V, Textsammlungen 2, Die griechische Tänzerin. Novellen, Seite 16


box 35/6
Ta
n2
2. Die griechischerin
582
nügen läßt, statt sie organisch durchzubilden und zu gestalten; durchaus Impressionist;
und eine gewisse hast und Flüchtigkeit lassen ihn nirgends mit künstlerischer Liebe weilen.
Durchaus anregend, ohne zur eigentlichen Gestaltung vorzudringen — auch in der Sprache,
die immer noch ein wenig nach Juristen=Deutsch schmeckt.
Erwähnt seien noch die Novellen von Stephan Zweig. („Die Liebe der Erika Ewald.“
Berlin. Egon Fleischel & Cie.) Zweig ist noch sehr jung. Er hat viel Kunstverstand und
Sinn für Feinheit; ist für seine Jahre technisch sehr sicher und verheißt manches, bis er
sich erst selber entdeckt haben wird.
Ich habe mich diesmal absichtlich aufs Deutsch=Osterreichische beschränkt, um nicht ins
Uferlose zu geraten, um die Erscheinungen mindestens andeutend zeichnen zu können, die
uns beschäftigen; es wird uns ja doch nicht erspart bleiben, ein andermal dahin steuern
zu müssen, und einmal und bei einer solchen Gelegenheit dürfen wir vielleicht aller
Gastlichkeit vergessen und für uns den Dortritt in Anspruch nehmen.
Wir haben nun schon einen sicheren und höchst achtenswerten Besitz an guten, ja
an ganz ausgezeichneten Erzählern. Es wird mit Ernst geschaffen. Die Tradition, aus
der heraus allein eine gesunde Fortentwicklung möglich ist, wenn sonst, bei dreisten Sprüngen,
nur zu gern auch Brüche entstehen, wird wiederum nach ihrem wahren Wert begriffen.
Man sucht nach Stil und man wird ihn also bestimmt wiederum entdecken und üben.
Der hauptakzent liegt wohl gegenwärtig noch an den Wienern, die ansässig sind an
einer uralten Kulturstätte und ihrer Überlieferungen und Instinkte teilhaftig. Die Provinz
aber kann nicht mehr vernachlässigt werden, und daß Länder mit heftigen, nationalen
und politischen Gegensätzen — man erinnere sich der beiden Tiroler — so tüchtig und
nach ihrer Sonderart vertreten aufrückten, beweist eben nur das Stählende jedes
Kampfes, der auch den Künstler zur Parteinahme zwingt. Natürlich in seiner Art. Ein
Leitartikel kann ein Kunstwerk sein; das Kunstwerk aber, das als Leitartikel wirken will,
das ist höchst überflüssig.
Der humor traut sich wieder vor. Allzulang war er verpönt und in die große Acht
getan von allen, die selber keinen haben und also jede Lustigkeit beschreien, die sie selbst
zu empfinden unfähig sind. Er galt für nfein“ — das schändlichste Wort für einen
schmählichen Begriff! Nun besinnt man sich seiner wieder, und das ist an sich erfreulich
und eine neue, schöne Bürgschaft für die Zukunft. Denn der Süddeutsche ist im Grund
heiter und nach der Sonnenseite hin gewendet. Er hat Spott und Witz und Schlagfertig¬
keit einer Mundart überdies, die immer anmutig bleibt, wenn man sie schreibt, wie sie
im Munde kluger und nicht ungebildeter Frauen klingt, und niemals scharf und ver¬
letzend wirkt. Der Mann, der dies Instrument vollkommen meistern möchte, der könnte
ihm noch ungeahnte und überraschende Wirkungen entlocken.
Dazu kommt gegenwärtig eine große Mannigfaltigkeit der Begabungen. Nicht einer
unter ihnen gleicht dem anderen; jeder trägt einen besonderen Zug an sich und ist bemüht,
das Fleckchen oder das Winkelchen zu finden, da er sich einheimen und nach seiner Art
wirken kann. Und es ist nichts Kommandiertes an allem, wenn man sonst in den Literatur¬
und Kunstbestrebungen unserer Tage nur zu oft den schnarrenden Feldwebelton zu ver¬
nehmen meint, der nun diese, nun eine andere Richtung zu nehmen befiehlt. Wir lassen
uns nun einmal schwer disziplinieren; horchen vielleicht ein Weilchen Schlagworten, um
sie doch nur so lang zu befolgen, als wir des eigenen Weges selber nicht völlig sicher