V, Textsammlungen 2, Die griechische Tänzerin. Novellen, Seite 10

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2. Die griechische Taenzerin
ehen, — weder vor Gericht, noch sonst irgendwo auf gewagte und geglückte stilistische Experimente; der „Brief“.
beidet, oder besteht dieses Gemeinsame lediglich
endlich ist eine Beichte über ein so subtiles psochologisches
Er hatte seinen Bruder wieder ...
daß die meisten von ihnen in Wien spielen und
r Welt.
Problem, daß nur wenige einen Zugang dazu werden
kener Verlegern erschienen sind, und gibt es eine
ein, er hatte ihn zum erstenmal.
finden können — von einem „Novellisten“ Hofmanns¬
Nie hat die aristokratische Kunst Schuinlers so
her Novelle“ ebensowenig als es eine münchner
thal kann also nicht gut die Rede sein. Hier ist ein
imittelbar zum Herzen gesprochen, wie in dieser
erliner Novelle gibt?
Dichter
lichten, aber mit reicher, epischer Füke vorgetragenen
Diese Fragen werden sich wie von selbst beant¬
Es ist schwer, von diesen beiden sich einen Weg
eschichte. Sie muß den Weg in die einfachsten Seelen
4, wenn wir den Inhalt der zwölf kleinen Bücher
zu den andern zu bahnen, die mehr oder weniger den
iden, denen die hobe Meisterschaft der Erzählungs¬
m Leser ausschütren und dabei auf den rasch ver¬
Bedürfnissen einer vornehmeren Unterhaltung dienen.
chnik nur in ihren Resultaten zum Bewußtsein kommt.
den feinen Duft acht haben, der das Eigengeartete
Das Buch eines neuen Autors mag den Uebergang
Die gleichmäßig ist jede Situation belebt sso daß man
m Charakterlosen hier wie sonst auszeichnet. Wer
vermitteln, schon deshalb, weil der Verfasser, hinter
ch verwundert fragt, woher dem Dichter die Empirie
vielleicht ergeben diese Buketts — oder wenigstens
dessen Pfeudonom L. Andros, sich vermutlich eine
ieser Lebenskreise zugekommen sei) mit wie wenigen
von ihnen — eine zarte, aber spürbare Harmonie.
Dame aus der wiener „Gesellschaft“ verbirgt, bei
nvergeßlichen Strichen ist die schicksalvolle Figur des
Schnitzlei in die Schule gegangen ist, dann aber auch,
fremden eingeführt.
weil in seinem Buche das rein Dichterische noch stark
Gleichfalls an Tiefstes und Letztes rührt „Andreas
ausgeprägt ist. Hier haben wir es mit sechs richtigen
Unter den vier Geschichten seines neuen Novellen¬
Thameyers letzter Brief“, der uns (und den Schreiber
Novellen zu tun, in deren keiner der boccaccio=heysische
hat Arthur Schnitzler die „Griechische
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elbst?) überzeugen soll, daß die Frau dieses kleinen
„Falke“ fehlt. Ein Antiquar im alten Wien hat die
krin“ dadurch vor den anderen erhöht, daß er sie
viener Privatbeamten ihm nicht, wie die Leute meinen,
verhänqnisvolle Gabe, daß sich nach jeder blutigen
fitel des Buches genannt hat. Sie gliedert sich
nit einem der überseeischen schwarzen Gäste im Prater
Untat, die in der Stadt begangen wird, das Bild des
ich wie äußerlich den älteren Erzählungen des
intreu gewesen ist, sondern daß sie nur deshalb ein
Verbrechers in seinen Augen spiegelt und bis zu dessen
kers zwanglos an. Es ist dieselbe vornehme Kunst
chwarzes Kind zur Welt gebracht hat, weil sie sich
Hinrichtung darin haften bleibt. Die Justiz macht sich
die mit dem Silberstift sparsam gezogenen Umrisse,
Es ist sein letzter Brief, denn
„versehen“ hat ...
dieses W#der bei der Ausfindung der Uebeltäter zu
st dieselbe Art des halblauten, verschleierten, ge¬
um den Lästermund der Menschen, die an die Unschuld
nutze, und Hieronymus sticht sich die Augen aus, um
ften Vortrags, nur ein einziges Mal durch einen
der geliebten Frau nicht glauben wollen, zum Schweigen
nicht seine verbrecherische Geliebte verraten zu müssen.
Eren Akzent unterbrochen (S. 130: „Daß sie litt
zu bringen, wird er hingeben und sich erschießen ..
(„Die Augen des Hieronymus.“ Eindrucksvoller, gro߬
Uihr Leben lang gelitten hat wie ein Tier“), der
Mit wie schonender und behursamer Hand hat hier
tügiger Chronikstil.) Ein eifersüchtig liebendes Mädchen
dann wie ein Schlag aufs Herz wirkt. Und es
Schnitzler aus dem tragikomischen Motiv den reinen
macht die verstorbene Frau ihres heimlich Geliebten
######e verstebende Milleiden mit der Frauenseele
tragischen Kern ausgelöst und wirksam gemacht, wie
bei dem leidenschaftlich Trauernden insgeheim durch ein
Hrem=nussumstosen Kampf gegen die natürliche
überzeugend schreibt er aus dem rührend engen und
persides Mittel der Untreue verdächtig und vergiftet
liche Brutalität. Ganz neue Töne aber schlägt
bedruckten Wesen eines „unbedeutenden" Menschen
ihm so die Erinnerung an die Tote. Die beiden Ueber¬
Dichter in der tiefen und ergreifenden italienischen
heraus, der doch in der Größe seines Glaubens aus
lebenden finden sich und leben glücklich mireinander, bis
klergeschichte vom „Blinden Geronimo und seinem
Heldenhafte streift ...
die Frau, die unter ihrer KKinderlosigkeit schwer leider
der“ an. Geronimo ist in früher Jugend durch
Während die beiden schnitzlerschen Novellen mit
und darin eine Strafe ihres Verbrechens sieht, dieses
Verschulden seines älteren Bruders Carlo erblindet.
dem wahrsten Herzensanteil geschrieben sind, geben die
ihrem Gatten beichret, der sie nun voll Abscheu verläßt
seine Schuld zu büßen, geleitet dieser den Blinden,
Erfindungen Hugo von Hofmannsthals?) dem Herzen
und mühsam die zerstörte Erinnerung an die Tote wieder
sich durch Singen und Gitarre=Spielen einen spär¬
wenig zu denken, und ihre Wirkungen schalten in einer
aufzubauen sucht; da spielt ihm ein Zufall den Beweis
h Lebensunterhalt erbettelt, von einer Fremdenstation
and een Region unseres Bewußtseins. „Stimmungs¬
der wirklichen Untreue der neu Betrauerten in die
ndern, Sommer und Winter, jahrelang, und betreut
künstler“ neunen ihn, mit einem leisen, verächtlichen
Hände, und er kehrt verzeihend zu seiner zweiten Frau
so gut er eben kann. Aber die ganze Zeit hindurch
Beiton, die literarischen Gequer; als ob das erwas
zurück. („Erinnerung.“ Hier wie im „Traum“ sind
nmert in der Brust des Blinden ein tiefes Mi߬
Geringes wäre! Als ob es ein Kleines wäre, wenn
schnitlersche Einflüsse unverkennbar, vor allem in der
En gegen den Bruder, der die Almosen einsammelt
ein Dichter die Kraft hat, die Lebensstimmung der
Gesamrauffassung unseres Lebensinhalts als eines Vagen
die Kasse führt; er glaubt sich von ihm betrogen,
ihre traumhafte Ver¬
jungen Menschen unserer Zeit —
und Verfließenden, über das ein Traum Macht gewinnen
sich aber nichts merken, bis der unbedachte Scherz
sunkenheit in die Schätze alter Kulturen, ihren narzi߬
kann, im Sinne jenes shaksperischen „Sind wir ein
Fremden, der ihm zuflüstert, er habe Carlo ein
haften „Kult des Ichs“ und ihre Lebensfurcht — in
Spiel von jedem Druck der Luft“; dann aber auch in
dstück gegeben, den Funken ins Pulver fliegen läßt.
Symbolen von so fabelhafter Schönheit und Eindring¬
der entwickelten psochologischen Neugier und Fein¬
kann den ausbrechenden Haß des Unglücklichen,
lichkeit auszuprägen wie Hugo von Hofmannsthal in
hörigkeit, die gar nicht deutsch, eher französisch oder
er sein Leben opfert, nicht ertragen und wird zum
seinem farbenleuchtenden orientalischen Märchen, das
russisch anmutet; endlich in der anmutigen technischen
um das Goldstück beizuschaffen. Er bringt es
in unsere aufhorchende Jugend hineinfiel wie ein fremdes
Dekonomie.) Ein junges Mädchen aus einer nord¬
Geronimo bleibt unversöhnt; erst als sein Bruder
buntes Wunder! (1894.) Dessen Tiefsinn wir ahnten,
deutschen Kleinstadt- steht in Lugano den hl. Sebastian,
aftet wird, beginur er zu verstehen — und ihn zu
aber nicht aussagen konnten, weil wir mit dem jungen
ein Kirchenfresko von Luini, und schreibt ihrem beleibten,
m. „Und plötzlich blieb Geronimo stehen, so daß
Kaufmannssohn zu sehr im gleichen Falle waren! Lange
vierzigjährigen Bräutigam, einem Kaufmann in ihrer
Carlo innehalten mußte. Nun, was ist denn?“
Jahre war die jugendstrahlende Dichtung in jenen
Vaterstadt, ab („Der heilige Sebastian“, ein kleines
der Gendarm argerinh. Vorwartr, vorwurtrt
glänzenden ersten Jahrgängen der bahrschen „Zeit“ ver¬
Kabinetstück, voll innerer Wahrheit und ohne alle
F da sah er mit Verwunderung, daß der Blinde die
graben, von wenigen gekannt und geliebt; nun sie
Grimassen erzählt). Eine Gonvernante und ein Scharf¬
hirre auf den Boden fallen ließ, seine Arme erhob
wieder zum Vorschein gekommen; ist, wird man bald
richter — doch ich glaube, mit diesen Inhaltsangaben
mit beiden Händen nach den Wangen des Bruders
erkennen, daß man es hier mit einem programmatischen
nach Art derjenigen, die den alte###mnischen Novellen
ste. Dann näherte er seine Lippen dem Munde
Werke zu tun hat, das für jenes Quinquennium genan
in zu müssen,

vorangesetzt zu sein pflegen, nicht sor.
slos, der zuerst nicht wußte, wie ihm geschah, und
so aufschlußreich ist wie etwa Wackenroders „Herzens¬
um den Eindruck zu erwecken, daß er ich hier um
Ee ihn. Seid ihr verrückt“ fragte der Gendarm.
ergießungen" und Schlegels „Lueinde“ für die ältere
Geschichten mit einer wirklichen novellistischen Substanz,
rwärts, verwärts: Ich habe keine Lust zu braten.“
deutsche Romantik.
um Novellen im alten Sinne handelt. Das wiener
sonimo hob die Gitarre vom Boden auf, ohne ein
In der „Reitergeschichte“ (aus den Kriegen der
Lokalkolorit ist diskret aufgetragen, und ihre dichterischen
rt zu sprechen. Carlo atmete tief auf, und er legte
Oesterreicher mit Italien) bemerke ich einen demlichen
Qualitäten sind derart, daß man ihnen bald wieder
Hand wieder auf den Arm des Blinden. Und er
Ehrgeiz mit der novellistischen Technik Kleists, der wir
zu begequen wünscht.
felte mit einem sonderbaren Ausdruck des Glückes
die besten deutschen Erzählungen verdanken, um die
Einen nachdrücklichen Willen zum Dichterischen,
sich hin. Vorwärts! schrie der Gendarm. Wollt
Wette zu kämpfen. Hier wie dort eine Rapidität der
dem nur leider kein analoges Ausmaß der dichterischen
endlich —!“ Und er gab Carlo eins zwischen die
Erzählung, die dem Leser den Arem raubt; hier wie
Kraft entspricht, kann man in Felir Saltens“) Novelle
pen. Und Carlo, mit festem Druck den Arm des
dort auf dem allerengsten Raum eine traumhafte Fülle
„Der Schrei der Liebe“ beobachten. Den Mädchen
#den leitend, ging wieder vorwärts. Er schlug einen
des Lebens. Jenes „Märchen“ ist ein Gedicht, das
und Frauen eines märchenhaften Insellandes ist die
rascheren Schritt ein als früher. Das Lächeln
nur zufällig des Versgewandes entbehrt, die „Reiter¬
Die Augen des Hieronymus.“ Novellen. Von
lte von seinem Antlitz nicht verschwinden. Ihm
geschichte“ und das „Erlebnis des Marschalls von
Andro. Berlin 1905, Dr. Franz Ledermann. 100 S.
als könnte ihm jetzt nichts Schlimmes mehr ge¬
Bassonpierre“ sind zuckende Stücke Lebens und daneben
M. 2.—
4) „Der Schrei der Liebe.“ Novelle. Von Fritz Salten.
Umschlag von Richard Lur. Wien 1905, Wiener Verlag. 121 S.
„Das Märchen der 672. Nacht und andere Er¬
11) „Die griechische Tänzerin.“ Von Arthur Schnitzler.
zählungen." Von Hugo von Hofmannsthal. Umschlag
Pellen. Umschlag von J. Engelbart. Wien und Leipzig 1905,
von Walter Hampel. Wiener Verlag 1905. 123 S. M. 1
ner Verlag. 131 S. M. 1.