere mich selten die Macht des Zuf
jedeutung des Augenblicks mit sols
s Konsequenz betont gesehen zu hah
im weiblichsten, von einem Weibe
esroman.
folgende Arbeit der Verfasserin,
#erveillé“, ist sicherlich das allerb
geschrieben hat. Sie nennt selbst
h einen Roman — es ist eigentlich
iner Gedichte in Prosa in Form
ättern einer Ronne. Wenn die 2
lbstüberwindung genug gehabt hätte,
kchen zu versiegeln und das von
duft eines feinen Sachets erf##

esee!