V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 3

3. Daemnerseelen box 35/7
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Ausschnitt aus
AERLINER TAGRLATT
E vom: 2 1007—
Schnitzler als Mystiker.
Arthun Scmuilzles.-Dammerseelen. Novellen. S. Fischer
Verlag, Beritu.
Ein seltsames Buch, ganz aus der Stimmung geboren, die den
Wiener Dichter auch in seinen letzten Dramen vom Gegenständ¬
lichen zum Uebersinnlichen treibt. Die nicht den klaren, hellen Tag
liebt, sondern sich grüblerisch hinter die dunklen Vorhänge
mystischer Reflexionen zurückzieht und dort geheimnisvollen Rätseln
nachsinnt. en solchen Rätseln gehen die passiven Helden dieses
Novellenzyklus zugrunde. Irgendein Unnennbares, aus der
schwarzen Tiefe des Geheimnisvollen Stammendes, dringt jah auf
sie ein, packt sie und wirft sie um so sicherer von der Lebensbühne,
weil sie alle — Duldernaturen, keine Kraftmenschen — sich dem
zerpressenden Druck des finsteren Geschickes nicht zu entziehen ver¬
mögen. Schnitzler variiert hier in einer leise tastenden Diktion
und einer kühl=nervösen Ausdrucksform, die an Jakob Wasser¬
manns letzte, gespenstische Novelleuphantasten mahnt, im Grunde
gewiß nur sein altes Lieblingsmotiv, das die Zusammen¬
hänge zwischen Tod und Leben deutlicher aufhellen möchte. Aber
seine Schilderungswege begleiten hier nicht die Hinterbliebenen über
ihre durch das Ableben eines teuren Menschen verwirrten ferneren.
Lebensschritte. Der Sterbende selbst ist das Objekt, dessen letzte
Schicksale die Hand dieses versonnenen Seelenarztes jetzt seziert.
Dessen Daseinsschluß er nicht als spontanes, aber wohlbegreifliches
Ereignis betrachtet wissen möchte, sondern als letztes Glied an einer
umfangreichen, von geheimnisvollen Mächten geschmiedeten Kette.
Es ist sonderbar, daß gerade dieser Mediziner — Arthur Schnitzler
kommt ja aus diesem so fleptischen Berufe — der modischen Auf¬
faffung von der Absurdität des Todes, der Auffassung, die zum
Tode wie zum Tanze schreiten läßt, nicht geneigt ist. Daß er
vielmehr den Todesgeist mit Ehrfurcht als etwas Ueberlebens¬
großes, Gewaltiges grüßt, wie die Alten es taten. ...
Dieses Bild des Nicht=Ausweichenkönnens — man sieht es beim
„Lesen förmlich fixiert vor sich, wie eine schwarz gekleidete, ernste
Westalt mit blassen Zügen einem Menschen still nachschreitet,
unentwegt und ohne von feiner Spur zu weichen: dieses
Bild w#rd in der Novelle „Die Weissagung“ am deutlichsten
gegeben. Ein junger Leutnant hat da in einem jüdischen
Chiroman. in den Verkünder seines Schicksals erlebt. Besser den
Verkünder einer Szene seines Schicksals. Der Jude hat vorher
mit seinen ystischen Manövern, die sichtlich mehr sind als
Akfanzereien,s ganze Offizierskasino rebellisch gemacht. Dann
steht er mit dim kleinen Offizier im schwarzen Kasernenhof:
und in der Abendluft prägt sich vor den Augen des Jünglings ein
Bild aus, das ein Motiv seiner Zukunft darstellt. Der junge
Aristokrat will die, m Endpunkt seines Lebens aus dem Wege
gehen. Aber sein Mül'en ist zwecklos. Und man folgt mit erregten
Sinnen, die gern das Abstrakte, Irreale leugnen möchten und sich
doch dieser starken Schil# rungskunst ergeben müssen, den eifervollen
Bestrebungen des Erze lungshelden, sein Schicksal selbst zu
machen: den Griffen, miß welchen ihn die Norne immer wieder
auf die Linie der vorgeschriebenen Bahn zurückreißt, zu entrinnen.
Bis er — inmitten einer leichten, gesellschaftlichen Veranstaltung —
da endet, wo er sich einst, unter dem Einflusse jenes Zauberers,
enden sah. In jener Situation, die ihm die Zeremonie des Zauberers
zeigte
Die Wirkungen solcher naturgemäß mehr artistischen als un¬
mittelbar künstlerischen Erzählungsversuche steigert Schnitzler
gern, indem er der tragisch=transzendentalen Pointe einen grotesken
Ausklang anheftet, der aber die Wucht dieser fatalistischen Welt¬
anschauung niemals schmälert, sie im Gegenteil noch gransamer,
brutaler, entsetzlicher erscheinen läßt. Da zeigt die kleine Episode
„Die Frembe“ einen armen Burschen, der sein geistiges, feelisches
und materielles Ich der Neigung zu einer halbirren, schönen Frau